Cuarenta y seis

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Die restliche Woche flog nur so an mir vorbei. Ich befand mich in einem Schwebezustand und hatte das Gefühl auf etwas zu warten, doch nicht zu wissen auf was. Auf Enzo wurde ich immer wütender, denn anhand der Infos, die ich hatte, wirkte es so, als wäre ich ihm auch nicht ganz egal, aber er suchte kein Gespräch mit mir und ich wusste, dass er dicht machen würde, wenn ich es versuchen würde. Das Gefühl der Hilflosigkeit machte mich wahnsinnig. 

Am Freitag Abend fand dann das Geschäftsessen statt. Ich hatte mich für einen schwarzen Hosenanzug aus Chiffon entschieden und mich dezent geschminkt. Ich hatte keine Ahnung, was genau mich erwarten würde und vor allem wer. Ich wusste nicht, ob nur Mr Álvarez, der Fremde und ich dort sein würden oder auch seine Söhne.

Wenig später fand ich es heraus. Ich betrat um Punkt sieben das Lokal und mir war sofort klar, dass ich nie zuvor in so einem feinen Laden gegessen hatte. Einem der Angestellten teilte ich mit, dass ich für ein Geschäftsessen bei Mr Álvarez hier war und er zeigte mir wo, der Tisch war.

Am Tisch saßen bereits mein Chef, sowie ein Mann mittleren Alters. Er sah recht freundlich aus, aber strahlte gleichzeitig etwas machtvolles aus. Neben den beiden saßen Nate und Enzo am Tisch. Innerlich seufzte ich - das würde ja mal wieder ein toller Abend werden. 

,,Guten Abend!", grüßte ich und die Männer standen kurz auf, was ich ein wenig seltsam fand. ,,Schön, dass Sie es geschafft haben, Frau Parker. Das hier ist ein Verwandter aus Spanien, Herr Sanchez, der dort größtenteils die Geschäfte leitet. Er hat es leider wegen geschäftlicher Dinge nicht auf den Firmenball geschafft!"

Ich reichte ihm über den Tisch hinweg die Hand: ,,Schön Sie kennenzulernen!", sagte ich, während ich mich gleichzeitig fragte, um was für Geschäfte er sich genau kümmerte. Ich erinnerte mich daran, dass Frau Flemming gesagt hatte, dass der Bruder und Cousins von meinem Boss dort das schmutzige Geld verdienten. ,,Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Frau Parker!", sagte er mit starkem Akzent. 

Wenig später kam die Bedienung und ich bestellte mir noch etwas zu trinken und wir alle bestellten etwas zu essen. Herr Sanchez band mich ins Gespräch ein und stellte mir sehr viele Fragen über mein Leben. Besonders meine Familie schien ihn zu interessieren. Ich fragte mich mich, ob die Sache mit dem Geld meines Vaters in der Geschäftswelt mittlerweile kein Geheimnis mehr war, denn für ihn interessierte er sich ausgesprochen hartnäckig. 

Alles in allem, wirkte Herr Sanchez sehr empathisch, doch gerade das machte mich misstrauisch. Auch wenn ich ziemlich eng ins Gespräch verwickelt war, in welches sich auch Mr Álvarez und sein ältester Sohn einschalteten, kam ich wie schon bei unseren täglichen Mittagsessen nicht drum herum, Enzo Blicke zuzuwerfen. Es war zum verrückt werden - so als wäre er ein Magnet von dem mein Blick automatisch angezogen wurde. 

Schließlich gelangte ich an einen Punkt, an dem ich mich kaum noch auf die Unterhaltung konzentrieren konnte, weil meine Gedanken vor einigen Minuten schon wieder zu Enzo und seinem Verhalten mir gegenüber abgeschweift waren. Daher beschloss ich auf die Toilette zu gehen, um mich zu sammeln.

Ich betrachtete mich einen Moment im Spiegel, als ich meine Hände wusch. Ich musste fokussiert bleiben und anfangen selber mal ein paar Fragen an Herr Sanchez zu stellen - vielleicht könnte ich etwas wichtiges zu den Geschäften in Spanien erfahren. Mit diesem Vorsatz verließ ich das Damen WC und erstarrte, kaum war die Tür hinter mir zugefallen.

Gegenüber von der Tür wartete Nate auf mich. Er grinste mich süffisant an. ,,Was willst du?", fragte ich kühl. Ich versuchte ruhig zu bleiben - würde ich hier schreien, würde mich jemand drinnen im Restaurant hören.

,,Die Frage ist eher, was du willst. Bist du hier, um am Geschäftsessen teilzunehmen, oder um meinen Bruder anzuschmachten?", fragte er lachend und mir lief dabei ein Schauder über den Rücken. 

,,Ich weiß nicht, wovon du redest und auch nicht wieso du dich in mein Leben einmischst!" Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Nate trat näher an mich heran und ich trat instinktiv einen Schritt zurück und stieß augenblicklich mit dem Rücken gegen die Wand.

,,Ach, komm Jess. Selbst ein Blinder würde sehen, dass du ihm vollkommen verfallen bist. Hör auf dir Hoffnungen zu machen, Kleine! Er will nichts von dir!", sagte er und grinste mich dabei selbstgefällig an. Doch da war noch etwas in seinem Blick. Er wusste etwas, das ich nicht wusste. 

,,Woher willst gerade du das wissen?", fuhr ich ihn harscher an, als nötig, da er einen Nerv getroffen hatte. Innerlich bereute ich die Frage bereits, denn es war ganz offensichtlich sein Plan gewesen, mich zu provozieren.

Er stützte eine Hand neben meinen Kopf und beugte sich vor. Mein Herz setzte aus, doch er näherte sich nicht weiter. Er sah mich nur nach wie vor überaus zufrieden an. ,,Du bist so unfassbar naiv, Jess. Kein Wunder, dass es so schnell ging. Tan rápido y tan fácil!", hauchte er. Ich runzelte die Stirn.

,,Was meinst du damit?", fragte ich verwirrt. Er ignorierte meine Frage und legte stattdessen einen Finger unter mein Kinn. Eine Gänsehaut überlief mich. Die Situation gefiel mir nicht im Mindesten, aber ich konnte mir die Informationen nicht entgehen lassen, also verharrte ich in der Position und hielt seinem Blick und seiner Berührung stand.

,,Ich bin mir aber sicher, dass ich es schneller geschafft hätte, hätte ich ihm was abgekauft!", meinte er selbstgefällig und ich verstand überhaupt nichts mehr. ,,Wem was abgekauft? Wovon zur Hölle redest du, Nate?", zischte ich. 

Nate hatte ganz offensichtlich das Ziel, welches er verfolgt hatte - nämlich, mich rasend zu machen  und meinen Verstand zu vernebeln - erreicht, denn er ließ seine Arme sinken und wich von mir zurück. Er wandte mir den Rücken zu und wollte sich wortlos auf den Weg zurück in den Speisesaal machen.

,,Verdammt - jetzt sag mir wenigstens von wem du redest?", fuhr ich ihn an und er blieb tatsächlich nochmal stehen. Er wandte mir ein weiteres Mal sein Gesicht zu und seine Augen funkelten. ,,Von deinem Bruder natürlich!"

Mit diesen Worten ließ er mich vollkommen überfordert zurück. Mein Bruder?  Was zur Hölle hatte mein Bruder mit ihm zu tun? Und was hatte das mit mir zu tun? Was hatte so schnell und einfach geklappt?

Ich ging vollkommen durcheinander in Richtung meines Platzes zurück. Nate wirkte so entspannt, wie schon die ganze Zeit - nur, dass da jetzt dieses widerlich überhebliche Lächeln um seine Mundwinkel spielte. Meine Gedanken rasten. Was hatte er gemeint? Hatte das etwas mit der Drogengeschichte zu tun, mit der mich auch der BND erpresste? War Ian in diese Drogengeschichte verwickelt, über die Nate am Ball gesprochen hatte? War das nur Zufall? Aber Nate hatte vom Abkaufen geredet. Wenn es um seine eigenen Drogen ging, machte das keinen Sinn.

Wenn aber nicht Nate ihm etwas abgekauft hatte, dann musste es jemand anders gewesen sein. Und wenn das Ganze irgendwas mit mir zu tun hatte, dann war es am wahrscheinlichsten, dass es um Enzo ging. Aber warum sollte Enzo Drogen von meinem Bruder kaufen? Was hatten die beiden überhaupt miteinander zu tun?

Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hob ruckartig den Kopf und sah Enzo an, der mich das erste Mal am Abend eines Blickes würdigte. Er sah zwischen mir und seinem Bruder hin und her und in seinen Augen flackerte etwas.

Ich versuchte meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen. Das einzige Mal, dass mein Bruder und Enzo sich begegnet waren - jedenfalls soweit ich wusste - war in jener Nacht, als er bei uns geschlafen hatte. Als er Ian aufopferungsvoll nach Hause gebracht hatte. Jetzt, wo ich wusste, wer er war und wer seine Familie war, machte es keinen Sinn, bei einem Fremden zu schlafen. Er hatte genug Kohle für einen Taxi - wahrscheinlich hätte er auch einen der Fahrer des Hauses anrufen können oder einen seiner Brüder. Die einzige Erklärung dafür, dass er ein fremdes Sofa vorgezogen hatte, war, dass er nicht zufällig dort gewesen war. 

,,Ist alles in Ordnung, Frau Parker? Sie sind recht blass", stellte Herr Sanchez fest. ,,Ich - tut mir leid, aber mir ist nicht so gut. Wenn es in Ordnung ist, würde ich gerne gehen!", sagte ich und bemühte mich meine Stimme normal klingen zu lassen.

,,Wir sind ja sowieso fertig. Ruhen Sie sich aus, es war eine lange Woche. Schön, dass Sie dabei waren!", sagte Mr Álvarez. Ich schlüpfte in meinen Blazer, schnappte mir meine Tasche und verabschiedete mich. Enzo würdigte ich keines Blickes mehr.

Lo Que Quieres - Was du wirklich willstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt