Die nächsten Tage passiert nichts Besonderes. Ich wache vom Lärm, der vom Haus ausgeht, auf und zwinge mich selbst zum Aufstehen und versuche, mich in der Mittagshitze nicht allzu viel zu bewegen. Jede Bewegung löst eine neue Schweißperle auf meiner Stirn aus, die mir dann über das Gesicht rollt und sich am Kinn von mir trennt. Im Sommer verbringe ich die meiste Zeit draußen, um jeden Sonnenstrahl, der mich erreicht, in mich aufzunehmen. Im Winter ist das Gegensätzliche der Teil, ich hasse die kalte Luft, wie sie einem in die Lunge schneidet, bei jedem Atemzug und dafür sorgt, dass man bestimmte Teile seines Körpers irgendwann nicht mehr fühlen kann. Ich meide im Winter die Natur und die Freiheit, so gut es mir möglich ist und begebe mich nur für die nötigsten Dinge nach draußen und für meine Laufrunden. Auch heute plane ich eine Runde durch den Wald, der direkt an unser Anwesen angrenzt, zu rennen. Das Laufen dient nicht nur einfach meiner Gesundheit und dafür, mich selbst auf trapp zu halten, es ist die Gelegenheit für mich, alles hinter mir zu lassen, was mich beschäftigt und jeden Gedanken, der in meinem Kopf herumschwirrt und mir zusetzt, zu vergessen. Ich bin dann in meiner eigenen kleinen Welt und fühle mich wirklich frei wie losgelöst von allem, was mich hält. Doch noch ist es zu heiß.
Es ist Nachmittag, und ich liege mitten auf der grünen Wiese in einem blaugrauen, leichtem Kleid. Das Kleid ist eines meiner Liebsten. Es hat weite, offene Ärmel und besteht aus einem sehr dünnen Stoff, unter dem ich jeden noch so kleinen Luftzug spüren kann. Mein Kopf liegt auf meinen verschränkten Händen. Die Augen sind geschlossen und ich genieße die Sonne auf meiner Haut. Ich kann nicht lange hier liegen bleiben, sonst wird die Sonne meine helle Haut verbrennen, und auf diese unangenehmen Schmerzen, die Tage oder sogar Wochen andauern, verzichte ich mit größtem Vergnügen. Meinen Gedanken lasse ich freien Raum und nehme jeden einzelnen auf und führe ihn weiter. Dabei denke ich über alles Mögliche nach, über Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, mögliche Treffen in der Zukunft, über meine Familie und besonders über Hellen, die schwanger mit dem Kind meines Bruders ist.
Die Schwangerschaft steht ihr sehr gut, ihre Schönheit, die im Normalzustand schon atemberaubend ist, erstrahlt noch mehr jetzt, wo sie ein Kind in sich trägt. Ich freue mich für sie, sie ist ein sanftes Gemüt, aber hat meinen Bruder trotz alledem in Griff. Sie hatten Glück, es war eine Ehe aus praktischen Gründen, aber sie kannten sich vorher schon sehr gut, und wenn man die beiden jetzt betrachtet, könnte einem die Idee kommen, es sei wahre Liebe. Wie sich beide anlachen und egal, was zwischen ihnen war und einen oder mehrere Tage Probleme bereitet hat, bewältigen beide mit Bravour. Ich möchte keine Kinder. Ich weiß sehr wohl, dass es in unserer Gesellschaft die Aufgabe, ja vielleicht sogar Pflicht einer Frau ist, ihrem Ehemann einen oder mehrere Erben zu schenken, nur sehe ich mich nicht in der Rolle als Mutter oder brave Ehefrau. Ich will, wenn aus Liebe heiraten, Liebe soll meine einzige Intension sein.
Ich habe Glück, da mein Bruder der Lord hier ist, er hat das Sagen, er ist das Oberhaupt unserer Familie, und mein Bruder liebt mich und ich ihn. Er würde beinahe alles für mich tun, ich muss ihn nur bitten, genauso tut er auch vieles nicht. Er hat nicht mit einem Wort erwähnt, dass ich jemanden heiraten müsste, nicht jetzt und auch nicht in naher Zukunft, und dafür bin ich, ob es ihm klar ist oder nicht, äußerst dankbar. Ich bin eine junge Frau, habe hoffentlich noch viel Zeit und möchte diese nicht an jemanden verschwenden, aber was genau ich mit ihr anfangen will und werde, weiß ich nicht. In dieser Hinsicht bin ich mir genauso unsicher, wie ich mir sicher bin, dass ich nicht verheiratet werden will. Die Frage, was ich tun möchte, kann ich mir nicht wirklich beantworten. Ich hasse es so sehr, dass ich keine Aufgabe habe. Ich liebe meine Freiheiten, aber über die Jahre habe ich mich, was Arbeit oder Verantwortung angeht, äußerst bescheiden entwickelt. Ich denke weiter darüber nach, über Arbeit, über die Arbeit meines Bruders. Er hat eine Aufgabe, mehrere sogar.
Ich nehme mir vor, Phileas heute beim Abendessen darauf anzusprechen, darauf, dass ich etwas tun möchte. Ich möchte in das Familiengeschäft mit einsteigen, wer weiß, vielleicht bin ich ja begabt, was das Handeln angeht oder was auch immer getan werden muss. Der Gedanke daran ist ein kleines Glücksgefühl, und ich halte daran fest.
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Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️
FantasyEine Welt, in der Hinrichtungen und Verbrechen an der Tagesordnung stehen, das ist Alecs Welt. Bis jetzt lebte sie in Ruhe und abgeschottet auf den wohlhabenden Anwesen ihres Bruders, doch wird sie immer öfter mit den schrecklichen Szenen konfrontie...