Kapitel 9

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Nach einer großen Laufrunde, durch den Wald, sammle ich meine letzten Kräfte und trainiere noch mit Viez, der heute Mittag vorbei gekommen ist. Wir haben noch nicht oft trainiert, aber wird beide merken jetzt schon Fortschritte, insbesondere, was meine Balance angeht, sowohl die körperliche, als auch meine innere. Er reizt mich weiter und drückt in jede Wunde die er finden kann, aber ich ignoriere jede seiner Sticheleien und bin schlau genug um einfach weiter zu machen. Auch wenn ich mich nicht mehr so leicht reizen lasse, ist er um einiges besser als ich, was das Boxen angeht. Unser Training hat sich verstärkt und ist deutlich intensiver, als es beim ersten Mal war. Nicht nur mir wird jetzt die Ehre zu teil, zu versuchen ihn mit meinen verbundenen Fäusten zu schlagen, ihm gebührt dieses Privileg jetzt auch. Leider kann ich seinen Schlägen nicht immer ausweichen, und obwohl er nicht seine komplette Kraft aufbringt, schmerzen die Stellen an meinem Körper, die er trifft, sehr. Bei unserem zweiten Treffen, nachdem ich seinem Angriff, mit dem kleinem Stock, der einen Dolch ersetzen soll, wieder nicht ausweichen konnte, hat er mir vier ganze Stunden versucht beizubringen, wie ich einen Angreifer am besten entwaffnen und ihn danach mit seinen eigenen Waffen selbst schlagen kann.

Nach einer halben Stunde Ausweichen und Zuschlagen tritt er zur Seite und trinkt etwas Wasser aus einer Feldflasche. Ich stemme die Fäuste in die Seiten, krümme mich leicht nach vorne und keuche stark ein und aus. Und dann weiß ich auch, was als nächstes auf mich zukommt. Viez nimmt die Dolch Attrappe in die Hand und kommt auf mich zu. Ich mache mich bereit, habe mich vorbereitet und geübt. Als er seinen Arm zu mir ausstreckt, um nach mir zu greifen, in der hinteren Hand hält er den Dolch fest mit seinen Fingern umschlossen, umfasse ich den Arm mit beiden Händen, drehe mich um und mit meiner ganzen Kraft und seinem Schwung, den er mit sich bringt, ziehe ich ihn über meinen Rücken, während ich schützend in die Hocke sinke. Mit einem dumpfen Geräusch, prallt er mit dem Rücken, vor meinen Füßen auf den Boden. Er macht Anstalten wieder aufzustehen, doch das verhindere ich, indem ich meine eigene Dolchattrappe hervorziehe, die ich mir um mein Bein gewickelt hatte, und ihn diese an die Kehle drücke. Er erstarrt und ich muss grinsen. Als ich das Stöckchen von seinem Hals wegnehme, steht er sofort auf. "Gut gemacht", ist das Einzige was er sagt. Dann tauscht er das kleine Stück gegen das große Holzschwert aus. Das Schwert, welches er mir zuwirft, fange ich gelassen auf. "Nun denn. Dann lernst du jetzt auch mit einem Schwert umzugehen." Gesagt getan, den Rest des Nachmittags bringt er mir alle Stellungen und Grundlagen des Schwertkampfes bei, die ich mir alle mit großer Mühe versuche einzuprägen.

Die Sonne geht langsam unter und Viez beendet das Training, mir ist es recht, ich bin völlig fertig. Die blauen Flecken, die überall auf meinem Körper zu finden sind schmerzen, aber am schlimmsten ist die abschwellende Wunde an meinem Oberschenkel. Ich werde gleich direkt zu Poala gehen und mir diese Kräutermischung besorgen und eine Salbe. Nachdem Viez verschwunden ist, lasse ich mir ein kaltes Bad ein, um den Dreck und Schweiß, des Tages loszuwerden. Ich ziehe mich aus und entledige mich aller Bänder an meinem Körper, von dem am Bein, das meinen improvisierten Dolch gehalten hat, von den Bändern, die zum Schutz um meine Hände gebunden sind, und dem Band, was meine Brüste, an Ort und Stelle hält. Ich betrachte mich in dem Spiegel, im Ankleidezimmer. Die vielen Flecken sehen nicht besonders schön aus. Ich kann sehen, wie sich mein Körper langsam zu verändern beginnt, nicht wie in der Zeit in der man vom Kind zur Frau wird, eher von einer jungen, starken Frau zu einer noch stärkeren. Ich habe etwas Bauchfett verloren und meine schmerzenden Muskeln sind deutlicher sichtbar.

Ich gehe wieder ins Bad, und drehe den Hahn der Badewanne zu. Zaghaft steige ich in das kalte Wasser, sobald mein Zeh ins Wasser sinkt, und der Rest meines Beines folgt, überzieht mich eine Gänsehaut und meine Nippel werden hart. Ich schüttle mich und steige dann auch mit dem anderem Bein in die Wanne. Ich halte die Luft an und die Nase zu, tauche einmal komplett unter und bleibe solange ich kann unter Wasser, bis der Druck in meinen Lungen zu stark wird.

Lange bleibe ich nicht im Wasser, die Aussicht auf eine deftige Mahlzeit versetzt mich in Eile. Ich ziehe mir ein rotes, einfach geschnürtes Kleid an und mache mir nicht einmal mehr die Mühe meine nassen Haare zu kämmen. Ich habe auch nicht vor Schuhe anzuziehen, allerdings ziehe ich mir weiße, knöchelhohe Socken an. Auf dem Flur werde ich dann zu meinem Bedauern aufgehalten. Hellen ruft mir mit ihrer hohen Engelsstimme hinterer. Ich versuche mir meine genervte Laune nicht anmerken zu lassen und drehe mich geschwind zu ihr um. "Was ist los?" frag ich sie. "Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass die Schneiderin morgen früh vorbei kommt. Bis dahin solltest du dich für ein Kleid entschieden haben." Die letzten Tage habe ich die Kleiderentwürfe in meinem Nachttisch vollkommen vergessen. "Das habe ich morgen, versprochen." Genauer gesagt habe ich mich jetzt schon entschieden, das pompöse, dunkelblaue Kleid, was mich an den Sternenhimmel erinnert, hat mich in seinen Bann gezogen. Hellen scheint meine Antwort zu genügen, geht aber nicht dahin zurück, wo sie hergekommen ist, stattdessen harkt sie sich bei mir unter und läuft mit mir zum Speisesaal. "Die Anderen haben auch noch nicht gegessen und ich habe vor einer Stunde in der Küche Bescheid gesagt, dass sie etwas zu essen zaubern sollen. Es müsste jetzt gleich fertig sein."

Ihre Erklärung reicht mir, um meinen eigentlichen Plan, in die Küche zu gehen und mir selbst irgendetwas zusammen zu stellen, zu verwerfen und sie ins Speisezimmer zu begleiten. Ich bin meiner Mutter seit meinem kleinen Ausraster bei unserem Abendessen, geschickt aus dem Weg gegangen und habe jegliche Essen und Orte gemieden, wo ich auf sie treffen könnte, bis jetzt. Mutter sitzt neben meinem Bruder, der am Kopf der Tafel sitzt, und richtet sich grade auf, als sie mich sieht. Ich befreie mich von Hellens Arm und setzte mich direkt auf den Platz, der gegenüber von Mas ist. Ich habe keine Lust auf ein Gespräch, was ähnlich verläuft, wie unser letztes und halte den Mund geschlossen. Als das Essen serviert wird, bin ich erleichtert, denn das Schweigen und die Spannung unter uns allen ist keinem entgangen. Ich esse so schnell ich kann, um schnell diesen Tisch der Hölle zu verlassen, aber auch, weil ich einen unglaublichen Hunger habe, wie immer nach dem Training.

"Ich habe dich und Viez heute beim Trainieren gesehen. Du bist sehr gut" Ich danke meinem Bruder für das Kompliment und bitte um mehr Wein, der Bitte wird sofort Folge geleistet. "Viez ist ein guter Lehrer, und ich nehme den Unterricht sehr ernst", erkläre ich noch. "Das ist richtig so, es ist wichtig sich heutzutage verteidigen zu können" Ich schaue Hellen an, sie hat ja nicht unrecht, sie weiß genauso gut wie ich, dass man jetzt umso mehr aufpassen muss, was man von sich gibt. Verrat ist an der Tagesordnung, aber bei meiner Familie scheue ich mich nicht davor meine Meinung kund zu geben. Auch wenn es immer wieder Differenzen und Konflikte gibt, weiß ich, dass ich ihnen trotzdem vertrauen kann, besonders auf ihr Schweigen.

Grade bin ich sehr froh, dass die Frau meines Bruders so gesprächig ist, und nicht wie wir anderen einen Stock im Arsch stecken hat. Sie beginnt mit einem ihrer liebsten Themen, Bällen. Sie erzählt uns alles, was sie für den bevorstehenden Sommerabschlussball geplant hat. Das Motto des Balles, Blumen, ein sehr einfaches Thema wie ich finde, soll sich wohl nur in der Dekoration wiederfinden. Sie erklärt, dass es zu wenig Möglichkeiten für die männlichen Gäste geben würde, und diese sich, deshalb benachteiligt fühlen würden, diesen interessanten Gedankengang, kann ich jedoch nicht ganz nachvollziehen. Ich denke es wäre grade den männlichen Gästen reichlich egal, wie sich wer kleidet. Sagen tue ich das aber nicht. Das Essen verläuft besser, als ich es angenommen habe und ich verabschiede mich danach von jedem Mitglied meiner Familie und wünsche allen eine gute Nacht. In meinem Zimmer lasse ich mich auf mein Bett fallen und strecke meine Arme und Beine aus. In solchen Momenten, in denen ich keine Ablenkung finde, kommen all die negativen und belastenden Gedanken und Sorgen hoch, die ich über den Tag versucht habe zu verdrängen. Ich hatte mir vorgenommen etwas zu ändern, doch wie habe ich noch nicht herausgefunden. Außerdem sind meine Gedanken grade noch immer bei dem, was meine Mutter mir zugerufen hatte. Denkst du, du tötest keine Unschuldigen?, diese Worte verfolgen mich, ich träume sogar davon. Träume wie die Schiffe abbrennen und ich jedem einzelnen Sterbenden in die Augen schauen muss, mir ihre Schreie, ihr Flehen anhören muss. Es muss eine andere Möglichkeit geben, eine wobei keiner umkommt.

Ich grüble die nächste Zeit intensiv über mein Dilemma und einen Ausweg. Quirin hatte nur gesagt, er würde die Schiffe abbrennen, wenn sie aus dem Hafen raus fahren und zur Reise antreten, nur dann werden alle, die auf den Schiffen sind zu Opfern. Ich werde, wenn Viez, das nächste mal kommt, ihn um Hilfe bitten. Hoffentlich versteht er meine Bedenken. Auch in dieser Nacht schlafe ich unruhig.

Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt