Kapitel 11

84 8 0
                                    

Ich warte in meinen typischen Trainingsklamotten draußen auf der weiten Wiese auf Viez, der jeden Moment erscheinen sollte. Er kommt kurze Zeit später aus dem Haus auf mich zu, nur ohne Schwerter, mit denen wir eigentlich jetzt trainieren sollten. "Hast du nicht was vergessen?" Er schüttelt den Kopf, wobei seine hellbraunen, dicken Haare um ihn herum wirbeln. "Wir werden jagen gehen." Ich starre ihn etwas überrascht an. "Jagen?"

"Jagen!"

"Und womit genau?"

"Mit Pfeil und Bogen."

Ich hatte zwar schon einmal einen Bogen in der Hand, und habe ihn auch benutzt, und auch wenn das Jahre her ist, hoffe ich, dass ich es wenigstens noch ein wenig beherrsche. "Und wo ist der Bogen und die Pfeile?", frage ich ihn, denn ich sehe Nichts an ihm, was auf einen Köcher mit Pfeilen oder einen Bogen hindeutet. "Ich habe deinen Bruder drum gebeten, uns zwei Bögen und mehrere Pfeile bringen zu lassen, zuerst wollen wir aber deine zarten Hände schützen." Ich verdrehe die Augen, reiche ihm aber meine Hand und aus seiner Hosentasche zieht er jetzt zwei dunkle Lederhandschuhe, an denen die Fingerspitzen frei rausgucken. Dann taucht auch jemand mit den Bögen und den zugehörigen Pfeilen auf, Phileas selbst. Er zwinkert mir zu. "Schieß uns das Abendessen, Mücke." Ich verbeuge mich elegant. "Aber gerne doch." Viez bedankt sich bei Phileas und wendet sich dann wieder mir zu. "Mücke, mhm?" Oh ne nicht dieser alberne Spitzname. Ich hebe mein Kinn und gehe in Richtung Wald, er folgt mir. "Nur er nennt mich so.", erkläre ich mit einem genervten Unterton.

Nach einer Weile, die wir mit durch den Wald Laufen verbrachten, gibt Viez etwas von sich. "Quirin hat mich früher oft Winz genannt" Ich bin ein Stück vor ihm gelaufen, aber jetzt bleibe ich solange stehen, dass wir wieder auf gleicher Höhe sind und schaue ihn an, er hält seinen Blick auf den Boden gerichtet. Quirin. Quirin, nicht Vater. Ich frage einfach, was ich mich schon vor ein paar Wochen gefragt habe. "Warum nennst du ihn eigentlich beim Namen? Warum nicht einfach Vater oder Pa oder so?" Er schaut noch immer zu seinen Füßen. "Er ist nicht wirklich mein Vater, deswegen." Nun ist mein Interesse geweckt. Er erzählt, ohne dass ich fragen muss, weiter. "Meine Mutter, seine Schwester, starb vor neun Jahren. Ich kam zu meinem Onkel und er zog mich die letzten Jahre groß." Ich denke kurz darüber nach, ob es taktlos wäre weitere Fragen zu stellen, aber solang er nichts dagegen unternimmt, sehe ich dafür keinen Grund. "Und dein.." Er beendet die Frage schon für mich. "Mein Vater? Er war kein guter Mann. Machte sich aus dem Staub, als er hörte, dass sie schwanger sei. Ließ sie alleine." Ich höre nicht auf nachzufragen. "Wie starb sie?", frage ich vorsichtig und leiser, als vorher.

"Sie wurde krank. Keiner Heiler konnte helfen. Sie schlief ein. Sie hat mich schon vorher zu Quirin gebracht. Sie wusste es, die ganze Zeit." Er liebt seine Mutter, das merke ich daran, wie er über sie spricht, mit zärtlicher und ruhiger Stimme. Ich weiß wie es ist jemanden zu verlieren, nur war ich deutlich jünger, als mein Vater verstarb, als er beim Tod seiner Mutter war. Er hat bessere und mehrere Erinnerungen an sie, als ich an ihn. "Das... das tut mir leid." Mehr fällt mir nicht ein. "Danke." Ich beobachte ihn ein wenig. Er ist jung, nur ein paar wenige Jahre älter als ich, und gut aussehend ist er auch. Er hat ein sehr markantes Gesicht, helle, braune Augen über denen dicke, buschige, dunkle Augenbrauen liegen, die um einiges dunkler sind, als seine Kopfhaare. Ich will ihn grade noch etwas fragen, das legt er mir einen Finger über die Lippen und zieht mich leicht runter, hinter einen Busch. "Wa-..."

"Sch! Da.", flüstert er leise mein Ohr, wobei sein Atem auf meinen Hals trifft und die Haut unter seinen Atem sofort eine Gänsehaut bildet. Er zeigt auf etwas, was sich vor uns zwischen den Bäumen bewegt. Ein grasendes Reh. Wir sind so weit in den Wald gelaufen, dass hier Wild grast. Er zieht einen spitzen Pfeil aus seinem Köcher, welcher ihm über die Schulter auf den Rücken liegt, und legt ihn an den Bogen, an meinen Bogen. Ich halte den Bogen mit fester Hand. Seine große, starke Hand schließt sich um meine und den Bogen. Mit der Anderen führt er meine rechte Hand zum Spannen des Bogens. "Konzentrier dich ganz auf dein Ziel. Ziele auf den Oberkörper." Mit diesen Worten lässt er meine Hände los und lehnt sich zurück, um mir Freiraum zu lassen.

Ich fixiere die Brust des Rehs und kneife meine Augen leicht zusammen, um meine Umwelt auszublenden. Ich spanne den Bogen noch ein kleines Stückchen weiter. Der Aufwand, den Bogen gespannt zu halten, ist anstrengend und ermüdend für meine Oberarme. Ich atme einmal tief ein und lasse los. Der Pfeil schießt los und trifft. Er durchbohrt das Fleisch des Tieres, knapp über seinem Hinterbein. Das Tier ist zwar verwundet, jedoch nicht tot. Es kommt noch ein paar Meter weit, als sein hinteres Bein aufgibt und es nach hinten auf sein Hinterteil sinkt. "Schieß nochmal." Wieder ziele ich und spanne den Bogen. Die Bewegungen und fast schreiähnlichen Laute des Rehs beunruhigen mich etwas. Ich beruhige mich selbst und hebe meine linke Hand, die den Bogen umschließt etwas höher. Man hört den Pfeil durch die Luft schießen und ich zucke nicht mit der Wimper, als er sein Ziel erreicht und durchbohrt, den Hals. Jetzt liegt das Tier, bewegungslos, auf dem Boden. Wir richten uns wieder auf und nähern uns dem Kadaver. "Viel Spaß beim tragen.", wünscht Viez mir noch und dreht sich um. "Wie? Was? Hilf mir, ich schaffe das doch nicht alleine zu tragen!"

"Du hast das erlegt, jetzt darfst du deine Beute auch nach Hause bringen." Er geht. Er geht einfach. Ich pruste aus. Ich weiß nicht mal WIE ich es heben soll, und dann den ganzen Weg bis zum Haus! Ich drehe den Bogen nach hinten, sodass er mir auf dem Rücken liegt, und mir nicht im Weg ist. Ich überlege, wie ich das Reh am besten nehme, um es möglichst weit zu tragen. Dann kommt mir eine Idee. Zunächst breche ich die Pfeile und ziehe sie aus dem Fleisch. Dann hebe ich mein Hemd und binde mir das Band, welches um meine Brüste gebunden ist, ab und reiße es mit Hilfe meiner Zähne in zwei Teile. Mit dem einem Teil knote ich die Vorderbeine, mit dem anderem die Hinterbeine des Rehs zusammen, das seitlich liegt. Ich werfe mir den Zopf über die Schulte und drücke mich aus der Hocke hoch. In der rechten Hand die zusammengebundenen Vorderbeine. Ziehe sie so hoch ich kann und helfe mit der linken Hand nach, um mir den Körper über die Schulter zu werfen. Nicht so schwer wie ich erwartet habe, aber ich muss noch eine ganze Strecke mit dem Ding über der Schulter gehen.

Auf meinem Weg wird das Tragen nicht einfacher und mit jedem Schritt wird mein Fluchen lauter. Endlich, nach einer halben Ewigkeit trete ich aus dem Wald, ich sammle meine letzten Kräfte und gehe die restlichen Meter zum Haus. Direkt vor den Füßen von Viez, der auf einer Bank an der Hauswand schon auf mich wartet, lass ich das Tier von meiner Schulter auf den Boden plumpsen. "Gut gemacht" Ich bin zu sehr außer Atem und ihm etwas zu entgegnen und setzte mich mit einem Seufzen neben ihn auf die Bank. Der Himmel färbt sich rosa rot und wir blicken beide, Viez und ich, in den Himmel. Weder er noch ich haben vor aufzustehen und uns um das Abendessen zu kümmern. Ich bin so erschöpft, dass mein Kopf mit einem mal ganz schwer wird. Ich gebe dem Drang, den Kopf irgendwo anzulehnen, nach und da mir nur zwei Optionen bleiben, die harte Mauer hinter und oder seine Schulter, entscheide ich mich für seine Schulter. Ich kann spüren, wie er seine Muskeln anspannt, als ich meinen Kopf auf ihn lege und auch, wie er sie nach ein paar Minuten wieder entspannt. "Sie war bestimmt ganz wunderbar."

"Ja das war sie."

Viez bleibt noch zum Abendessen, Eintopf mir Rehfleisch. Es ist nicht besonders lecker, das liegt ausschließlich am Fleisch, aber keiner wagt es ein Wort zu sagen. Ich verschlinge meine Portion und auch die danach, wie ein Tier und stoße, als ich fertig bin, leise hinter meiner Hand auf. "Ich muss zugeben, ich hätte nicht erwartet, dass du wirklich etwas erlegst." Ich schaue meinen Bruder ernst an. Ich hätte es auch nicht erwartet, aber seine Annahme ist trotzdem kränkend. "Sie ist ein wahres Naturtalent." Jetzt gucke ich Viez an. War das grade ein Kompliment? Von Viez? Er guckt mich auch an und verzieht den Mund zu einem schmierigen Lächeln und lässt seine Zähne aufblitzen. "Ja, meine Alec ist wirklich begabt." Noch ein Kompliment, jetzt von Mutter. Meine Alec. Was ist nur in die beiden gefahren. Ich will es lieber nicht wissen. Ich schütte den letzten Schluck Wein in mich rein und die Anderen, außer Hellen versteht sich, trinken mit mir. Der Abend klingt angenehm aus und erst, als es stockduster draußen ist reitet Viez zurück.

Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt