Mit jedem Kilometer den wir zurück legen, geht es mir besser. Die Beklemmung verschwindet und ich kann deutlich freier Atmen. Sebastian wirft mir alle paar Minuten einen sorgenvollen Blick zu, doch er sagt nichts. Worüber ich ziemlich froh bin, denn im Moment brauche ich wirklich ein paar Minuten für mich und meine Gedanken. In den letzten zwei Wochen ist so viel passiert, dass es ein ganzes Buch füllen könnte.
Nach weiteren fünf Minuten bemerke ich, wie Sebastian ganz vorsichtig das Band von seiner Seite aus anzupft, sodass es leicht vibriert. Ich versuche ihm ein Lächeln zu schenken, dann drehe ich wieder meinen Kopf zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Wieder zupft er an dem Band. Dieses mal jedoch ein wenig stärker. Es kitzelt ein wenig in meiner Brust. Ich drehe mich wieder kurz zu ihm und kann schon ein wenig ehrlicher lächeln als zuvor. Sebastian schaut mich grinsend an. Doch in seinen Augen schimmert Sorge. Ich würde sie ihm so gern nehmen. Er hat schon so viel wegen mir durchmachen müssen. Nur bin ich leider selbst im Moment nicht in der Lage meine Probleme zu bewältigen. Ich habe das Gefühl, dass mir langsam alles über den Kopf wächst.
Sebastian zupft wieder an unserem Band. Erneut stärker als das vorherige mal. Es kitzelt so sehr, dass ich kichern muss und meine Hand auf die Brust lege. „Hör auf damit, das kitzelt!“ „Dann höre du auf, so grimmig zu schauen.“, sagt er mir und nimmt meine Hand mit zu sich an den Schaltknüppel, um in den nächsten Gang zu schalten. „Ich versuche es ja, aber im Moment fühlt sich mein Leben an wie eine Seifenoper und ich sehe, wie jeden Moment ein weiteres Problem dazu kommt.“, ich seufze. „Es stapelt sich zu einem riesigen Berg auf. Langsam glaube ich, dass ich es nie schaffen kann, all diese Probleme abzuarbeiten, beziehungsweise zu überwinden.“ „Ich glaube dir, dass es im Moment ziemlich heftig ist! Ich versuche dir so gut es geht zu helfen!“, beteuert Sebastian. Ich seufze und nicke ihm dankbar zu.
Hilflos frage ich: „Wie war das denn bei dir? Wie hast du das geschafft?“ Sebastian schaut mich mitleidig an. „Um ehrlich zu sein, habe ich es nie durchstehen müssen.“ „Was? Wieso nicht? Ich denke, Vampire werden menschlich geboren?“ „Das stimmt auch. Wurden wir jedoch von Vampiren gezeugt, haben wir vampirisches Blut in unseren Adern fließen. Dann durchlaufen wir ebenfalls eine Wandlung. Allerdings im vierzehnten Lebensjahr. Die ist bei weitem nicht so schmerzhaft oder langwierig wie die, die du durchmachen musst. Man kann es mit der menschlichen Konfirmation vergleichen.“, erklärt Sebastian. „Wie meinst du das?“, frage ich nach. „Wurde man in als Kind getauft, haben dies die Eltern entschieden, stimmt's? Mit Beginn des vierzehnten Lebensjahres wird man dann als reif genug erachtet, um die Entscheidung mit der Konfirmation zu festigen.“ „Entweder man geht seinen Weg mit Gott weiter oder lässt es bleiben.“, füge ich hinzu. Sebastian bestätigt es mit einem Nicken. „Richtig. Es gibt eine Zeremonie für diejenigen, die ihren Lebensweg als Vampir bestreiten möchten. Ähnlich wie bei der Konfirmation müssen sie Blut trinken.“ Erschrocken empöre ich mich: „Wir trinken doch kein Blut! Sondern Wein!“ „Ja, schon. Aber als was wird es denn ausgegeben?“, fragt er mich. Ich überlege kurz. „Das Blut Christi sei dir gegeben.“, rezidiere ich aus meinen Erinnerungen. „Okay, jetzt weiß ich was du meinst!“, gebe ich zu. Nach kurzem Überlegen frage ich weiter: „Werdet ihr dann ein Vampir, wenn ihr das Blut getrunken habt?“ „Ja, wir verwandeln uns. Es dauert nur wenige Tage und ist kaum schmerzhaft. Mir war vor allem ziemlich schwindelig und übel gewesen.“
„Und wir war die Zeit nach der Verwandlung gewesen?“ „Auch nicht so, wie sie dir bevorsteht. Dadurch ich, sagen wir, genetisch begünstigt bin, hatte ich nie einen solchen Blutdurst verspürt als jemand der gebissen wurde. Dank meines Vaters verspüre ich ihn nun überhaupt nicht mehr. Er hat mir beigebracht, wie man es kontrolliert.“ Für den Moment bin ich baff und kann nicht antworten. Er hat also nie wirklich Blutdurst gehabt? „Bist du jetzt sprachlos?“, fragt er mich nach einer Weile Stille. „Ja.“, antworte ich schlicht. „Und neidisch!“, füge ich qualvoll grinsend dazu. Mitfühlend drückt Sebastian meine Hand. „Ich werde dir zur Seite stehen, das schwöre ich dir! Wir überstehen das schon zusammen. Wir leben von Tag zu Tag. Jeder wird eine größere Herausforderung werden, aber eigentlich sollte nichts schief gehen. Ich habe den Glasbau in meinem Schlafzimmer gesehen und mit gebaut. Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet.“ Bei dem Wort „Glasbau“ rasen mir mehrere eiskalte Schauer über den Rücken und in meiner Brust wird es eng.
DU LIEST GERADE
The Hospital
FantasyKaum hat Keira ihre Arbeitsstelle angetreten, passen merkwürdige Dinge. Dinge, die sie schon einmal erlebt und verdrängt hat. Dinge, die sie nie wieder zu erleben gehofft hat. Dazu kommt, dass ihr erster Patient sie wie magisch anzieht und sie nich...