Ida liegt schwer in meinen Armen. Ich wiege sie leicht vor und zurück. Sie hat eine sehr beruhigende Wirkung auf mich. Allein ihre Nähe reicht, dass ich all das vergesse, was passiert ist und mich verfolgt. Sie gähnt und macht danach süße Schmatz Geräusche. Langsam laufe ich mit ihr durch den Raum, am Kamin vorbei, um das Sofa herum und immer wieder laufe ich diese Runde ab. Ich muss nicht mal mehr darüber nachdenken, wo ich die Füße hinsetzen muss, ich tue es einfach.
Jemand betritt das Zimmer, aber ich lasse mich nicht stören, schaue nur meine Nichte an. "Sie steht dir sehr gut." Es ist die Stimme von meinem Bruder, die durch den Raum zu mir hallt. Ich kommentiere seine Bemerkung nicht, er weiß, wie ich über meine Zukunft denke, was Familie angeht. Nur was Familie angeht. "Ich merke, dass du dich veränderst. Dir geht es nicht gut." Auch das kommentiere ich nicht. Ich weiß nicht, wie es mir geht. Zum ersten mal in meinem Leben habe ich eine richtige Mission, jemanden der auf mich zählt, mich braucht, aber ich begebe mich immer öfter in Gefahr, und habe Geheimnisse, die ich nicht mal mit Hellen oder Anderen, die ich liebe, mitteile. Und ich kenne keinen der Schwalben so gut, dass ich mich ihnen anvertrauen würde. "Viez wartet im Saal auf dich, draußen ist es zu kalt, um zu trainieren." Ich warte schon etwas länger auf Viez und gehe jetzt zu Phileas, gebe ihm seine Tochter und streichle ihr noch einmal über ihre weiche Stirn. "Mir geht es gut." Als ich an ihm vorbei laufe, höre ich noch sein Geflüster, das nicht für meine Ohren gedacht war. "Geht es dir nicht."
Viez steht im gleichen Aufzug wie immer da. Wir beide tragen ein weißes Hemd, er trägt dazu eine braune Hose mit hohen Stiefeln, ich hingegen eine Leggins. Unser Training macht mir immer weniger Spaß, ich rede nicht mehr so wie noch vor ein paar Wochen mit Viez, und er auch nicht mit mir. Es geht mir allein darum, besser zu werden, schneller, stärker und meine Angst und Wut weg zu kämpfen. Heute ist das letzte Mal für eine längere Zeit, dass wir üben, er wird bald mit Quirin abreisen. Gestern, nur einen Tag nachdem ich in der Stadt mit Set, eingesperrt in einem Versteck war, haben wir auch trainiert. Ich war da noch viel erschöpfter und schlechter, als jetzt. Danach werde ich Clarissa verabschieden müssen, sie fährt heute wieder zurück zu ihrer Familie. Die Hochzeit dauert noch etwas, sie ist erst nächstes Frühjahr, aber die Vorbereitungen starten bald, und ihren Verlobten muss sie auch noch erst kennenlernen.
Meine Schläge sind präzise, aber schwächer als sonst, und richten nicht das an, was ich mir wünsche. Viez ist so schon stärker, als ich, aber heute hat er definitiv die Oberhand und besiegt mich öfter, als es mir lieb ist. Mir gelingt es nur zwei mickrige Male ihn mein Schwert an die Brust zu halten. Als wir aufhören aufeinander loszugehen, stütze ich mich, völlig außer Atem, auf die Knie, während Viez die Schwerter ordentlich wieder in die Scheide schiebt. "Sehe ich dich heut zum letzten Mal?", frage ich ihn. Er unterbricht das Aufräumen nicht. "Nicht zum letzten Mal." Seine Worte sind entschlossen, ernst, es ist nicht als Witz oder sonstiges gemeint.
Er ist fertig mit Wegräumen, guckt mich an und kommt auf mich zu. Ich bleibe einfach stehen und warte schweigend ab. Er umfasst mein Gesicht, bei seinen Händen an meinen Wagen muss ich sofort an Seth denken und die Worte, die er sprach. Dann zieht er mich leicht hoch und drückt mir seine Lippen auf. Unsere Zungen spielen kurz miteinander. Ich nutze den Kuss, als Test für mich selbst, aber in mir leuchtet nichts auf. Ich mag ihn, vielleicht liebe ich ihn sogar schon, aber nicht auf die Weise, wie er es vielleicht tut. Seine Hände beginnen suchend, gierig über meinen Körper zu wandern und berühren mich an immer privateren Stellen. Ich lege meine linke Hand auf seine Brust und meine rechte auf seine Wange, sie ist warm und feucht. Ich blicke ihn an und beende unseren Kuss, seine Hände ziehen sich auch langsam zurück. Zärtlich streichle ich ihm mit meinem Daumen über die Wange, wie ich es manchmal bei Ida tue. Er wechselt seinen Blick von meinen Augen auf den Boden. Er spannt seine Wangenmuskeln fest an und fährt sich mit beiden Händen durch sein kurzes Haar. "Pass auf dich auf." Mit diesen Worten geht er und lässt mich allein im Saal stehen.
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Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️
FantasyEine Welt, in der Hinrichtungen und Verbrechen an der Tagesordnung stehen, das ist Alecs Welt. Bis jetzt lebte sie in Ruhe und abgeschottet auf den wohlhabenden Anwesen ihres Bruders, doch wird sie immer öfter mit den schrecklichen Szenen konfrontie...