Kapitel 23

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Ich spüre eine Berührung. Irgendjemand fährt mit seinen Händen über meinen Rücken. Die kalte Substanz, die aufgetragen wird, ist wohl eine Salbe, und lässt mich erschauern. Ich will noch nicht aufstehen, eigentlich will ich Garnichts tun, nicht mal aufwachen. Ich lasse die Augen geschlossen und als die Hände und die Person sich wieder zurückziehen, schlafe ich wieder ein.

Als ich aufwache liege ich auf der Seite, ich habe obenrum immer noch nichts an, bin aber mit Decken vollständig bedeckt. Niemand ist im Zimmer, ich bin alleine. Ich weiß nicht, wie lange der Angriff her ist oder was genau in dieser Zeit, danach, geschehen ist. Ohne meinen schmerzenden Rücken, hätte ich vielleicht auch den Angriff selbst vergessen. Ich versuche mich aufzusetzen, und dabei ist es mein Bauch, der mir weh tut, so sehr das ich zische. Ich sitze auf einem Bett, in einem Gästezimmer und schaue mich genau im Raum um. Auf dem Nachttisch recht vom Bett steht eine Karaffe mit Wasser, ein Glas und ein Waschlappen. Ich schaue an mir runter und betrachte die lilablauen Blutergüsse und Flecken, die sich auf meinem Bauch gebildet haben, sie stammen von den Tritten.

Die Erinnerung flößt mir jetzt noch Angst ein, obwohl es vorbei ist, obwohl ich im Moment sicher, Zuhause in einem gemütlichen Bett liege. Doch wie sicher ist das hier wirklich? Gresa hatte mir gesagt, dass sie wussten, dass ich alleine sein werde, auch wenn sie nicht mit Clarissa gerechnet haben. Sie waren sich so sicher mit ihrer Sache, dass sie auf unser Anwesen gekommen sind. Sie haben mich bei mir Zuhause angegriffen und das macht mir grade große Sorgen. Ich drehe mich so, dass meine Beine vom Bett hängen und ich nicht mehr unter den vielen Decken liege. Mir ist erschreckend kalt und die Haare an meinen Armen stellen sich auf. Ich stehe auf, und zwar stehe ich auf wackligen Beinen, aber ich stehe. Ich nehme mir eine der Decken und schwinge sie mir über die Schultern, vor meiner Brust halte ich sie zu, so dient sie mir als Mantel. Mit noch zittrigeren Schritten erreiche ich die Tür und ziehe sie auf. Ich strecke den Kopf vorsichtig raus, doch kann niemanden sehen.

Es ist ruhig und ich höre nur aus weiter Ferne leise Stimmen, die ich aber keiner bestimmten Person zuordnen kann. Ich gehe den Flur in Richtung Empfangssaal und somit auch zu den Treppen, die mich in mein Zimmer führen. Auf nackten Füßen tapse ich durch die Gegend. Als ich den Saal erreiche ist auch dort niemand, doch die Tür von Phileas Arbeitszimmer steht offen und er sitzt an seinem Schreibtisch. Ich bin so leise ich kann, doch es reicht nicht, er blickt hoch und springt fast vom Stuhl, als er mich sieht. "Was machst du hier? Geh wieder, leg dich hin!" Grade einmal zehn Minuten wach und ich werde angeschrien und soll mich wieder hinlegen. "Ich lag erstmal genug."

"Oh nein Fräulein, los ich bring dich." Ich möchte nicht, aber ich muss mir eingestehen, dass ich grade nicht in der besten Verfassung bin um mit ihm zu diskutieren, geschweige denn mich körperlich gegen ihn zu währen. Er greift mir stützend unter die Schulter und will mich zurück in dieses Zimmer bringen. Ich will aber in mein Zimmer, also bewege ich meine Beine einfach nicht mehr, ziehen kann er mich schlecht. "Ich gehe auf mein Zimmer." Er scheint nicht begeistert, aber hilft mir die Treppen hoch. Er bringt mich in mein Zimmer und ich setze mich auf die Bettkante. "Wie lange ist es her?", frage ich einfach. "Ich und Hellen sind seit drei Tagen wieder hier. Und es ist vor vier Tagen passiert"

Es, er will oder kann es nicht aussprechen. Vier Tage war ich also nur am schlafen. Mit meiner einen Hand halte ich mir noch immer die Decke vor der Brust geschlossen, und die andere liegt in meinem Schoß. Ich zupfe mir an der Hose rum, die ich seit mehr als vier Tagen trage. "Wo ist Hellen? Geht es ihr gut?" Ich wüsste nicht warum es ihr nicht gut gehen sollte, aber ich erkundige mich trotzdem. Vielmehr interessiert mich aber, ob sie vielleicht schon ihr Baby gekriegt hat. Sie ist soweit ich weiß jetzt schon ein paar Tage über den eigentlichen Termin. "Ihr geht es gut. Sie ist grade einen Spaziergang machen. Sie ist etwas sauer auf den kleinen Kerl, dass er noch nicht kommen möchte." Er lacht sogar ganz kurz, was ich auch versuche, aber er scheint sich sehr schnell wieder umzustimmen und guckt mich mit Ernst und Sorge an.

"Das freut mich, ich hoffe für sie, dass es bald soweit ist." Er nickt nur. "Ruh dich noch etwas aus ich schicke jemanden, der dir was zu Essen und zu Trinken bringt." Er dreht sich zum drehen um, aber ich will nicht alleine sein. Nicht jetzt. "Nein" Er guckt mich fragend an. "Ich meine... bleib bei mir." Ohne nachzufragen kommt er zu mir und setzt sich neben mich. Er bleibt und ich lehne mich an seine Brust. Ich weiß nicht genau warum, aber mir laufen Tränen über die Wangen, aber ich weine nicht wirklich. Ich schluchze nicht, lache nicht, ich drücke nur Tränen aus meinen Augen, die unten auf meiner Hose landen und kleine nasse Punkte hinterlassen.

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Am darauf folgenden Tag, wasche ich mich, mit etwas Hilfe, und ziehe mir gemütliche Klamotten drüber. Ich konnte die Nacht nur auf dem Bauch und auf den Seiten schlafen, und eigentlich liege ich sehr gerne auf dem Rücken. Gestern war nur Phileas bei mir, aber für heute habe ich mir vorgenommen, auch die Anderen zu sehen. Hellen schlägt vor, eine Runde raus zu gehen, es täte mir gut und außerdem bewegt sie sich die letzten Tage so viel sie nur kann, um Wehen heraufzubeschwören, was bis jetzt offensichtlich noch nicht funktioniert hat. Ich hatte Rausgehen eigentlich nicht im Sinn, stimme aber zu. Bewegung schadet mir auch nicht. Als wir draußen durch die Gärten laufen tut mir die frische Luft echt gut. Ich rede mit Hellen über eigentlich komplett unwichtige Dinge, nur damit wir dem ernsteren aus dem Weg gehen. Ich wurde direkt vor unserer Haustür gefoltert und misshandelt, als sie nicht da waren. Obwohl wir über all das nicht reden, muss ich grade bei unserem Spaziergang an all das denken. Ich muss an die zwei Männer denken, die ich erschossen habe, und empfinde etwas Komisches dabei. Ich will nicht, dass ich mich schuldig fühle, aber ich tue es, ich habe Leben beendet. Und dann die Erinnerungen an die Angst, den Scham und den Schmerz, den ich empfunden habe. Ich hasse es, ich hasse all das. Hellen meidet auch nur in die Nähe des Waldes zu gehen, wofür ich dankbar bin.

Wir bleiben nicht lange draußen und setzen uns danach unten auf ein Sofa vor einen Kamin, in dem ein kleines Feuer brennt. In meinen Händen halte ich eine Tasse Tee und höre Hellen nur mit einem Ohr zu, sie erzählt grade irgendwas über neue Stoffe und Inspirationen, die sie in der Hauptstadt gesehen hat.

Später kommt meine Mutter noch zu uns, ich sehe sie jetzt das erste mal seit dem ich aufgewacht bin. Sie umarmt mich, achtet aber penibel darauf meinen Rücken nicht zu berühren. Ich lasse mich in ihre Arme fallen und genieße diese Zuneigung in vollen Zügen. Sie fragt mich dann die restliche Zeit, die ich bei ihnen unten bin, ob es mir wirklich gut geht oder ob ich etwas bräuchte. Ich versuche sie diese Zeit nur davon zu überzeugen, dass es mir so gut geht, wie es eben geht und dass ja jetzt alles in Ordnung wäre. In Ordnung wäre, das ist es nicht.

Ich gehe abends wieder auf mein Zimmer und versuche mich abzulenken, in dem ich etwas lese. Meine Gedanken schweifen aber immer wieder ab und nachdem ich ein und den selben Satz jetzt zum fünften Mal lese gebe ich auf, klappe das Buch zu und lege es zurück in das Regal, das an meiner Wand steht. Ich tigere einsam durch mein Zimmer und denke wild nach. Ich tue etwas, was ich vor ein paar Tagen, nie getan hätte. Ich begebe mich zu Clarissas Zimmer, und ich hoffe, dass sie da ist. Gesehen habe ich sie seit dem bestimmten Abend auch nicht mehr, dabei war sie es die die Vapas Kinder und ihre Lakaien verscheucht hat. Bei dem Gedanken brennt jeder einzelne Schnitt noch einmal auf. Ich klopfe an ihrer Tür und betrete den Raum, nach ihrer Einladung. Sie scheint genauso überrascht, wie ich, dass ich hier stehe. Sie sitzt im Schneidersitz auf ihrem großen Bett und schaut mich erwartungsvoll an. "Störe ich?"

"Nein." Ich weiß nicht mal selbst, warum ich genau hier bin, aber ich bin es und sollte etwas sagen. "Ich wollte dir nochmal danken." Sie bewahrt ihre typisch ernste Miene, die sie nur ablegt wenn Männer um sie herum sind. "Hör auf damit. Ich mag dich nicht besonders, aber ich bin kein Monster." Eine ehrliche Antwort. Auch wenn sie mich gerettet hat, das ändert nicht viel für sie, wie sie über mich denkt und auch andersrum nicht. Ich bin ihr einfach nur etwas schuldig. "Du hast sehr gut geschossen." Sie nickt. Das hat sie, so gut, dass sie auch einen der Angreifer getötet hat. "Ja, und daran bist du auch schuld." Ich würde lachen, wenn sie es auch tun würde. Ich glaube wir sind noch nicht im Stande ein normales Gespräch zu führen, wenn wir das denn überhaupt irgendwann sein werden, und gehe wieder, während ich ihr noch eine gute Nacht wünsche.


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