Ich war gerade dabei mir die Zähne zu putzen, als ich Schritte auf dem Flur hörte.
Es war kurz nach sieben an einem Samstag - die einzige Person, die jetzt schon wach sein konnte, war der Fremde, denn weder meine Eltern und ganz sicher auch nicht mein Bruder würden jetzt auch nur mit dem Gedanken spielen, aufzustehen.
Mit der Zahnbürste im Mund machte ich die Badezimmertür auf und tatsächlich - der Fremde hatte schon den halben Flur durchquert. Das Geräusch der sich öffnenden Tür veranlasste ihn jedoch offensichtlich dazu, sich umzudrehen.
"Wieso bist du schon wach?", fragte er stirnrunzelnd. "Was suchst du wenn ich fragen darf?", nuschelte ich, bemüht beim Reden keine Zahnpasta auszuspucken.
Schnell ging ich zum Waschbecken und spuckte aus. Nachdem ich meinen Mund ausgespült und abgewaschen hatte, ging ich zurück in den Flur.
"Keine Sorge - ich habe nicht vor euch zu bestehlen, falls du das jetzt denkst!", erwiederte Enzo augenverdrehend. Ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Achso - also machst du auf Arschloch und verschwindest heimlich ohne ein weiteres Wort?"
Mein Gegenüber lachte auf und fragte ein wenig belustigt: "Schlechte Erfahrungen mit One Night Stands gemacht oder bist du einfach immer so misstrauisch und pessimistisch?""Weder noch - ich rieche bloß, wenn etwas an einer Person faul ist. Und kaum bist du in der Nähe stinkt es hier gewaltig - das nennt man auch Instinkt!", schlug ich zurück.
Enzos Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien das Ganze ihn tatsächlich zu belustigen." Achso, und dein Instinkt hat dich noch nie getäuscht, ja? Ich bin einfach nur ein netter Typ, der deinem Bruder vermutlich eine Nacht in einem fremden Garten erspart hat!"
"Wenn ich ehrlich bin, täuscht mich mein Instinkt tatsächlich selten! Aber schön - angenommen ich glaube dir, warum schleichst du dich jetzt weg?"
"Wegschleichen? Ich bin aufgewacht und will duschen und essen und da ich davon ausgegangen bin, dass an einem Samstagmorgen alle schlafen, habe ich mich bemüht leise zu sein. Konnte ja nicht wissen, dass ich mir das hier unten hätte schenken können, da du offenbar vorhattest laufen zu gehen?", meinte er mit einem Blick auf mein Outfit.Ich zuckte mit den Schultern: "Kann schon sein!" Er zögerte einen Moment. "Na dann, viel Spaß! Ich hoffe du hast nicht vor, mich zu verfolgen!", sagte er mit einem spitzbübischen Grinsen auf den Lippen.
Ich lachte auf und sagte sarkastisch: "Ganz sicher war das mein Plan! Ich kenne deinen Namen - das reicht mir! Wenn ich nachher bemerke, dass etwas fehlt, kontaktiere ich dich schon! Die Adresse wird dann nicht das Problem sein."
Ich schenkte ihm ein zuckersüße Lächeln.
"Wenn du mich erst dann kontaktierst, sollte ich vielleicht nochmal zurück nach oben gehen und eine der Vasen, die da im Flur stehen, mitgehen lassen!"
Für einen Moment war ich ein wenig baff. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich zu sammeln. Mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen drehte er sich um und steuerte auf die Haustür zu.
"In dem Fall rufe ich vermutlich doch direkt die Polizei, bevor ich noch ein paar wertvolle Minuten meines Lebens mit einem Gespräch mit dir vergeude!", rief ich dem arroganten Kerl hinterher, ehe die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
Ich schnaubte. Was für ein Idiot. Die Aussage hatte eindeutig darauf abgezielt mich sprachlos zu machen und ihn unser Wortgefecht gewinnen zu lassen.
Ehe ich anfangen konnte mir über diesen Enzo den Kopf zu zerbrechen, öffnete ich ebenfalls die Haustür und begann nach einem kurzen Aufwärmtraining meine übliche Runde zu joggen.
***
"Das war das letzte Mal, dass ich dich gedeckt habe!", sagte ich, als ich am Nachmittag in die Küche kam, in welcher mein Bruder sich gerade einen Kaffee machte.
"Wieso? Ich hab doch nichts getan!", sagte er, noch halb schlaftrunkend. Ich lachte auf.
"Ähm Ian - bist du dir dessen bewusst, dass du völlig betrunken nach Hause gekommen bist und einen wildfremden Typen in unser Haus geschleppt hast, der auch noch so dämlich war, eins der Bilder runterzuschmeißen, was wiederum Dad geweckt hat?!"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ach - der Typ war echt in Ordnung. Das war doch nur ein Versehen. Ohne ihn hätte ich es vermutlich nicht mal nach Hause geschafft, also sei ihm lieber dankbar, als über ihn zu schimpfen!"
Ian verzog das Gesicht und rieb sich über die Stirn. Offensichtlich hatte er einen Kater.
"An dieser Aussage solltest du selbst in deinem jetzigen Zustand merken, was mich dazu veranlasst dich nicht nochmal zu decken und was genau du gemacht hast. Also schieb dir dein 'Ich hab doch nichts gemacht' sonst wohin. Wenn Mum und Dad rausfinden, dass du nicht nur besoffen nach Hause gekommen bist und ich dich gedeckt habe, sondern auch noch, dass ein fremder Typ hier war - sie werden uns umbringen! Du weißt, wie paranoid sie sind!", keifte ich meinen Bruder mittlerweile an.
Ihm schien der Ernst der Lage nicht bewusst zu sein.
Genervt verdrehte er die Augen: " Sprich ein bisschen leiser, ja? Und ja - sie sind paranoid. Viel zu paranoid. Kein Mensch weiß, was in Dads Firma abgeht und es wird sich kein Typ aus irgendeiner Bar denken - ach, den Sack bringe ich jetzt nach Hause, weil es ja zufällig sein könnte, dass seine Eltern stinkreich sind. Da gibt es ganz bestimmt was zu holen!"
Ich zuckte mit den Schultern."Vielleicht nicht unbedingt so, wie du es gerade geschildert hast, aber man kann nie wissen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass mit dem etwas überhaupt nicht stimmt! Hast du geguckt, ob dein Geld und deine Uhr -", setzte ich an, doch Ian unterbrach mich völlig entnervt.
"Verdammte Scheiße, Jess, jetzt fang du nicht auch noch an. Du klingst schon genau wie Dad!"
Mit diesen Worten stand er auf, rauschte mit seinem Kaffee in der Hand an mir vorbei und verließ die Küche.
Ich atmete tief ein und wieder aus.
Mein Bruder konnte mich von mir aus für paranoid halten, vielleicht war ich es ja tatsächlich, aber irgendwas stimmte nicht mit dem Typen.Wie ich Enzo bereits gesagt hatte, mein Bauchgefühl täuschte mich selten und mein Instinkt sagte mir, dass er irgendwas im Schilde geführt hat.
Ich verließ die Küche ebenfalls und rief Laurel, eine meiner besten Freundinnen an, die mir gestern erzählt hatte, dass sie und die anderen heute in den neuen Club gehen wollten, von dem die halbe Stadt bereits schwärmte. Sie hatte gefragt, ob ich auch von der Partie sei und dazu sagte ich natürlich nicht nein.
Ein paar Minuten später hatte sie mich davon in Kenntnis gesetzt, dass wir uns wohl bei Simon treffen würden, um vorab schon mal einen gewissen Alkoholpegel zu erreichen.
Außerdem hatte Laurel mir erzählt, dass Diana ihren Bruder Liam mitbringen würde, was gleich ein doppeltere Grund war, mich auf heute Abend zu freuen.
Diana wusste es natürlich nicht, aber ich stand jetzt bereits seit über einem halbem Jahr auf Liam, hatte mich bisher jedoch noch nicht getraut, ihm das auf irgendeine Weise deutlich zu machen.
Nachdem Laurel und ich unser Gespräch beendet hatten, ging ich zu meinem Kleiderschrank und suchte mir eine rot-karierte, eng anliegende Hose heraus, welche ich mit einem schwarzen Top mit silbernen Accesoirs kombinierte.
Ich wusste, dass die meisten Mädchen sich in enge, sexy Kleider oder Röcke zwängen würden, aber zum Einen fand ich das zum Tanzen einfach viel zu unpraktisch und zum Anderen stach ich gerne aus der Masse hervor.
Dieser Abend würde mich hoffentlich ein Stück näher an ein Date mit Liam heranbringen - ich nahm mir jedenfalls vor, alles daran zu setzen.
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Lo Que Quieres - Was du wirklich willst
Romance"Ach, ich hatte vergessen, dass du schlechte Erfahrungen mit One Night Stands gemacht hast. Tut mir natürlich leid, dich jetzt in so eine Situation gebracht zu haben!" Enzo lehnte sich nun mit hinterm Kopf verschränkten Armen auf dem Sofa der Sitzec...