08: "Von Angesicht zu Angesicht"

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Einmal mehr stand Joyce Chambler in der Küche ihres Hauses und mischte heimlich die fein zerkleinerten Stückchen von Novas Medizin in die Wasserflaschen ihrer Tochter, so als wäre es das normalste der Welt. Eine Routine die sich Joyce seit dem sechsten Lebensjahr ihrer Tochter angewöhnt hat, da es für die Mutter eine heilige Pflicht ist ihr Kind zu beschützen. Sogar vor Dingen die Nova selbst nicht einmal zu ahnen scheint.

"Mom! MOM!", ruft die Stimme von Nova, welche die Treppe hinunterpoltert. Joyce lässt den kleinen Behälter mit den Pillen provisorisch hinter den Gewürzen verschwinden und schraubt die Flasche zu.
"Du musst nicht so schreien, Schatz. Ich habe dich gehört.", murmelt sie und stellt Nova ihr Wasser an die Treppe.
"Vermutlich hat dich ganz Heavensridge gehört.", ergänzt sie scherzhaft und schaut auf die zerzausten, aber auch feuchten, Haare ihres Kindes und dem halb fertigen Makeup.
"Um Gottes Willen, was ist denn mit dir passiert?"
Nova runzelt ihre Stirn und trocknet sich weiterhin die Haare ab,
"Holly und Ich haben gestern in der Schule etwas im Internet gesehen. Auf der Facebook Seite der St-"
"Och, nein. Nicht du auch noch.", seufzt sie genervt, aber auch ein wenig enttäuscht und setzt sich auf den Hocker der Kücheninsel. Nova runzelt ihre Stirn nun noch viel stärker und lässt das Handtuch um ihren Hals absinken.
"Du weißt worum es geht?", fragt sie ihre Mutter direkt.
"Na, klar. Die ganze Stadt weiß worum es geht. Das Video ist auf allen Seiten und die Foren explodieren. 'Die Rückkehr der Desperate Devils!', schreiben sie auf Facebook. Oder 'Ist Heavensridge am Ende? - Ein Interview mit Cliff Augustine über die Bedrohung durch kriminelle Organisationen.'", lacht Joyce und zitiert die eher fragwürdigen Artikel der Stadt über die Ankunft der Gang ironisch.
"Die einzige Person die Nutzen aus der Sache zieht ist Cliff. So kann er das Chaos aufräumen, welches er vor Wochen losgetreten hat. Kein Schwein vertraut ihm mehr, aber jetzt...dank Alvarez...gibt es wieder Perspektive für ihn.", legt sie ihre Meinung offen und sieht den ehrlich interessierten Gesichtsausdruck ihrer Tochter. Nova überlegt für einen Moment und nähert sich ihrer Mom vorsichtig.

"Dieser Alvarez...kennst du ihn?", fragt Nova und die Augen ihrer Mutter sprechen Bände.
"Was? Wieso?", zittert Joyce' Stimme und Nova rollt die Augen.
"Mom...", keucht sie und ihre Mutter rudert zurück.
"Schon gut, schon gut. Ja, ich kenne ihn. Er und Ich waren damals mit Hevery und Cliff in einer Klasse. Bis er sich diesen bikenden Wichsern angeschlossen hat und unzählige Male in den Knast kam. Dann kam er irgendwann frei und stieg zu dem Anführer dieses Rudels auf. Es floß viel Blut, aber nach seinem längsten Knast-Aufenthalt konnte niemand ihm je' wieder etwas nachweisen.", erklärt Joyce ihr rasch die Vergangenheit die sie und der Anführer der Biker teilen. Novas Neugier ist aber immer noch nicht befriedigt.
"Und...hat er einen Sohn?", schießt die Frage wie aus der Pistole in den Raum. Joyce atmet tief ein und steht auf,
"Wenn du so fragst, kennst du die Antwort bereits. Nova?", fragt sie in einem vorwurfsvollen Ton.
"Was hast du mit Damian Price zu tun?", ergänzt die Mutter eindringlich.
"Ach, nichts.", sinkt Nova im Ton ab und schaut weg.
"NOVA!", brüllt Joyce.
"NICHTS MOM! Er ist auf meiner Schule, Jesus.", schrillt Novas Stimme und Joyce zuckt erneut zusammen. Nach wie vor ist sie es nicht gewohnt Kontra von ihrer Tochter zu bekommen, aber in letzter Zeit ist das wohl keine Neuheit.

"Ich muss mich fertig machen.", beendet sie das Gespräch und nimmt das Handtuch wieder in die Hand. Sie geht Richtung Treppe und will wieder nach oben.
"Vergiss dein Wasser nicht.", erinnert Joyce sie und beobachtet wie Nova reflexartig nach dem Wasser greift und die Treppe hochgeht.

Ob es Reue wegen den Lügen um die Medikamente war, oder das Gefühl der Sorge, wegen dem Thema um die 'Desperate Devils', wusste Joyce selber nicht, aber ihr Blick ließ es nur vermuten, als sie ihre Tochter dabei beobachtete, wie sie nach oben in das Bad verschwand.

--- Augustine Manor ---

Als die Nacht über der Stadt anbricht, hämmert ein donnerndes Klopfen gegen die Tür des Anwesens. Cleve steht wütend vor der Villa der Familie, welche er am liebsten am Ufer der Stadt gesehen hätte, anstatt Ricky. Als keine Antwort kommt donnert er erneut mit seiner Faust gegen die Tür.
"THORN! ÖFFNE DIE VERDAMMTE TÜR, DU ARSCHLOCH!", brüllt er und sieht wie das Lämpchen über der großen Buntglas-Doppeltür anspringt. Er hört das entsichern des Schlosses und wenige Momente später blickt er in das Gesicht des jungen Augustines.
"Cleve, hast du auf die Uhr geschaut? Es ist schon fast Mitternacht.", grummelt Thorn in seinem roten Flanellbademantel, doch Cleve ignoriert die Worte des Augustines und geht an ihm vorbei, direkt in den Eingangsbereich der Villa.

Die Bühne von dem Gründerball ist schon lange verschwunden und jetzt steht in der pompösen Villa nichts weiter als der große Klavierflügel und der teure rote Teppich, samt den - von Leder bezogenen - Sessel und Couches, welche von kleinen Tischen geziert werden, während ein großer Kronleuchter von der Decke hängt. Überall brennen Kerzen und der Kamin aus dem Salon knistert warm.

"Tut mir leid die Geisterstunde in deinem Spukschloss zu stören, aber auf meine Anrufe reagieren tust du ja nicht.", entgegnet Cleve und stellt sich vor die Treppe und verschränkt seine Arme. Thorn knallt die Tür zu und streift sich seine Haare hinter die Ohren.
"Bist du wahnsinnig geworden, was fällt dir ein so mit mir zu reden?", grummelt er und baut sich vor dem Hill auf. Doch Cleve bleibt unerschrocken,
"Ich weiß nicht, sag du es mir. Denn du hast Damians beschissene Familie zurück in die Stadt geholt, um weiß Gott für ein Chaos zu veranstalten."
Thorn lächelt etwas, aber bleibt vollkommen ernst.
"Ich habe keine Ahnung wovon du redest. Damians Familie ist hier, auf Augustine-Manor, also bitte ich dich zu-"

Cleve greift nach Thorns Arm und zieht den Augustine zu sich heran. Mit einem durchtriebenen Blick starrt er seinem einflussreichen Mitschüler in die Augen und macht ohne viele Worte klar, wie viel er von seiner Erklärung hält.
"Wenn du meine Familie angreifst und MEINE Stadt bedrohst, wirst du sehen was du davon hast, Thorn. Du magst das Geld und eine Gang auf deiner Seite haben, aber ich...ich habe nichts mehr zu verlieren, also hüte dich.", flüstert Cleve und Thorn reißt seine Hand nach unten. Die beiden entfernen sich ein paar Schritte und starren sich für einen intensiven Moment aus purer Stille ruhig an.
"Wir werden noch sehen, wem diese Stadt wirklich gehört.", flüstert Thorn. Cleve nickt,
"In der Sache sind wir uns einig."

Der Hill dreht sich um und verlässt das Anwesen, in welchem der junge Thorn nur alleine und voller Sorge zurück bleibt.

--- Wenige Minuten später... ---

Cleve geht immer noch voller Wut den schotterigen Weg des Anwesens hinab und sieht vor dem Tor des Grundstücks ein Auto, welches er nur allzu gut kennt. Den Oldtimer von Victoria. Er rollt die Augen und sieht das hämische Lächeln der - in einem schwarzen Pelz eingehüllten - Dread und sieht wie ihre dunklen Haare mit den Schatten der Nacht verschwimmen.
"So spät noch unterwegs, Süßer?", ruft sie ihm entgegen und der Hill beobachtet wie Victoria einen kleinen Umschlag, in dem sich offensichtlich Geld befindet, in ihrer Designertasche verstaut.
"Victoria...ich bin nicht in der Stimmung, ich wurde heute schon bedroht. Ich brauche deine leeren Phrasen nicht.", keucht er und schließt die Tür des Gitters hinter sich und ist bereit einfach weiter zu gehen. Doch Victoria überholt ihn rasch und stellt sich vor ihn.
"Leider ist es nicht an dir dieses Gespräch zu beenden. Es ist an mir.", murmelt sie und der Ton in ihrer Stimme schlägt von Null auf Hundert um. Cleve wird hellhörig,
"Was meinst du damit?"
Victoria lächelt und wedelt mit dem Umschlag vor seinen Augen.
"Wer denkst du hat die Desperate Devils wirklich aus L.A. zurück geholt? Ich schätze wohl diejenige die die Stadt am besten kennt und genug Kontakte in Kalifornien hat.", offenbart sie ihm und die Augenbrauen des Hills ziehen sich zusammen.
"Was...wieso sagst du mir das?"
Die Dread nähert sich dem Hill erneut, genauso wie auf dem Schulflur, doch dieses Mal drückt er sie von sich weg und scheint viel betroffener als zuvor.
"Ich wollte dich nur darüber in Kenntnis setzen, damit du weißt wer ich bin und wozu ich in der Lage bin. Der Neffe von Cliff hat eine beträchtliche Summe für die Rückkehr der Devils gezahlt, also würde ich mich an deiner Stelle in Acht nehmen."
Cleve schnaubt wütend die warme Sommerluft aus seiner Nase und die Straßenlaternen untermalen die Kulisse perfekt.
"Was für einen Plan verfolgst du, Victoria? Wieso bist du wirklich in der Stadt?"
Sie grinst und öffnet die Fahrertür ihres Autos.
"Das ist die Frage des Tages. Ich gehe davon aus, dass Nova noch nichts von meiner Rückkehr weiß. Stell sicher, dass es so bleibt und wir reden ein anderes Mal darüber."
"Victoria, ich-"
Der Motor des Wagens startet und die Dread zischt davon, in die endlos dunkle Nacht.

Und so blieb Cleve Hill mit noch mehr Fragen als Antworten zurück, aber in dem Wissen, dass sich eine so unglaublich große Verschwörung in der Stadt zusammenbraut, die viel mehr mit dem Tod von Ricky zu tun hat, als alle zu dem Zeitpunkt zu ahnen gescheint haben.

DEADLY LOVE - Für immer und ewig...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt