Den ganzen Tag schon habe ich keinen Hunger, es ist, wie wenn ein Stein in meiner Magengrube liegt, der sie füllt, aber auch unangenehm ist. Statt die restlichen Stunden mit meiner Familie zu verbringen, bin ich nur in meinem Zimmer und gehe alles durch. Ich will es mir nicht eingestehen, aber ich habe Schiss. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, versuche ich mal wieder ein Buch zu lesen, was nicht funktioniert. Die Zeit vergeht viel zu schnell und schon wird es dunkel draußen. Die sinkende Sonne ist mein Zeichen mich fertig zu machen und offensichtlich das Zeichen für meinen Körper in Nervosität zu verfallen.
Ich vermeide einen wirklichen Abschied aus verschiedenen Gründen und beginne mir selbst die Haare hochzustecken und mich etwas zu schminken. Meine Haare lege ich locker nach hinten und lasse ein paar Haare rausgucken, die ich dann zu Locken wickle. Ich benutze nicht viel, um mein Gesicht zu verschönern, etwas Puder, Wimpernfarbe, Glitzer, um Nase und Wagen zu betonen und zuletzt ziehe ich mir einen schwarzen Liedstrich. Meine Lippen haben einen natürlich, schönen dunklen Rotton, den ich nur durch etwas Balsam hervorhebe. Mein Kleid ziehe ich mir noch nicht an, ich muss mich nämlich noch rausschleichen und zu dem Versteck laufen, worauf ich wohlbemerkt keine Lust zu habe. Ich lege das Kleid so ordentlich ich kann zusammen und versuche es dabei nicht zu sehr, zu knicken. Meine Maske lege ich darauf, und beides zusammen verschwindet in einem Korb. Ich binde mir einen Gurt um das rechte Bein, wo der Schlitz des Kleides sitzen wird, und stecke mir den Revolver meines Vater und einen Dolch direkt daneben rein.
Das Gewicht ist schwerer als sonst und ungewohnt, aber dieses Gewicht spricht mir zu. Schwarze Schuhe, mit Absatz, lege ich auch noch in den Korb und dann ziehe ich mir meinen Mantel über. Ich stecke den Kopf zu Tür raus, kann aber nichts und niemanden hören. Auf leisen Sohlen gehe ich durch den Flur, zur Treppe, am Arbeitszimmer meines Bruder vorbei zu dem Ballsaal und dann stehe ich an die Hintertür. Ich öffne sie leise mit beiden Händen, meinen Korb habe ich neben mich auf den Boden gestellt. Ich trete ins Freie und schließe die Tür leise wieder. Ich bin schon etwas erleichtert, dass ich das Rausschleichen wenigstens geschafft habe. Aber als ich weitergehe, erblicke ich Poala, die aus dem Wald kommt, auf den ich grade zu laufe. Sie ist nicht sonderlich groß und hat eine leicht gebeugte Haltung. Ich ziehe mir die Kapuze tief ins Gesicht, wobei ich meine Haare bestimmt etwas durcheinander bringe, aber sie sieht und erkennt mich trotzdem. Da sie nur die Heilerin ist, hoffe ich, dass sie nichts sagt und es auch nicht für nötig hält jemanden von unserer Begegnung zu erzählen. Wir laufen aneinander vorbei und sie lächelt mir zu. "Viel Spaß. Bis nächstes Jahr." Ich lächle ihr auch zur. "Danke." Dann wird der Abstand zwischen uns größer, bis ich im Wald und sie im Haus verschwunden ist.
Sogar der Weg, den ich laufen muss, kommt mir viel zu kurz vor. Ich stelle den Korb wieder ab und lege meinen Mantel zur Seite. Noch ist Seth nicht hier, ich bin alleine und beginne sofort damit mich meiner Hose und Hemd zu entledigen und mir das Kleid anzulegen. Es sitzt perfekt. Die Ärmel gehen mir nicht ganz bis zu den Handgelenken, und der Beinschlitz gibt mir viel Bewegungsfreiheit. Das Kleid ist so geschnitten, dass ich es nicht mal zubinden muss und trotzdem sitzt es wie angegossen.
Der Luftzug, der durch den Raum zieht, als noch jemand eintritt, kitzelt mir am Rücken. Das ist das einzige womit ich mir meines Kleides bezüglich nicht sicher bin. Ich stehe mit dem Rücken zum Eingang und bleibe auch so stehen, als er den Raum betritt. Der Gürtel an meinem Bein sitzt so weit oben, dass er nicht mehr sichtbar ist und ich ziehe ihn nochmal etwas enger. Meine alten Schuhe trete ich in die Ecke und schlüpfe in die neuen. Dann strecke ich meinen Rücken durch, den ich jetzt längere Zeit gekrümmt gehalten hatte und drehe mich um. Seth steht vor mir, er hat seine Haare nachhinten gekämmt, seine Maske hat er noch nicht auf. Er hat eine schwarze Stoffhose an und ein schwarzes Hemd mit Kragen über dem eine ebenfalls schwarze Weste liegt, die silberne Knöpfe vorne besitzt. An den Ärmeln sitzt das Hemd eng, sonst liegt es ihm aber nicht direkt auf seiner Haut. Er mustert mich mit seinen Augen genau und ich ihn. "Du siehst gut aus."
Ich bin es, die ihm ein Kompliment macht, ich versuche dabei so zu grinsen, wie er es oft tut, wenn er mit mir redet. Er lässt seine Zähne aufblitzen und senkt den Kopf dankend. "Du siehst auch sehr schön aus." Ich nicke dankend und drehe ihm wieder den Rücken zu, um aus dem Korb meine Maske zu holen. Und dann sagt er etwas, was mich erstarren lässt. "Auf dem rechten Schulterblatt bilden vier kleine Linien ein Rechteck." Ich kann mich nicht bewegen, spüre seinen Blick, der über meinen Rücken wandert. "Links neben der Wirbelsäule zieht sich eine lange Narbe bis zur Mitte." Ich spüre seine Wärme, höre alles, was er sagt genau und stelle es mir bildlich vor. "Mittig ziehen sich kreuzend, quer fünf weitere." Als er einen Schritt näher kommt, richte ich mich grade um und schaue seitlich runter. "Links am unten, sehr weit unten, sieht man den Anfang von etwas, was eine bestimmte Form ergibt."
Er sagt nicht was für eine Form, wahrscheinlich, weil der Stoff des Kleides den Rest verbirgt. "Rechts ist eine kürzere, etwas breitere Narbe." Ich hoffe, dass es nach dieser endet, aber das tut es nicht. "Kleine weitere blasse Linien sind verteilt, nur aus nächster Nähe zu erkennen." Er steht mir sehr nah. Plötzlich zieht er mit einem Finger die lange Narbe an der Wirbelsäule nach, was mir eine Gänsehaut bereitet und obwohl es mir unangenehm sein sollte, schrecke ich nicht zurück. Ich drehe mich langsam zu ihm um, und schaue ihn in seine schwarzen Augen, die auf mich runter sehen. "Danke.", sage ich leise und ziehe mir dann die Maske an. Sie ist schwarz, wie alles, was wir tragen. Sie bedeckt mein Gesicht rund um die Augen, aber nicht vollständig. Sie ist aus einem Spitzenmuster, durch das man blicken kann und läuft nach oben und zu meiner Nase spitz zu. Um die Augen herum, ist sie mit Diamanten verziert, die von innen nach außen immer kleiner werden, und über meine nicht sichtbaren Augenbrauen verlaufen. Er greift in seine Hosentasche und zieht seine Maske heraus und an. Seine ist auch schwarz und besteht aus einem glänzenden Stoff, der den oberen Teil seines Gesichts vollständig bedeckt. Dann hält er mir den Arm hin. "Wollen wir?" Ich harke mich ein und so laufen wir zu den Treppen, wo wir wieder hintereinander laufen müssen. Er lässt mich höflich vor.
Draußen wartet eine Kutsche auf uns, die Lerya uns besorgt hat. Er öffnet die Tür, aber ich steige ohne seine helfende Hand ein und setze mich an das kleine Fenster. Er folgt und hinter ihm schließt jemand die Tür. Seth sitzt gegenüber von mir, dann fahren wir los.
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Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️
FantasyEine Welt, in der Hinrichtungen und Verbrechen an der Tagesordnung stehen, das ist Alecs Welt. Bis jetzt lebte sie in Ruhe und abgeschottet auf den wohlhabenden Anwesen ihres Bruders, doch wird sie immer öfter mit den schrecklichen Szenen konfrontie...