Diecinueve

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Als mein Wecker klingelte, schlug ich augenblicklich die Augen auf. Ich hatte keine Sekunde geschlafen. Mein Schädel pochte vom Schlafmangel und vermutlich vom Alkohol.

Die halbe restliche Nacht hatte ich mich selbst gefragt, wieso ich nichts geahnt hatte. Wieso ich mit einem fast Fremden nachts betrunken in eine abgelegene Ecke zum Rauchen gegangen war. 

Ich hievte mich hoch. Mir war schlecht und ich fühlte mich grauenhaft. Vorsichtig belastete ich meinen Fuß. Es tat kaum noch weh - scheinbar hatte ich mir nichts ernstes getan. 

Immerhin.

Ich stand auf und ging in Richtung Bad. Ich zuckte zusammen als ich mich im Spiegel ansah. Meine Haare waren noch ein wenig feucht und mein Make Up, was ich nicht mehr abgemacht hatte, war durch die Dusche komplett über mein Gesicht verschmiert.

Als ich mich abgeschminkt hatte, kamen tiefe Ringe unter meinen Augen zum Vorschein. Als ich nach meiner Zahnbürste griff, bemerkte ich die dunklen Flecke um mein linkes Handgelenk, welches Nate mit seiner Hand festgehalten hatte. Mein andere Hand hatte er mit seinem Körper fixiert, wodurch sie unversehrt geblieben war.

Ich wollte am liebsten zurück ins Bett. Ich wollte Laurel anrufen. Ich wollte mit jemandem darüber sprechen und in den Arm genommen werden. Doch ich konnte mir nicht einfach einen Fehltag genehmigen. Nicht bei so einem Unternehmen. Was sollte ich schon als Abwesenheitsgrund angeben? 

Ich verzichtete heute komplett auf Schminke. Ich zog mir eine weite Mom Jeans und ein oversized T-Shirt an. Ich schaffte es ein Knäckebrot runter zu würgen und ein Glas Wasser zu trinken. Bevor ich meine Tasche nahm und das Haus verließ, zog ich mir eine dünner Jacke über, welche für das Wetter eigentlich viel zu warm war. Ich öffnete die Küchenschublade und zog mein Taschenmesser heraus und verstaute es in meiner Jackentasche.

Wenn ich dieses Haus schon betreten musste, dann sicher nicht völlig schutzlos.

Ich setzte mich schließlich in mein Auto und machte mich auf den Weg zu den Álvarez. Je näher ich dem Anwesen kam, desto unruhiger wurde ich. Am liebsten wäre ich umgedreht.

Ich war erleichtert, als ich im Büro angekommen war ohne jemandem zu begegnen. Erst dort traute ich mich meine Jacke abzulegen. Das Messer versteckte ich unter ein paar leerer Blätter. 

Es dauerte etwa zwei Stunden bis ich es schaffte mich ein wenig zu entspannen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich zu meinen hämmernden Kopfschmerzen auch Rückenschmerzen dazugesellt. 

Meine Wasserflasche war bereits leer. Wenn ich mir Mittagessen kaufen würde, dann würde ich mir eine neue holen müssen. 

Gegen kurz vor elf klopfte es. Alles in mir spannte sich an.

Nate! Wahrscheinlich wollte er zu Ende bringen, was er heute Nacht angefangen hatte!

Ich griff unauffällig nach dem Messer und ließ die Klinge aufschnappen. Ich hielt es aber weiterhin unter den Zetteln versteckt. Mein Herz hämmerte in meiner Brust.

"Herein", sagte ich und meine Stimme zitterte leicht. Als Enzos Gesicht im Türrahmen erschien, zog ich schnell meine Hand vom Messer zurück.

Ich fragte mich, was er wollte. Das war das erste Mal, dass er mich besuchte. Ich arbeitete nun fast einen Monat hier, den er mich stets mit Schweigen oder hässlichen Worten gestraft hatte und nie auch nur Anstalten gemacht hatte, mit mir in Kontakt zu treten.

"Das ist ja mal eine Überraschung! Was gibts?", fragte ich betont locker. Er sah das erste Mal seit langem nicht so aus, als wünschte er sich, mich nie kennengelernt zu haben.

Lo Que Quieres - Was du wirklich willstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt