Cincuenta y tres

96 9 0
                                    

,,Denken Sie daran, dass Sie sich im Hintergrund halten. Sie machen dem Mann schöne Augen, aber halten genug Abstand, dass es zu keinen Berührungen kommt. Wenn er versehentlich das Kabel berührt, wird er sofort wissen, dass Sie nicht zufällig dort sind!", sagte Frau Flemming am frühen Montag Abend eindringlich.

Ich nickte, während ich mich gleichzeitig furchtbar schuldig fühlte. Enzo hatte es geschafft, sowohl seinen Vater als auch seinen Bruder am Dienstag Abend in den Club zu bestellen. Ich tat vorm BND nun so, als hätte ich zufällig ein Gespräch belauscht, bei dem dieses Treffen beschlossen wurde.

Der Geheimdienst wusste nicht, dass Enzo längst über alles Bescheid wusste. Ich hatte ihnen aber erzählt, dass ich ein Verhältnis mit ihm angefangen hatte, wovon sie nicht begeistert waren, doch nachdem ich ihnen meine Idee vorgeschlagen hatte, sahen sie das Ganze tatsächlich wie geplant als Chance.

Der offizielle Plan lautete, dass ich am Dienstag Abend zu Enzo ins Büro ging, um ihm 'schöne Augen zu machen'. Der BND würde Leute in den Club schleusen - einer davon würde einen Zwischenfall verursachen durch den Enzo das Büro verlassen sollte. Ich sollte mich dort verstecken, sodass das Treffen der Männer, bei dem es um die Termine des Schiffes, welches das Schwarzgeld nach Deutschland schaffte und um Nates Drogengeschäft ging, unbemerkt aufgezeichnet werden konnte.

Wenn sie raus waren, würde das Tonband mit den Beweisen vermutlich reichen, um sie noch auf dem Nachhauseweg mit den belastenden Papieren und Drogen zu verhaften.

Der inoffizielle Plan, den Enzo und ich verfolgten, war, dass er mir natürlich ein Versteck vorbereitete in welchem ich unterkommen würde. Sobald der Zwischenfall im Club seine Anwesenheit forderte, würde er ganz brav rausgehen und das Ganze klären.

Sobald die Männer im Büro waren, würde alles wie offiziell abgesprochen laufen, nur, dass Enzo bewusst versuchte, seiner Familie unauffällig Geständnisse zu entlocken, damit ihre Verhaftung sichergestellt sein würde und das Risiko, dass sie auf freien Fuß kamen und herausfinden könnten, wer hinter dem Ganzen steckte, minimiert werden würde. Außerdem würde er natürlich so wenig wie möglich über sich selbst sprechen, damit er sich soweit es ging entlastete.

So hatte er eventuell die Chance, dass die Polizei ihn nicht verhaften konnte und die Info, dass er seine Familie verriet, niemals offiziell werden konnte, wodurch wenigstens einer von uns außer Gefahr war. Wie es mit mir weitergehen würde, würden wir dann sehen.

Jetzt musste erstmal alles bis dahin klappen. Ich besprach die restlichen Details mit Frau Flemming bevor ich nach Hause gefahren wurde. Am liebsten hätte ich Enzo gefragt, ob er noch vorbei kommen wollte, da die Angst, dass das meine letzte Nacht sein würde, tief in meinen Knochen saß. Auch, wenn ich von unserem Plan überzeugt war, konnte immer etwas schief gehen und in unserem Fall bedeutete das, dass am Ende entweder wir beide, viel wahrscheinlicher aber nur ich sterben könnte.

Da wir aber nicht sicher waren, ob der BND mich nicht noch überwachte oder eventuell sogar die Álvarez, hatten wir abgesprochen, dass jeder bei sich zu Hause schlafen würde. Ich hatte heute früher Feierabend gemacht und war nachmittags noch zu meinen Eltern gefahren. Auch Laurel und die Anderen hatte ich versucht zu erreichen, doch von den meisten wusste ich, dass sie noch Uni hatten oder arbeiten waren, weshalb ich nur mit Simon und Filiz sprach. Hoffentlich nicht das letzte Mal.

Bei Laurel war ich noch kurz auf dem Rückweg vorbeigefahren, aber sie hatte nicht aufgemacht. Ich hatte den schweren Verdacht, dass sie sich mit Jon traf, denn sie hatte mir vor zwei Wochen erzählt, dass sie es in den nächsten beiden Wochen nochmal versuchen wollten, einen Termin zu finden, an dem er auch Zeit hatte und heute war ihr fast komplett Uni-freier Tag.

Ich lag die halbe Nacht wach und war am Dienstag Morgen auf der Arbeit das reinste Nervenbündel. Am liebsten hätte ich bei Enzo geklopft, einfach um nochmal seine Stimme zu hören und um uns gegenseitig zu beruhigen, aber wir durften keinen Verdacht wecken, dass wir ein Paar waren, also blieb ich an meinem Schreibtisch sitzen.

Der Tag schneckte nahezu vor sich hin und mir war abwechselnd heiß und kalt. Als ich Feierabend hatte, hatte ich das Gefühl kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Ich packte meine Tasche zusammen, wobei ich fast den Laptop runterfegte und verließ dann das Haus der Familie Álvarez.

Wenig später saß ich mit zitternden Händen in meinem Auto, auf dem Weg nach Hause. Um neun war das Treffen und ich sollte spätestens viertel vor im Club sein. Um zehn vor würde das Ablenkungsmanöver starten.

Um viertel vor acht würde ich verkabelt werden. Das waren noch knapp drei Stunden. Ich schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Sender, auch wenn ich wusste, dass ich mich sowieso auf nichts konzentrieren konnte.

Um zwanzig nach sieben stand ich draußen und wartete auf den Fahrer, der mich abholen sollte. Mein Magen rebellierte. Ich hatte vorhin versucht, wenigstens noch einen Joghurt zu mir zu nehmen, doch ich hatte mich keine viertel Stunde später übergeben müssen, weshalb ich das mit dem Essen lieber bleiben ließ.

Als das Kabel an meinem Körper angebracht wurde, fühlte ich mich noch verletzlicher als sowieso schon. Was hatte ich mir nur gedacht? Vielleicht waren das hier die letzten Minuten meines Lebens, nur weil ich nicht wollte, dass mein Bruder ins Gefängnis ging? Wie bescheuert konnte man eigentlich sein. Doch jetzt kam diese Einsicht zu spät. Ich würde das jetzt durchziehen.

Mit klopfendem Herzen sah ich mich um, bevor ich aus meinem eigenen Wagen stieg. Es schien keiner der Álvarez in der Nähe zu sein. Ich hatte drei Straßen weiter geparkt, damit auch keiner von ihnen mein Auto sah. Dann ging ich in Richtung des Clubs. Mein Herz sprang mir fast aus der Brust, als der Türsteher drinnen meinen Ausweis verlangte. Ich betete, dass er mich nicht abtasten würde, obwohl Enzo mir versichert hatte, dass Frauen nicht abgetastet werden.

Er musterte mich zwar ein wenig schräg, aber ließ mich schließlich passieren. Der Club sah aus, wie man sich einen Stripclub vorstellte. Ich zählte sechs Stangen - an drei von ihnen rekelten sich halb nackte Frauen. An einigen Tischen standen ein paar Männer, die das Geschehen beobachteten.

Ich lief den Weg entlang, den Enzo mir beschrieben hatte und sah mich dabei aufmerksam um. Auf keinen Fall durfte mich einer von Mr Álvarez Leuten hier entdecken, dann könnte unser Plan absolut schief gehen. Ich schaffte es jedoch glücklicherweise unbemerkt zu dem Büro.

Schon nach dem ersten Klopfen wurde die Tür aufgerissen und ich betrat das Zimmer. ,,Was machst du hier, Jess?", fragte Enzo, wie wir es geübt hatten und ich war überrascht, wie gut er den fassungslosen Tonfall faken konnte. Er schloss die Tür hinter mir.

,,Ich habe dich vermisst! Wir haben uns den ganzen Tag nicht gesehen!", sagte ich und entgegen des offiziellen und eigentlich auch des inoffiziellen Plans, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

Überrascht sah er mich an, doch diese kurze Berührung hatte die aufkommenden Panik in mir ein wenig zurückgedrängt und das war genau das, was ich dringend nötig hatte. Ich durfte auf keinen Fall die Nerven verlieren.

Er hielt sich weiterhin an unseren Plan. ,,Ich habe dich auch vermisst, aber du hättest auch einfach anrufen können, anstatt hier aufzutauchen! Ich habe gerade eigentlich auch keine Zeit für dich!" Während er sprach, hielt er einen Zettel hoch. 'Ist das hier das, was du wirklich willst?', stand in Enzos geschwungener Handschrift darauf. Ich sah ihm in die Augen und nickte.

In dem Moment hallte ein lautes Kreischen durch den Raum - das Ablenkungsmanöver. ,,Treffen wir uns dann, wenn du Feierabend hast?", fragte ich und tat so, als wäre ich ein wenig beleidigt. Er sah mir noch einmal fest in die Augen und drückte lächelnd meine Hand, ehe er sagte: ,,Sorry, aber ich muss mal eben schauen, was da los ist! Bestimmt hat Chanel wieder eine ihrer Phasen - Irina hat mich bereits davor gewarnt! Ich melde mich einfach nachher bei dir, ok?"

Damit öffnete er die Tür seines Büros und schloss sie sorgsam hinter sich. Ich hatte vorhin schon das Gefühl, dass mein Herz aus meiner Brust springen würde, doch als ich in den Schrank stieg, der mit dem Schild ,,Ersatzkleidung Show 3" versehen war, stand ich gefühlsmäßig kurz vor eine Herz-Kreislauf Kollaps.

Ich versuchte tief durchzuatmen. Alles würde gut gehen. Ich presste die Beine zusammen, da meine Blase plötzlich meinte, dass das halbe Glas Wasser, was ich vorhin getrunken hatte, jetzt augenblicklich wieder seinen Weg nach draußen finden musste.

Wenig später hörte ich die Tür aufgehen und an den Stimmen erkannte ich, dass Enzo nicht allein zurückgekehrt war. Es ging los!

Lo Que Quieres - Was du wirklich willstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt