Es sind drei Tage seit dem Abendessen und der Kundgabe meiner Entscheidung vergangen, und ich warte immer noch auf das Gespräch mit meinem Bruder, was ich mir jetzt sehnlichst herbeiwünsche. Ich hätte nie gedacht, dass ich so drauf und dran sein werden würde zu arbeiten. Ich möchte einfach mein Wissen erweitern und für mich selbst entscheiden, ob es das ist, was ich machen möchte oder ob ich meine Bestimmung in etwas anderem sehe. Bestimmung... Ob es sowas wie eine Bestimmung gibt? Und wenn, wer legt diese fest?
Die Stimme meines Bruders, die meinen Namen ruft, reißt mich aus meinen Gedanken. Ich habe grade draußen im Garten gesessen und den Sonnenuntergang beobachtet, ich würde gleich auch noch eine Runde rennen gehen, natürlich nur dann, wenn das, was mein Bruder von mir will, nicht die ganze Nacht dauern wird. Ich springe auf und gehe zügig in die Richtung, aus der ich den Ruf vernommen habe. Beim Laufen flattern meine aus feinster Seide bestehenden Ärmel im Wind und blasen sich mit Luft auf. Leider gucke ich nicht grade aus und pralle mit Wucht gegen meinen Bruder. Ich bin groß, aber zum Glück ist er um einiges größer, sodass ich nur gegen seine Brust laufe. "Da hast du es aber eilig Mücke." Ich strecke ihm die Zunge raus. "Und was ist? Kann das große Kleinkind endlich seine Geheimnisse auspacken?" Ich verschränke die Arme und lehne mich auf mein hinteres Bein, dabei schaue ich ihn erwartungsvoll fragend mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Ja das bin ich tatsächlich. Los komm." Mit Schwung hake ich mich bei ihm unter, und er führt mich in sein Arbeitszimmer, was sich direkt neben dem Saal und der Eingangstür befindet.
Das Zimmer ist nicht riesig, aber auch nicht zu klein geraten. Es ist genug Platz, um andere zu empfangen und nicht zu eng mit ihnen zusammenzusitzen. Vor einem großen Fenster, dass mit dunklem Holz umrahmt ist, steht ein gewaltiger Schreibtisch mit einer Menge Ramsch, aber auch einen paar wichtig aussehenden Dokumenten. Der Schreibtisch ist zu Tür ausgerichtet, und vor ihm stehen drei Stühle, auf einem dieser Stühle sitzt bereits meine Mutter. Ich löse mich von meinem Bruder und lass mich auf den Stuhl rechts von meiner Mutter nieder, Phileas geht hinter den Schreibtisch und setzt sich dort auf einen sesselartigen großen Stuhl, der mit Leder überzogen ist. Er passt gut auf diesen Stuhl. Er strahlt Autorität aus, und es scheint so, wie wenn er geboren wurde, um auf diesen mächtigen Stuhl zu sitzen und Lord zu sein. Meine Mutter neigt sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Ich liebe meine Mutter ebenfalls, doch hatte sie schon immer eine bessere Beziehung zu Phileas als zu mir, aber sie ist eine liebevolle, fürsorgliche und beschützende Mutter, auch wenn sie ihre Macken hat.
"Tag Mum", begrüße ich sie. "Nun, was ist jetzt?", rede ich weiter. "Es ist so. Ich und Mutter sind damit einverstanden, dass du mehr Verantwortung übernimmst. Wir wollen dir die Chance geben, ins Familiengeschäft mit einzusteigen. Und sind stolz auf deine Entscheidung. "Ich merke, wie ich auf meinem Stuhl hin und her wippe, und als ich es registriere, zwinge ich mich dazu, damit aufzuhören. Ich weiß, dass wir ein großes Vermögen besitzen und viel geerbt haben, aber ich weiß auch, dass mein Bruder in verschiedene Sachen investiert und Geschäfte abwickelt, um sein Vermächtnis zu erweitern, und nun erfahre ich hoffentlich, was genau er tut. Es hat mich zwar schon immer interessiert, aber in den letzten Tagen ist das Interesse um einiges gestiegen, besonders nach der verschlossenen Reaktion meiner Mutter. "Wird ja auch mal Zeit. Und? Was kann ich tun? Erstmal musst du mir wohl erklären, wie genau deine Geschäfte ablaufen." Diesmal ist es meine Mutter, die antwortet. "Alec, bevor wir dir erklären, was wir tun, musst du schwören zu schweigen wie ein Grab." Ich schau sie verwirrt an. Das ist doch wohl ein Witz! "Ich gehöre zur Familie, ich denke, ihr könnt euch sicher sein, dass..."
"Schwöre es einfach.", fällt sie mir ins Wort. Dieses übertriebene Getue nervt, aber es lässt mich schmunzeln. Wie viel oder besser gesagt, wie wenig weiß ich wirklich? Nun gut, wenn es sein muss, dass ich bei diesem albernen Spiel mitspiele, tue ich es. "Schön. Ich, Alec May Alloy, schwöre bei meinen Namen, und alles was mir lieb und teuer ist, euch meiner Mutter Iris June Alloy und Phileas Dez Alloy, dass ich schweige über das, was ihr mir auch anvertraut. Ich werde schweigen bis ins Grab." Mutter nickt, als ich mit meinem Schwur fertig bin, und dreht sich zu meinem Bruder, der schon eine ganze Weile keinen Mucks mehr von sich gegeben hat. Auch ich schaue ihn jetzt an. Seine braunen Augen, er hat die Augen meiner Mutter, wandern zwischen mir und Mutter hin und her. Schließlich atmet er hörbar ein und wieder aus, als würde er sich auf etwas vorbereiten.
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Die Farben der Macht - Schwarz und Lila |✔️
FantasyEine Welt, in der Hinrichtungen und Verbrechen an der Tagesordnung stehen, das ist Alecs Welt. Bis jetzt lebte sie in Ruhe und abgeschottet auf den wohlhabenden Anwesen ihres Bruders, doch wird sie immer öfter mit den schrecklichen Szenen konfrontie...