Kapitel 58

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„So, einmal Platz nehmen." spricht Benjamin mich an. Langsam setze ich mich mit der Hilfe meines Bruders in den Rollstuhl. Normalerweise würde ich mich dagegen sträuben, da ich zwei gesunde Füße zum Laufen habe, doch heute bin ich viel zu müde und erschöpft dazu. Mir geht es wirklich nicht besonders gut.

„Auf der Kinderstation ist noch ein Einzelzimmer frei. Zimmer 306." sagt Ben, woraufhin mein Bruder nickt. „Gleich kannst du etwas schlafen und dich ausruhen, Schwesterchen." meint Alex zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Gemeinsam laufen wir beziehungsweise mein Bruder schiebt mich zum Fahrstuhl, mit welchem wir in die dritte Etage fahren. Auch Ben folgt uns.

Das Zimmer ist sehr schön eingerichtet. Es sieht gar nicht wirklich wie ein Krankenzimmer aus, sondern entspricht eher einem Hotelzimmer. Das Einzige, was heraussticht, ist das große Bett und die vielen Knöpfe und Anschlüsse hinter dem Bett an der Wand. Außerdem steht eine dunkelgraue Couch in dem Zimmer. Die Wände sind in einem gemütlichen gelb gestrichen und man kann einige bunte Tiere daran erkennen, weil wir uns ja auf der Kinderstation befinden. Ich bin mir sicher, dass auf den anderen Stationen die Zimmer nicht so bunt gestaltet sind. Angrenzend zu diesem Zimmer ist natürlich noch ein kleines, aber modernes Bad.

Alex hilft mir wieder aus dem Rollstuhl hinaus und auf das Bett. Auch wenn die Schmerzmittel wirken und meine Schmerzen schon deutlich besser geworden sind, fühle ich mich nicht wirklich gut. Ich bin total schlapp.

„So, du ruhst dich jetzt erstmal aus und schläfst eine Runde. Wenn du aufwachst, sieht die Welt bestimmt schon anders aus. Die Antibiotika werden hoffentlich auch bald wirken und vielleicht kannst du dann morgen auch schon wieder nach Hause." spricht Ben. Als er redet, hängt Ben die Infusion auf die vorhergesehene Haltung dafür. „Ich bin auch die ganze Zeit hier, da ich jetzt sowieso Schicht habe. Also falls etwas sein sollte, melde dich einfach." sagt nun Ben an Alex, welcher nickt.

Ben verlässt das Zimmer, um sich für seine Schicht hier im Krankenhaus umzuziehen. Alexander kommt noch mal auf mich zu und küsst meine Stirn. „Schlaf eine Runde, Kleine. Ich bleibe die ganze Zeit hier bei dir. Du hast also keinen Grund, Angst zu haben." Ein leichtes Lächeln bildet sich auf seinen Lippen, während er sich auf den Stuhl setzt, welcher neben dem Bett steht.

Müde schließe ich meine Augen. Mein Körper entspannt immer mehr. Von den Schmerzen merke ich fast nichts mehr, worüber ich durchaus froh bin. Bevor ich komplett in den Schlaf abdrifte, murmle ich noch etwas. „Ich hab dich lieb." flüstere ich. „Ich dich auch, meine Kleine." flüstert mein Bruder genauso leise zurück, wie ich es gesagt habe.

Mitten in der Nacht werde ich wach. Ich habe Angst vor der Dunkelheit in meinem Zimmer. Warum ist mein Nachtlicht nicht mehr eingeschaltet? „Mama!" schreie ich mit vor Angst triefender Stimme. Doch sie kommt nicht, keiner kommt. Immer wieder rufe ich nach meiner Mama. Die Angst steigt immer höher.

Langsam krabble ich aus meinem Bett. Mein Zimmer sieht so kruselig in der Finsternis aus. Ich laufe Richtung Zimmertür, als ich plötzlich über etwas stolpere. Ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten. Immer wieder entkommt mir ein Schluchzer. Vorsichtig rapple ich mich wieder auf und gehe aus meinem Zimmer, aber auch hier draußen ist alles dunkel. Ich will zu meiner Mama.

Ich gehe die in der ganzen Wohnung herum, um meine Mama zu finden, doch sie ist nicht hier. Vorsichtig laufe ich auf die letzte Tür zu, das Badezimmer. Mit meinen kleinen Händen drücke ich die Türklinke hinunter und betrete das Zimmer. Was ich jedoch sehe, lässt mich aufschreien. Ein lauter Schrei entkommt meiner Kehle.

Alles ist voll mit Blut. Der ganze Boden. Mittendrin liegt meine Mama und schläft ruhig. „Mama!" rufe ich, doch sie bewegt sich nicht. Warum wacht sie nicht auf? Vorsichtig gehe ich zu ihr und rüttle an ihrer Schulter. Aber auch das bringt nichts. Ich werde immer nervöser. Immer mehr Angst spüre ich in mir aufkommen. Meine Atmung wird immer schneller. Plötzlich höre ich unsere Türklingel, doch ich bin wie versteinert. Ich kann mich nicht bewegen. Mein Blick liegt fest auf meiner Mama.

Immer wieder wird gegen die Eingangstür geklopft und Stimmen sind zu hören, allerdings kann ich nicht verstehen, was sie sagen. Eine unbeschreibliche Angst verspüre ich. Ich weiß nicht mehr, was ich tue. Mein Körper bewegt sich wie von selbst.

So leise wie möglich, verkrieche ich mich in der Badewanne und verstecke mich hinter dem Duschvorhang. Das Klopfen an der Tür ist so laut, dass ich mir meine Ohren zuhalte. Plötzlich gibt es einen lauten Knall. Ich kann Schritte hören, welche sich mir nähern. Auch die Stimmen werden immer lauter. Ich habe so Angst. Verzweifelt kneife ich meine Augen zu und mache mich so klein, wie es nur geht.

Es sind Männer, die in das Badezimmer kommen. Ich kann es an den Stimmen hören. Sie reden miteinander und haben mich anscheinend noch nicht entdeckt. Noch immer laufen mir heiße Tränen über die Wangen.

Auf einmal entkommt mir ein Schluchzer. Sofort verstummen die Stimmen der Männer. Ich zittere am ganzen Körper vor Angst. Plötzlich höre ich wie der Duschvorhang zur Seite geschoben wird. Aus Schreck reiße ich meine Augen auf und sehe den Mann vor mir. Er ist unglaublich groß und stark. Ich starre ihn auf ausgefüllten Augen an. Der Mann nimmt mich hoch und trägt mich aus dem Raum. Er redet mit mir, doch ich kann ihn nicht wirklich verstehen. Immer wieder schluchze ich laut auf.

„Hey, Tiana! Mach die Augen auf." Jemand schlägt mir gegen meine Wange. Immer wieder verlangt jemand, dass ich meine Augen aufmachen soll. Vorsichtig öffne ich diese und merke erst dann, wie ich schwitze. Mein komplettes Gesicht ist von Tränen übersäht.

„Ich mag zu meiner Mama." sage ich total erschöpft. „Shhh... das ist das Fieber. Es ist gestiegen." sagt Alex und nimmt mich in den Arm. „Kann Mama bitte herkommen?" frage ich nochmal. „Tia, Mama kann nicht kommen. Sie ist schon vor Jahren von uns gegangen. Du bist durch das hohe Fieber verwirrt." redet er beruhigend auf mich ein. „Ich will aber zu ihr." weine ich weiter. „Ich weiß, Kleine. Ich weiß." Alex drückt mich ganz fest an seinen Oberkörper. Sein Herzschlag hilft mir wieder etwas runterzukommen.

„Alex" sage ich komplett erschöpft. Mir geht es noch schlechter als vorhin schon. „Mir geht's nicht so gut." spreche ich. „Ben wird dir gleich nochmal Medikamente geben. Versuch zu schlafen." 

Twisted Life 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt