Kapitel 44

55 9 0
                                    

Ein unangenehmer Duft steigt mir in die Nase, eine Mischung aus Rauch und verbrannten Fleisch. Kurz weiß ich nicht wo ich bin oder wann. Wie ein Blitz, der einschlägt, kommt alles wieder hoch. Mit den Erinnerungen kommt auch eine schreckliche Übelkeit in mir auf und ich kann den Würgereiz nicht länger hinauszögern und unterdrücken. Ich rolle aus dem Bett und renne geduckt ins Bad. Ich bin nicht in meinem Zimmer sondern in Clarissas altem, aber alle Schlafzimmer haben ein privates Bad. Ich schaffe es nicht mehr zum Klo und übergebe mich in das näherliegende Waschbecken. Bis zum nächsten Würgen bleibt mir genug Zeit mich an der Wand neben der Toilette runter zu drücken, bis ich mit leicht angezogenen Beinen, an der Wand gelehnt sitze. Ich drehe mich zur Schüssel und lasse nochmal, alles was in mir war raus. Ich habe gestern, ich glaube das es gestern war, nichts gegessen, deswegen ist nicht allzu viel in meinem Magen. Diese Leere sorgt dafür, dass ich jetzt nur noch Luft und Speichel aus mir raus würge, was sehr unangenehm ist, aber einfach nicht zu stoppen ist. Meine Hände liegen verkrampft am Rand der Kloschüssel und ich sitze auch nicht mehr an der Wand, sondern knie. Nach und nach fallen mir immer mehr Haare vor das Gesicht und in die Schüssel rein, was mich grade aber nicht wirklich interessiert. Ich denke es ist vorbei und versuche meine Muskeln etwas zu entspannen.

Jemand muss mich ins Bett gebracht haben. Dann fällt mir auch ein, wer es war. Seth hatte mich hoch genommen und in dieses Zimmer gebracht, während Lerya Ida genommen hat. Und dann kommt mir wieder die Galle hoch. Wo sind sie? Ich will wieder weinen und schreien, so wie ich es gestern getan habe, aber mein Hals schmerzt so sehr, dass kein Ton raus kommt und mir fehlt die Flüssigkeit, um Tränen hervorzubringen. Ich bin komplett heiser. Mir geht auch langsam die Spucke aus und ich fahre über meine Lippen, die trocken und rissig sind. Statt aufzustehen und etwas Wasser zu trinken, lehne ich mich wieder an die Wand und lege meinen Kopf in den Nacken. Meine Knie sind nach innen gebeugt und mein aufgerissenes Kleid liegt mir so am Körper, dass es freien Blick auf meine Unterwäsche gibt. Das ist mir egal, das ist mir alles egal. Ich will nicht hier sein. Ich will nirgendwo sein. Im Nichts. Ich sehne mich nach dem Nichts.

Ich höre Schritte, die sich dem Schlafzimmer nähern, aber versuche sie zu ignorieren. Das funktioniert nicht lange, denn bald hören die Schritte auf und Lerya steht im Bad vor mir. Sie guckt mich nur an und ich sie, keiner will was sagen. Sie setzt sich in die Tür, rückt sich in die richtige Position, der Schneidesitz, und schaut mich wieder an. Sie trägt noch ihr Kleid von gestern, das jetzt so fällt, dass ich auch bei ihr vieles sehen kann. Über dem Kleid trägt sie einen Mantel, einen dunklen Mantel, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob das ihrer ist. Ihre Hände sind dreckig, und auch ihr Kleid hat mehrere Flecken. Ein paar dieser Flecken stammen von Erde und Matsch, aber andere erinnern mich eher an Asche. "Was ist das für ein Gestank?", frage ich schließlich ruhig, aber ohne Anzeichen von irgendeiner Emotion und meine Stimme versagt beinahe. "Verbrennenden Leichen."

Das hätte ich mir auch denken können, aber heute läuft es, was das angeht, generell nicht so gut. Und auch erst jetzt erfasst mich wieder eine Sorge. "Du hast Ida einfach verbrannt?!" Als ich ihren Namen ausspreche muss ich aufstoßen und schaffe es nur mit Mühe nicht sofort wieder in das Würgen zu verfallen. Leryas Kopfschütteln nimmt mir einen sehr kleinen Teil meiner Sorge wieder. "Wir haben deinen Bruder, seine Frau, Ida und deine Mutter begraben." Diese Nachricht bewirkt tatsächlich etwas Gutes, aber lange nicht genug und dann wechselt das Gefühl der Trauer und der Schmerz des Verlustes schlagartig in Wut um. Diese Wut richtet sich im Moment ganz klar gegen Lerya. Mein Blick verfinstert sich. "Wie konnte das passieren?" Ich frage zwar immer noch relativ ruhig, aber mein Ärger ist klar zu hören. Leryas Gesicht verändert sich ebenfalls. "Ich weiß es nicht."

Auch jetzt, wo ich sie weiter wütend anschaue und meine Worte nicht nett ausfallen, schaut sie mich zurück an und senkt ihren Kopf nicht. "Natürlich weißt du es! Du hast uns etwas aufgedrückt, was leichtsinnig und zum scheitern verurteilt war!" Jetzt verfinstert sich ihr Blick auch etwas. "Ich habe nach einem Weg gesucht, um unser Land und Menschen darin zu beschützen."

Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt