Kapitel 27

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Am nächsten Morgen werde ich von Alex geweckt. Ich bin völlig übermüdet. Ich hätte wirklich früher schlafen gehen sollen. Jetzt bereue ich meine Entscheidung so spät schlafen gegangen zu sein.

Im Bad trete ich meinem Spiegelbild gegenüber. Meine Haut ist blas. Tiefe Augenringe haben sich gebildet, die ich selbst mit Concealer nicht vollständig überdecken kann. Ich gebe mein Bestes mich präsentabel herzurichten, denn ich weiß, es wird keinen Weg geben, dass ich heute nicht in die Schule gehen muss.

Unten setze ich mich auf meinen gewöhnlichen Platz am Frühstückstisch. „Guten Morgen, Tia." sagt ein fröhlicher Arian, auch Levin lächelt mich an. Heute sind überraschender Weise mal wieder alle da. „Wann bist du denn gestern ins Bett gegangen? Du siehst aus, als hättest du drei Tage nicht geschlafen." sagt Levin, als er meinen Gesichtsausdruck sieht. „Die junge Dame hier, war bis spät in die Nacht wach." antwortet mein Bruder. Ich bleibe still und sage dazu nichts.

„Holst du bitte deinen Rucksack. Ich fahre dich gleich zur Schule." sagt mein großer Bruder, als ich mit frühstücken fertig bin. „Muss ich wirklich dort hin?" starte ich meinen letzten Versuch. „Warum willst du nicht hin? Gibt es wieder irgendwelche Probleme?" fragt mein Bruder. Die anderen sind bereits aufgestanden und verschwunden. „Nein." schüttle ich meinen Kopf. „Was ist es dann?" fragt er wieder. Ich bin am Überlegen, ob ich ihn den Grund sagen soll oder nicht, entscheide mich dann aber doch dagegen. „Nicht so wichtig."

Vor der Schule angekommen, atme ich noch einmal tief durch, bevor ich hineingehe. Dass Max mein Sitznachbar ist, ist nicht gerade von Vorteil. Im Klassenzimmer sehe ich auch schon, dass er bereits da ist. Langsam schreite ich auf meinen Platz und lasse mich dann auf den Stuhl fallen. Max hat mich schon längst erblickt. „Hey, Tia. Können wir bitte reden?" Schon fängt das an, was ich die ganze Zeit befürchtet habe. Ich will ihn nicht sehen, nicht hören und schon gar nicht mit ihm sprechen. Es schmerzt. Ständig sehe ich diese Bilder vor meinem inneren Auge, wie er mich betrügt.

Max war etwas Besonderes für mich. Ich habe ihm vertraut. Ich habe ihn in mein Herz geschlossen. Ich habe ihn in meinem Leben reingelassen und das lasse ich normalerweise nicht zu, zumindest nicht so schnell. Maximilian hat mir allerdings geholfen, wo ich dringend jemanden gebraucht habe. Es war ein schlimmer Moment für mich und er war für mich da, obwohl wir uns zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich kannten, als das alles mit Moritz passiert ist.

Aber nun bereue ich es, alles. Ich hätte mich ihm nicht öffnen dürfen, dann würde ich diese schrecklichen Gefühle jetzt nicht spüren. Ich kann nicht beschreiben, wie sehr es schmerzt.

Schnell springe ich auf und stürme auf das Mädchenklo. Dort angekommen, laufen mir sofort die heißen Tränen hinunter. Ich muss mich wieder beruhigen. Ich schaffe das, rede ich mir selbst ein. Nach wenigen Minuten habe ich mich dann wirklich wieder beruhigt. Zum Glück hat der Unterricht noch nicht begonnen.

Ich betrete das Klassenzimmer dicht gefolgt von meinem Lehrer, der sofort mit dem Unterricht startet. Gut so, so kann Max wenigstens nicht mit mir reden.

So geht es den ganzen langen Schultag. Die ganze Zeit gehe ich Max aus dem Weg, sodass kein Gespräch entstehen kann. Ich bin froh, dass ich Mila habe, mit der ich mich unterhalten kann, ansonsten würde ich mich total alleine fühlen.

Endlich bin ich wieder zu Hause. Erschöpft lasse ich mich in mein Bett fallen. Nach ungefähr einer Stunde werde ich zum Essen gerufen, aber ich reagiere nicht. Ich bin zu müde und habe keinen Hunger.

„Tia, was soll das? Warum kommst du nicht, wenn man dich ruft?" fragt Alex neutral. „Ich habe keinen Hunger." meine ich schulterzuckend. „Trotzdem kommst du jetzt mit runter und wirst etwas essen. Das ist wichtig und das weißt du auch. Du kannst nicht jede Mahlzeit immer auslassen." „Mhm." murre ich einfach und drehe ihm den Rücken zu. „Fängt das jetzt schon wieder an, Tiana? Nicht nur du hattest einen anstrengenden Tag. Irgendwann reicht es auch mal." sagt mir mein Bruder. Seine Stimme ist dabei tief und etwas furchteinflößend. Allerdings unterdrückt das meine Wut nicht.

Wütend drehe ich mich zu ihn um. „Du weißt gar nichts, also lass mich einfach mal in Ruhe. Du nervst mich die ganze Zeit. Tiana mach das, du dies. Nie kann ich machen, was ich will. Ich hasse dich so sehr, dass glaubst du gar nicht. Du bist der schlechteste Bruder, den es gibt." schreie ich ihm vor Wut ins Gesicht. Ich bin so wütend, dass ich nicht merke, was ich sage. „Ach so ist das. Wer hat dich hier aufgenommen? Wer hat dir immer geholfen, wenn du Hilfe brauchtest? Wer war für dich da? Ich habe alles für dich getan, obwohl ich wegen dir jetzt nicht mehr mit Sofia zusammen bin. Vielleicht hatte sie ja recht und du hast dir das alles mit Moritz nur ausgedacht damit du mehr Aufmerksamkeit bekommst. Es wäre besser gewesen, wenn du bei deinem Vater geblieben wärst und-" schreit Alex zurück, bis er von Ben und Levin unterbrochen wird.

„Was ist hier los?" schreitet Levin ein. Sofort wechselt Alex' Blick von wütend zu besorgt, als er realisiert, was er gerade zu mir gesagt hat. Ich wusste nicht, dass mein eigener Bruder so von mir denkt. Ich wusste zwar, dass ich eine Last bin, aber dass er so schlecht von mir denkt, war mir bis gerade eben nicht klar.

Völlig geblendet von meinen Gedanken, mache ich das, was mir als erstes in den Sinn kommt. Ich laufe. Ich laufe raus aus meinem Zimmer, raus aus dem Haus. Immer weiter weg, bis ich kaum noch Luft vor Erschöpfung bekomme. Mein Körper kann nicht mehr laufen, weswegen ich stehen bleiben muss.

Twisted Life 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt