Kapitel 48 - Eine etwas andere Art von Folter

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Schweigend sitzen wir im Auto und fahren wieder zu Sebastian nach Hause. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Brutus ist eingeschnappt, weil der zuständige Arzt wie er meint: „Zu grob zugepackt hat“ Ich muss daran denken, dass ich nur noch ein paar Stunden Klarheit vor mir habe, bevor ich mich in ein hungergetriebenes Wesen verwandle. Und Sebastian…da ich leider nicht in seinen Kopf schauen kann, weiß ich nicht an was er gerade denkt. Allerdings vermute ich, dass es ebenfalls keine angenehmen Themen sind, denn seine Muskeln sind angespannt und seine Finger packen das Lenkrad manchmal so fest, dass das Leder knirscht.

Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es 16 Uhr ist. Eigentlich hätte ich nicht mal nachschauen müssen, denn seit dem Biss von Apurva weiß ich immer wie spät es ist. Als hätte man mir eine innere Uhr eingebaut. Ich muss zugeben, dass mir diese Fähigkeit noch immer ein wenig gruselig ist. Dann schaue ich doch lieber ganz traditionell auf die Uhr und behalte mir diese Fähigkeit für die Notfälle auf. Um genau zu sein für die Notfälle der Art: Scheiße, gleich muss ich sterben, wenn ich nicht weiß wie spät es ist! Mmh, sollte diese Situation eintreten, werde ich meine Weckerfähigkeit einschalten. Ich gratuliere mir innerlich selbst für diesen Pakt. Denn es wird wohl nicht allzu häufig vorkommen, dass dieser spezielle Fall eintritt. Ich lasse meine Gedanken in die Vergangenheit schweifen, ob ich mal einen derartigen Artikel gelesen habe: „Frau stirbt bei Banküberfall, weil sie nicht weiß wie spät es ist.“ Nö. Keine Eintragung vorhanden. Sehr gut. Wecker wird ausgestellt- ein tolles Gefühl!

„Darf ich mal etwas fragen?“, unterbreche ich die Stille. Während Sebastian: „Natürlich“, brummt, kommt es von der Rückbank: „Vergiss es, der Unterricht hat noch nicht angefangen. Ein Lehrer brauch auch einmal Pause!“ „Du hast doch noch nicht einmal damit angefangen, Lehrer zu sein!“, protestiere ich. „Ich wurde ja auch schon beim betreten des Klassenzimmers Opfer eines grausamen Streiches, der mich fast umgebracht hätte.“ Ich kann nichts dagegen tun, meine Hand klatscht wie von selbst auf mein Gesicht. Diese völlig übertrieben Dramatik! „Jetzt übertreibe mal nicht, Brutus. Ist doch alles noch dran!“ „Woher willst du das wissen, Fräulein Neunmalklug? Immer hin warst du nicht bei der Untersuchung dabei!“ „Das muss ich auch nicht. Hättest du nämlich wirklich wie du es behauptest, ein Ei weniger, hätte ich das längt bemerkt.“ „Wieso, sammelst du gern Eier? Dann warte gefälligst auf Ostern!“, brummt Brutus. „Nein, du Idiot! Ich hätte es bemerkt, weil es eine Verletzung gewesen wäre, du verstehst!? Von wegen Blut tritt aus und ich verfalle in den Blutrausch!?“ „Bezeichnest du das da etwa nicht als Verletzung?“, sagt er und zeigt auf seinen Schritt. „Nein, nicht wirklich. Ist doch nur etwas…durchgeschüttelt worden. Eine Prellung, nichts weiter. Kein Weltuntergang.“ „Erzähl das mal meinen Spermien, die durch das Erdbeben getötet wurden und jetzt mit dem Bauch nach oben schwimmen!“ Ich stöhne genervt auf. „Brutus, Spermien sind doch keine Fische!“  Zur Antwort erhalte ich nur ein unverständliches Gebrabbel.

„Die Frage war sowieso nicht an dich, sondern an Sebastian gerichtet.“ Amüsiert schaut Sebastian zu mir rüber. „Du brauchst doch nicht fragen, ob du eine Frage stellen kannst.“ „Ich weiß nicht, es kam mir so vor, als wärst du in Gedanken.“ Ernst nickt er. „Das stimmt. Aber eigentlich bin ich ganz froh, wenn ich nicht mehr daran denken muss.“ Wieder knirscht das Leder des Lenkrades bedrohlich. Dann hätte ich mir vorhin auch keine Sorgen machen müssen, das Auto irgendwie kaputt zu machen. Diesen Job erledigt er schon selbst.

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