Prolog

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Phileas schreckt auf und springt aus dem Bett. Der Schrei seiner kleinen Schwester hat ihn unsanft aus dem Schlaf gerissen. Alec träumt seit ein paar Tagen nachts immer wieder schlecht und weint dann fast die ganze Nacht durch. Das Zimmer von ihm ist das am naheliegendste Schlafzimmer, er ist der Erste, der von ihrem Geschrei aufwacht. Ihre Albträume haben nach Vaters Tod begonnen. Phileas bezweifelt, dass seine Schwester den Tod richtig versteht, aber sie versteht, dass ihr Pa nicht mehr da ist. Sie wird ihn genauso vermissen, wie ihr Bruder es tut, sicher.

Mit nackten Füßen schleicht er über den kalten Parkettboden zu ihrem Zimmer. Vorsichtig dreht er den Türknauf, und mit einem Klacken öffnet sich die Tür. Er schließt sie leise hinter sich und läuft zu ihrem Bett. Sie liegt eingerollt auf der Seite, mit dem Kopf unter der Decke. Wenn er sie so sieht, sieht sie aus wie ein Kleinkind, dabei ist sie schon vier Jahre alt. Als sie merkt, dass jemand in ihrem Zimmer ist, schreckt sie ruckartig hoch und wirft sich dabei die Decke vom Körper. "Sch, Sch. Ich bins nur." Mit diesen Worten versucht er sie zu beruhigen, was leider nur mäßig funktioniert. "Du hast nur geträumt." Ihr laufen immer noch Tränen über ihre roten Pausbäckchen, ihre Haare liegen ihr wild auf den Schultern, einzelne Strähnen kleben auch an ihrem Hals, vom Scheiß und Tränen nass. Ihr dünnes Nachthemd liegt ihr eng an ihrem kleinen Körper.
Phileas hat sich auf ihr Bett gesetzt, und jetzt krabbelt sie ganz unter der Decke hervor und zu ihm. Er nimmt sie in seine Arme und hält sie dabei, wie er ein Baby halten würde. Sie hat vor Angst geschwitzt und ihr Körper strahlt eine angenehme Wäre aus, die ihn sofort umgibt. Sie schmiegt sich an seine Brust und schließt die kleinen Augen, die im Dunklen noch funkeln. Er hört genau ihre kleinen Schluchzer, die sie nicht unterdrücken kann.

"Er ist weg, oder?", fragt sie ganz leise. "Ja." Ihm bleiben die Worte im Hals stecken. "Ja, er ist weg." Er ist weg und er wird nicht wiederkommen, aber ich bin bei dir. Das würde er ihr am liebsten sagen, aber er tut es aus keinem bestimmten Grund nicht, stattdessen wiegt er sie sachte in seinen Armen und räuspert sich leise. Dann beginnt er zu summen. Er summt die Melodie des einzigen Schlafliedes, das er kennt. Eine einfache Melodie, die sogar er, ein unmusikalischer Junge, ohne jegliches Taktgefühl, hin kriegt. Alecs Atem, der noch vor ein paar Sekunden hektisch und stockend war, normalisiert und neutralisiert sich jetzt. Dann beginnt Phileas sogar ganz leise an zu singen, er vermutet, dass sie schon schläft, und trotzdem singt er leise die passenden Worte zur Melodie. "Schlaf, kleine Mücke, schlafe." Dabei ersetzt er die originalen Worte kleines Kind durch ihren Spitznamen.

"Geh fort und hüt die Sterne,

Die Sterne die am Himmel strahlen.

Und wenn der morgen kommt ,

Strahle dein Lächeln, wie die Sterne,

Die Sterne die am Himmel strahlen.

Schlaf, kleine Mücke, schlafe!"

Seine Stimme schwankt ein wenig. Ihr Atem ist vollkommen ruhig, und mit einem leichten Lächeln liegt sie schlafend an ihm. Er legt sie noch richtig auf ihr Daunenkissen und deckt sie zu. Dann gibt er ihr zum Abschied einen Kuss auf ihre fast heiße Wange und geht selbst wieder ins Bett.

Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt