Kapitel 54.

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<<Kai's Sicht>>

Die letzten Wochen waren der Horror für mich. Ich habe noch nicht einmal nach meiner letzten Langzeitbeziehung sowas wie Liebeskummer gehabt. Ich musste stark sein vor meiner Mutter, aber als ich dann in meinem Zimmer war, kam es hoch. Ich habe stark geweint und mich so schwach gefühlt. Ich spüre, wie mir etwas fehlt. Ich wollte mit Lia mein Leben verbringen. Ich wollte, dass sie irgendwann meinen Nachnamen trägt. Das krasse ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, jemand anderen zu haben. Eigentlich sollte unsere Liebe auch in den schweren Zeiten halten. Das hätte sie auch zu 100%. Da bin ich mir ganz sicher. Aber es war das beste für sie, dass sie mich komplett aus ihrem Leben streicht. Lia soll ein tolles Leben haben und nicht an mich gebunden werden. Das würde ich ihr nie antuen. Dafür liebe ich sie zu sehr. Ich bewahre sie somit vor ihrem Unglück.

Als ich die Mailbox Nachricht abgehört habe, wird mir ganz übel. Ich höre den Schmerz in ihrer Stimme. Das ist grade so schrecklich für mich. Ich würde am liebsten ins Auto steigen und zu ihr fahren. Ich würde sie so gerne in den Arm nehmen und mich entschuldigen. Nein. Ich muss zu ihr. Ich nehme meine Tasche und wollte grade zum Auto laufen, als meine Mutter mich aufhält. „Schatz. Du verletzt sie nur. Wenn du jetzt kommst und wieder gehst, wird es ihr auch nicht helfen. Entweder bleibst du ganz bei ihr und lässt mich alleine, die dich aufgezogen hat oder du bleibst bei mir und hilfst mir. In 3 Jahren kannst du immer noch zu ihr. Was sind schon 3 Jahre? Dann ist sie 20 und du 22. Dann könnt ihr euch immer noch was tolles aufbauen" beruhigt sie mich. Sie hat ja recht..wenn ich jetzt gehe und wieder fahre.. Das schafft sie nicht nochmal. Sie ist so emotional und zierlich. Nochmal den Trennungsschmerz, möchte ich ihr nicht antuen. Neben ihr, bin ich auch noch hier. Ich könnte sie nicht mehr verlassen. Wenn ich sie nochmal sehe, würde ich bleiben wollen. Liebe ist einfach kompliziert und schmerzhaft.

Ich lasse es also bleiben. In der Nacht bekomme ich noch viel mehr Nachrichten von ihr. Ich bin kurz davor ihr zu antworten. Sie tut mir so Leid. Aber wie sagt man so schön.. Wenn du jemanden liebst, lass ihn los. Immerhin kann man sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Das passiert einfach und ich keine Entscheidung. Es ist so viel mehr, als nur das körperliche. Es ist, wie ein zuhause. Wenn ich jetzt schwach werde, werde ich sie nur noch mehr verletzen. Kai, du musst sie gehen lassen. Das hat sie verdient! Sie hat es verdient nicht auf mich zu warten, sondern ihr Leben zu leben. Deshalb blockiere ich sie. Ich muss aus dem Leben von Aurelia für die nächsten 3 Jahre verschwinden. Krass, was man aus Liebe macht...ich tue mir weh, dass es ihr besser gehen kann.

<<Lia's Sicht>>

Als ich am nächsten Morgen aufwache, fühlen meine Augen sich so schwer an. Zugegeben, habe ich mich in den Schlaf geweint. Mein Leben läuft total falsch. Als Kai mich gestern blockiert hat, war ich völlig unten.

Ich hebe mich mühevoll aus dem Bett. Kurz laufe ich an meinem großen Spiegel vorbei und sehe mich an. Wie ich aussehe..ungeduscht und ekelhaft. Wie kann ich mir selbst das antuen?Wieso macht mich das so kaputt? Ich hebe mein Oberteil hoch und sehe mir meinen Bauch an. Man sieht noch nichts. Nicht einmal eine kleine Wölbung. Alles flach, wie sonst auch. Aber irgendwas bewegt mich dazu, meinen Bauch zu berühren. Ich lege meine Hände darauf und streichele einmal darüber. Kann ich wirklich mein eigenes Fleisch und Blut beseitigen, nur weil etwas schief gelaufen ist? Hat es mich als Mutter überhaupt verdient? Kann ich diesem Wesen überhaupt gerecht werden?

In meinen Gedanken versunken, klopft es an meiner Tür. „Amy?" rufe ich und mache mein Oberteil schnell wieder runter. „Nein..ich bin es" meint Julian. „Kann ich bitte reinkommen?" fragt er mich und ich laufe zur Tür. Ich öffne sie ihm. „Ja klar, was ist los?" frage ich total scheinheilig. „Hast du mir was zu sagen bzw. willst du mit mir reden?" fragt er total ruhig, was mich total wundert. Amy hat bestimmt was gesagt. Er weiß es. Ich kenne diesen Blick. Oh nein. Mir wird schlecht.

„Hat..Hat Amy dir was erzählt?" frage ich plötzlich geschockt. Er schüttelt den Kopf und zeigt mir den Schwangerschaftstest, den ich gestern gemacht habe. Ich dussel. Wie blöd kann man sein und den hier wegwerfen? Tolle Aktion Lia.. Tolle Aktion.

„Habe ihn gestern Abend im Müll gefunden, als ich ihn nach draußen bringen wollte..." meint er nur und ich sehe zu Boden. Ich schäme mich grade so sehr vor ihm. „Es tut mir so leid. Es tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss. Du hast mich immer beschützt und ich habe nicht auf dich gehört, als es um Kai ging" sage ich und breche wieder in Tränen aus. Bevor ich noch etwas sagen konnte, nimmt mich mein Bruder in den Arm. Ein schönes und vertrautes Gefühl überkommt mich. „Pssschhtt... Du hast mich nicht enttäuscht. Entschuldige dich nie dafür, dass du ein Mensch bist. Ein Fehler kann immer passieren. Obwohl es mich echt anekelt, dass du und Kai miteinander geschlafen habt" schmunzelte er etwas und ich kann auch unter Tränen leise lachen. Julian schafft es einfach immer, dass es mir irgendwie etwas besser geht. Jedesmal. Ich drücke mich an ihn heran. Am liebsten, würde ich ihn nie mehr loslassen.

„Weißt du noch, als wir uns das stechen lassen haben?" fragt er mich und löst sich leicht von mir, um mir mein Handgelenk zu zeigen. „Weil wir Geschwister sind und zusammenhalten. Egal ob in guten oder schlechten Zeiten. Du bist meine Familie und ich werde dich unterstützen. Wir zwei schaffen alles zusammen. Auch wenn du erst 17 bist, schaffen wir das" meint er und ich lächele dann. Wie konnte ich nur denken, dass er sauer ist?Er ist anders als Kai. Er würde mich nie hängen lassen, wenn ich ihn brauche, obwohl ich auch nie gedacht habe, dass Kai mich hängen lässt.

„Du warst also kein bisschen wütend?" frage ich und er schüttelt den Kopf. „Als ich ihn gefunden habe, war ich etwas geschockt. Ich habe einen kleinen Herzinfarkt bekommen. Dann war ich enttäuscht, dass du dich mir nicht anvertraust. Dann konnte ich mir aber denken, dass du eigentlich mit Kai reden wollen würdest und du bestimmt total überfordert bist. Eigentlich haben wir uns wieder vertragen, aber das ist mir zu viel. Er braucht sich nicht mehr bei uns melden.. Aber anderes Thema..." meint er und wird etwas ernster.

„Willst du es überhaupt behalten?Ich stehe definitiv hinter dir, egal wie du dich entscheidest. Es ist dein Körper, deine Entscheidung" fügt er hinzu und nimmt mich wieder in den Arm.

„Ich weiß es nicht" hauche ich gegen seine Brust und kuschele mich an ihn heran. „Was ist mit meinen Träumen? Ich wollte unbedingt Sozialarbeiter werden und studieren gehen. Das schaffe ich doch nie alleine" öffne ich meine Gedanken zum aller ersten Mal richtig. „Ach das ist das geringste Problem. Du kannst studieren und Mutter sein. Wenn du in der Uni Kurse hast, sind Amy und ich da. Ich würde niemals zulassen, dass du deine Zukunft aufgibst" versichert mir Julian. Er gibt mir einfach das Gefühl, dass ich es schaffen könnte.

Love me or leave me                       |Kai Havertz|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt