Veintiuno

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Ich lag bei Laurel auf dem Sofa und sie strich mir durch die Haare. Mein Gesicht war abermals an diesem Tag tränennass. "Ich würde ihn an deiner Stelle anzeigen, Jess! Ohne Witz, der Typ muss in den Knast! Wenn Enzo dich nicht angelogen hat, dann hat er das jawohl schon mit mehreren Mädchen gemacht. Vielleicht ist er bei der Polizei schon bekannt! Enzo will doch einfach seine Familie schützen!", sagte sie immer noch wütend.

Im Laufe des Nachmittags ist ihr Entsetzen über das, was mir gestern passiert war, immer mehr zu Wut geworden. "Aber Enzo hat recht! Seine Anwälte sind vermutlich verdammt gut und Mr Álvarez ist ein einflussreicher Mann! Wer weiß, wen der alles bei der Polizei geschmiert hat! Außerdem bin ich meinen Job dann los!", sagte ich zweifelnd.

"Ich verstehe sowieso nicht, wieso du dort nicht sofort kündigst! So kann das doch nicht dein Leben lang weiter gehen. Dass du Tür an Tür mit einem Vergewaltiger sitzt und am selben Tisch mit ihm essen musst! Das geht nicht, Jess - das musst du doch selbst einsehen!", redete sie auf mich ein und tief in meinem Inneren wusste ich, dass sie recht hatte.

"Ich weiß, aber dieser Job wäre so eine gute Chance. Ich will nicht direkt nach den ersten Wochen hinschmeißen. Überleg mal, wie das auf meinem Lebenslauf aussieht. Bei Unternehmen wie A&P steigt man nicht einfach aus! Das kann ich einfach nicht machen! Wenigsten ein halbes Jahr oder ein Jahr muss ich durchhalten!"

Laurel verdrehte die Augen. "Mensch, Jess! Lebenslauf hin oder her! Du musst auch an dich denken. Oder liegt es gar nicht am Job?", fragte sie und sah mich schief von der Seite an.

Ich zog die Augenbrauen hoch. "Was soll das jetzt bitteschön heißen?" "Naja, vielleicht liegts ja auch an einem gewissen Herzensbrecher, der in dem Haus wohnt. Jedes Mal, wenn du von Enzo sprichst, egal ob positiv oder negativ, scheinst du nahezu aufzuleuchten! Kann es vielleicht sein, dass du dich ein bisschen in den Boy verknallt hast?"

Ich keuchte empört auf. "In Enzo verknallt? Sicher nicht! Er ist ein Arsch! Ein arroganter, idiotischer, manipulativer, egozentrischer Arsch! Wie könnte ich für so jemanden Gefühle entwickeln?", fragte ich und fragte mich gleichzeitig, wie Laurel auf diese dämliche Idee kam.

Sie zuckte nur die Schultern. "Keine Ahnung, vielleicht weil das genau dein Typ ist?"

Ich seufzte. "Nein Laurel, ehrlich nicht! Ich meine, ja - er sieht ziemlich gut aus, aber er benimmt sich vollkommen daneben! Ich lass mich nicht nochmal so beschissen behandeln, wie Kenneth es damals getan hat", versicherte ich ihr.

Außer vorhin als er dich in den Arm genommen hat - da hat er sich eigentlich gar nicht so daneben benommen!, redete mir eine kleine Stimme in meinem Kopf ein.

Laurel sah zwar nicht überzeugt aus, aber nickte dennoch.

"Was willst du dann machen, wenn du diesen Huron Nate weder anzeigen willst, noch den Job kündigst?", fragte sie und sah mich ratlos an. Ich zuckte mit den Schultern.

"Vielleicht warte ich ab, was Enzo damit meinte, dass er das mit seinem Bruder klärt. Und hoffe auf ein wenig Glück und werde mein Taschenmesser immer in meiner Nähe haben!", sagte ich, auch wenn sich das nicht mal in meinen eigenen Ohren nach einem halbwegs vernünftigen Plan anhörte.

"Das gefällt mir überhaupt nicht Jess!", sagte meine beste Freundin besorgt. "Ich weiß, Laurel! Mir auch nicht, aber ich will auch nicht alles wegschmeißen, was ich gerade erst angefange habe!"

"Vielleicht solltest du einen Selbstverteidigungskurs machen! Ich würde auch mit machen!", schlug sie vor. Ich zögerte. Eigentlich war das gar keine schlechte Idee.

"Pass auf, ich habe mich da vor ein paar Tagen noch mit einem Kommillitonen drüber unterhalten! Er geht boxen und hat mir unter anderem auch von einem Selbstverteidigungskurs erzählt, der dort angeboten wird! Ich frag ihn mal nach den Kursdaten und wir schreiben uns da zusammen ein, okay?" Jetzt sah sie ganz aufgekratzt aus.

Ich nickte: "Das klingt nach einem guten Plan!"

Wir schauten schließlich noch ein bisschen Netflix bevor ich mich auf den Weg zur Bahn machte.

Von Laurel bis zu mir waren es etwa zwanzig Minuten. Ich hatte Glück und es war nicht mehr so viel los, wie vorhin, sodass ich direkt einen Sitzplatz bekam. Ich wollte gerade meine Kopfhörer in die Ohren stecken, da hörte ich eine bekannte Stimme fragen: "Jess?"

Ich drehte mich um und wusste nicht so genau, wie ich reagieren sollte beim Anblick meines Exfreundes. "Hey Kenneth!", sagte ich trocken. Er stand von seinem Platz auf und kam unaufgefordert zu mir rüber.

Ich seufzte, denn eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust mit ihm zu sprechen. Ich wollte einfach nach Hause in mein Bett, da ich hundemüde war.

"Was machst du hier? Kommst du von Laurel?", fragte er neugierig. Mir fiel auf, dass er viel erwachsener aussah und wirkte, als vor zwei Jahren. Seit unserer Trennung hatte ich ihn tatsächlich nicht mehr gesehen. "Ja, ich war bei Laurel. Bin umgezogen, deswegen bin ich in dieser Bahn!"

"Ach, krass! Wohnst du allein oder-?", fragte er vorsichtig und wollte offensichtlich erfahren, ob ich in einer Beziehung war. "Ich bin in eine eigene Wohnung gezogen", antwortete ich. "Und wie läufts bei dir?", fragte ich schließlich aus Höflichkeit.

"Bei mir läufts besser als damals! Ich hab meinen Abschluss nachgeholt und hab jetzt eine Ausbildung zum Krankenpfleger angefangen!", erzählte er stolz. Überrascht sah ich ihn an. "Wow, herzlichen Glückwunsch. Wer hätte gedacht, dass du deinen Arsch nochmal hochbekommst!", sagte ich anerkennend.

Er lachte, wurde aber auch ein wenig rot. "Naja, ich schätze es musste so kommen. Ein Wunder, wie du es mit mir so lang ausgehalten hast. Ich hab mich dafür nie so richtig entschuldigt! Tut mir leid, wie ich dich damals behandelt habe!"

Und das war Entschuldigung Nummer zwei an diesem Tag. Erst Enzo und jetzt Kenneth. Was war denn heute nur los?

"Ach, schon vergessen! Das ist lange her", sagte ich achselzuckend. Er nickte. Ich wusste, dass er die nächste Haltestelle aussteigen musste.

"Sag mal, Jess - hättest du vielleicht Lust dich mal wieder zu treffen?", fragte er vorsichtig.

"Also wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich nicht, dass das eine gute Idee ist. Wir hatten unsere Zeit. Ich glaube wir sollten es dabei belassen", sprach ich entschuldigend, aber auch ehrlich meine Gedanken aus.

Seine Haltestelle wurde angesagt und die Bahn wurde langsamer. Er seufzte: "Vielleicht hast du recht. Es war trotzdem schön dich zu sehen! Bis dann."

"Fand ich auch. Bis dann", erwiederte ich und wir nickten einander nochmal zu, bevor er ausstieg.

Endlich hatte ich meine Ruhe. Ich steckte meine Kopfhörer in die Ohren, drehte einen etwas älteren Song von Yungblud auf und ließ meinen Kopf gegen die Scheibe sinken.

A.N.:

Hey meine Lieben,

ich würde zu diesem Kapitel noch gerne eine Anmerkung machen. Da ich nie wissen kann, wer dieses Buch alles liest und nicht möchte, dass irgendwelche Missverständnisse aufkommen, möchte ich klarstellen, dass ich keinesfalls dafür bin, dass man eine (versuchte) Vergewaltigung oder generell sexuelle Gewalt verharmlosen sollte! Meiner Ansicht nach sollte man in jedem Fall Anzeige erstatten und sich nicht einreden lassen, dass es nicht schlimm gewesen wäre oder man sowieso keine Chance hätte, das zu beweisen. Die Entscheidung, die Jessica in meiner Story getroffen hat, entspricht nicht meiner eigenen Auffassung in Bezug auf dieses Themas und dient hier einfach dazu, dass die Story in die Richtung weitergeht, wie ich sie gerne hätte, damit passieren kann, was noch passiert und später alles zusammenpasst. Ich hoffe, dass niemand von euch je in so eine Lage kommen muss oder schon war, da ich mir das als eine der schrecklichsten Dinge vorstelle, die es gibt und hiermit auf keinen Fall irgendwas verharmlosen möchte!

Ich wünsche euch noch eine schöne Woche & sorry für das späte Update, aber die Uni hat wieder gestartet, weshalb ich leider kaum noch Zeit habe.

Eure Catching011Alice

Lo Que Quieres - Was du wirklich willstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt