Kapitel 47

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In einer Nacht, in der der Mond rund und prall am Himmel scheint, kann ich wieder einmal nicht einschlafen und entferne mich etwas vom Feuer. Ich muss alleine sein. Und da ich alleine bin, hält mich auch nichts davon ab, meinen Gefühlen nachzugeben und zu weinen. Doch sobald ich Tränen um meine Familie vergieße fühle ich mich schwach und bin sauer auf mich selbst, genauso sauer, wenn ich vergesse, wie traurig ich sein muss und ich sie nur für einen kurzen Moment vergesse. Egal was ich tue, es ist falsch. Ich musste früher nie weinen und das habe ich auch nicht, aber jetzt... Ich mag das Weinen nicht. Danach schäme ich mich, für meine Schwäche, die Schwäche nicht einfach darüber reden zu können, mich an die schönen Dinge zu erinnern und mit einem Lächeln und Hoffnung um sie zu trauern. Ich kann es nicht.

Als ich mit meiner Selbstbemitleidung fertig bin, warte ich noch kurz, um zu verhindern, dass man erkennt, was ich grade getan habe und gehe auch erst dann wieder zurück. Als ich wieder da bin, fehlen zwei. Ravan und Lerya sind weg. Das bringt mich trotz allem wieder zum schmunzeln. Ich hatte schon sehr lange keinen Sex mehr. Ich kann mich auch selbst etwas verwöhnen, wenn mir der Sinn danach steht, aber es mit einer zweiten Person zu tun, ist um einiges besser und befriedigender. Nur auch das wird in unserer jetzigen Lage etwas schwerer.

Ich setze mich neben Seth, der nur da sitzt und irgendwas trinkt. "Willst du?", fragt er mich und hält mir die Feldflasche einladend hin. "Ich habe selbst Wasser" Er lacht leise auf. "Das ist aber kein Wasser" Ich nehme ihm die Flasche sofort aus der Hand und trinke drei große Schlucke, von was auch immer da drinnen ist. Es ätzt mir fast die Kehle weg, aber das Gefühle der stechenden Hitze tut gut und ich füge noch einen vierten Schluck hinzu, bevor ich ihm die Flasche wieder zurückgebe und in sein schönes Gesicht schaue. Er grinst und hat die Augenbrauen hochgezogen. "Beeindruckend." Ich verdrehe die Augen und muss trotzdem lächeln.

Der Alkohol tut seine Arbeit und ich fühle mich etwas besser. Ich und Seth trinken und reden immer abwechselnd vor dem Feuer und ich muss so doll lachen, dass ich fast ersticke, an dem Alkohol, den ich nicht schaffe runterzuschlucken. Xarish sind wird wohl zu laut, denn der zieht sich irgendwann nach einem weiterem Lachanfall von mir zurück und verlässt das wärmende Feuer, für Ruhe. "Der hatte wohl genug", sage ich etwas undeutlich und gucke in die Richtung, in der er gegangen ist. "Du lachst ja auch ziemlich laut." Für den Kommentar haue ich Seth, nicht wirklich doll, auf seinen Oberschenkel. Ich schaue ihn wieder an und daraus entsteht ein Moment, in dem wir uns unangenehm lange in die Augen starren. Als ich Schritte höre gucken wir uns beide um, aber es sind nur Ravan und Lerya, die da kommen. Sie laufen mit einem guten Abstand, zwischen sich, aber der verbirgt nichts. Ich bin so angetrunken, vielleicht auch betrunken, dass ich nicht mal das für mich behalten kann. Lerya sieht mich etwas ernster an als Ravan, der versucht nämlich nicht zu grinsen. Beide sind glaube ich sogar etwas rot geworden. "Aber du und Seth haben euch ja auch ganz gut amüsiert." Ich nicke und nehme noch einen Schluck, der besteht aus den letzten Resten der Flasche. Ravan und Lerya setzen und legen sich auch mit ihrem meterlangen Abstand hin.

Albern. Ich habe noch genug Verstand um wenigstens jetzt leiser zu sein, um sie nicht zu wecken, wenn sie denn überhaupt schon schlafen. Also rede ich im Flüsterton, das was ich in dem Zustand als Flüstern betrachte, mit Seth weiter. Mein betrunkenes Ich ist sehr viel mutiger, als mein nüchternes Ich und so rutscht mir nach etwas ruhigeren Gesprächsthemen eine sehr persönliche Frage raus, was ich aber sofort wieder bereue. "Vermisst du deine Familie eigentlich?" Ich schaue ihn nicht an, und glaube auch nicht, dass er mir antwortet, aber er beweist mir das Gegenteil. "Ja..." Er legt eine kurze Pause ein, in der ich wieder zu ihm hoch schaue. "Am meisten Gresa, Theara stand mir nie ganz so nahe und mein Vater ist ein komplizierter Mann. Besonders aber Theara nicht, ich mag sie nicht." Er hört sich ernst, aber irgendwie wie ein kleines Kind an, das versucht jemanden zu verletzen. "Ist sie nicht deine Mutter?" Er schüttelt den Kopf und seine schwarzen, fluffigen Haare bewegen sich mit. "Meine Mutter ist schon vor langer Zeit gestorben ich muss noch ein Baby oder Kleinkind gewesen sein. Daher, kann ich auch nicht viel über sie sagen."

Ich berühre wieder seinen Oberschenkel, aber diesmal sanft und tröstend. Ich beschließe, dass das erstmal reicht. Ich will seinen plauderbereiten Zustand nicht ausnutzen. "Wir sollten uns auch hinlegen." Nach meinen Worten tun wir es, aber nicht wie sonst. Er legt sich nicht hinter meine Beine oder noch weiter weg, er legt sich direkt hinter mich. Zwar immer noch ohne Körperkontakt, aber ich spüre seine Wärme und seinen Atem, und beides hat eine beruhigende Wirkung.

Seine Anwesenheit stellt sich auch ein zweites Mal als hilfreich heraus. Meine Albträume holen mich wieder ein und ich winde mich hin und her. Ich spüre wie mein Atem schneller geht, aber als sich ein Arm um meinen Bauch legt und ich weiß, wem er gehört kann ich mich wieder etwas entspannen. Wach bin ich trotzdem und das bleibt auch die restliche Nacht so. Seth nimmt seinen Arm aber nicht von mir, und ich störe mich nicht daran, ganz im Gegenteil.

Am Morgen, noch bevor die Sonne aufgeht, setzt sich die Hand des Arms, der nun über meiner Hüfte liegt, in Bewegung und fängt an meinen Bauch zu streicheln, was mich etwas kitzelt. Die Berührung ist nur leicht, aber sie füllt mich mit einem Anflug der fast vergessenen Wärme, die mich durchströmt, wenn mich jemand berührt. Seit ich mit Lerya auf dem Badezimmerboden saß, hat mich keiner mehr berührt.

Ich will wissen, ob er wach ist und wende mich unter seinem Arm zu ihm. Er hat die Augen geschlossen und atmet ruhig. Ich kann es mir nicht verkneifen und lege ihm mit meinem Zeigefinger vorsichtig die Haarsträhne zurück, die ihm vor dem Gesicht hing. Er öffnet seine Augen nicht, aber ob er wirklich schläft, weiß ich nicht.

Reden tun wir über das was gestern Nacht passiert ist nicht, aber mir geht es durch den Kopf, und ich hoffe ihm auch.

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An einem Tag, nicht lange nachdem er mich nachts mit einer kleinen, wahrscheinlich nichtsbedeutenden Berührung, beruhigt hat, machen wir eine kleine Pause am Tag, weil wir unsere Blasen entleeren müssen und unsere Flaschen an dem Gewässer, an dem wir Halt machen, auffüllen wollen. Wir verteilen uns etwas, aber sind nie außer Sichtweite der jeweils Anderen.

Ich knie mich vor den Fluss und fülle nicht nur meine zwei Flaschen auf, sondern wasche mein Gesicht auch flüchtig. Ich schaue über die Schulter und sehe, dass hinter mir Seth zwischen den Bäumen zum Vorschein kommt, neben ihm Ravan, der aber in eine andere Richtung geht. Um meine Hände wieder ins Wasser zu tunken, gucke ich wieder zum Wasser und dann sehe ich Seth, der hinter mir steht, sich im Wasser spiegelnd. Er schaut mich durch das Spiegelbild an. Sein Blick versetzt mich in einen komischen Zustand der Lust und ich stehe schnell auf, spritze mir vorher noch einmal Wasser ins Gesicht, um meinen Anflug von begehrenden Gefühlen zu löschen und drehe mich langsam zu ihm um. Seine Augen liegen auf mir und ich spüre direkt, wie mir wieder leicht heiß wird, ich will gehen, aber meine Beine gehorchen mir nicht. Ich bleibe einfach vor ihm stehen.

Er müsste sich nur runter beugen und unsere Lippen würden sich berühren, es wäre so einfach, ein komischer Gedanke. Er senkt den Kopf tatsächlich langsam, aber nicht um mich zu küssen. "Wir müssen weiter", haucht er mir ins Ohr. Seine tiefe, vibrierende Stimme lässt mich erschauern. Warum fühle ich mich so? Wie wenn alles in meinem Körper knistert und mich zu ihm drängt. Er schaut wieder von oben auf mich herab. Seine schwarzen Augen liegen jetzt auf meinen Lippen, auf die untere beiße ich mir vorsichtig drauf. Ich sehe, wie es in ihm aufblitzt, doch bevor er sich seine Diskretion anders überlegen kann, gehe ich an ihm vorbei, dabei drücke ich meine Schulter an seiner Brust entlang und meine Hand streift unten entlang.

Ich hatte mich grade nicht unter Kontrolle, alles war weg und wollte nur noch eins, ihn. Sofort beginnt ein innerer Konflikt. Darf das passieren? Wäre es nur physisch? Auf beides antworte ich mit nein. Ich muss mich zusammenreißen.

Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt