04: "Muttergefühle"

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--- Mifflin Street ---

Nova eilt durch die Haustür und wirft ihre Jeansjacke rasch über den Kleiderhaken am Eingang des Hauses, woraufhin sie gehetzt die Treppe hinaufrennt und die Aufmerksamkeit ihrer Mutter erregt.
"Schatz?", fragt Joyce und kommt mit einer Tasse Tee aus dem Wohnzimmer, mit Blick hinauf auf die Treppe,
"Schatz, sagen wir uns jetzt noch nicht einmal mehr 'Hallo'?"

Oben schließt Nova die Tür und springt auf ihr weiches Bett. Sie schnappt sich ihren Laptop welcher, nach wie vor angeschlossen am Ladekabel, auf ihrem Kopfkissen verweilt und öffnet diesen ohne zu zögern.
"Augustine... Augustine..", murmelt sie und gibt den berühmt-berüchtigten Namen der mächtigsten Familie in Heavensridge in die Suchleiste ein. Der Browser beginnt zu suchen und die unschuldigen Augen der Chambler wandern auf das fröhliche Bild von sich selbst und Ricky, welches auf ihrem Schreibtisch steht und - zu ihrer Überraschung - von ihrer Mutter geputzt wurde, damit die getrockneten Tränen von Nova nicht den Bilderrahmen ruinieren.
"Was hattest du nur mit denen zu tun, Ricky?", flüstert sie und schaut auf ihren lächelnden Freund, welchen sie mehr vermisst als alles andere. Allerdings ist der Trauerprozess wohl ein anderer, wenn ein enormes Geheimnis mit in das Grab des jungen Hills genommen wurde.

"Schatz, ich habe mit dir gesprochen!", keucht Joyce etwas wütend und reißt die Tür zu ihrem Zimmer auf. Nova wird aus ihrem Tunnelblick gerissen und schaut auf das entsetzte Gesicht ihrer Mutter,
"Mom... Was ist los?"
Joyce stellt ihre Tasse auf der Komode ihrer Tochter ab und atmet gestresst aus.
"Das sollte ich dich fragen. Du bist doch wie vom Teufel verfolgt in das Haus gestürmt, ohne mir nur einen Blick zu huldigen. Warst du in der Schule?!", fragt sie verwundert. Nova zieht ihre Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf,
"Oh, nein... war ich nicht. Ich war mit Holly im Diner."
Joyce rollt ihre Augen,
"Wie bitte? Was sollen denn die Leute von uns denken wenn du einen Tag nach Rickys Ermordung in der Öffentlichkeit aufkreuzt, ohne nur eine Träne zu vergießen."
Nova lässt ihren Mund etwas hängen und sagt nichts mehr.
"Und wieso trägst du kein Schwarz? Schwarz ist die Farbe der Trauer, also solltest du dich gefälligst der Tradition anp-"

"WAS IST DENN EIGENTLICH LOS MIT DIR?", brüllt Nova und reißt ihren Kopf in die Luft. Joyce verstummt und tritt zurück.

"Er war MEIN Freund! Ich trauere wie es MIR passt und ohne irgendeine bescheuerte Anweisung von dir zu befolgen. Ich bin nicht mehr deine Marionette, die du der Nachbarschaft präsentieren kannst."
"Schatz, ich...", keucht Joyce, da sie ihre Tochter noch nie so erlebt hat.
"Nein. Ich rede.", unterbricht Nova sie und steht auf.
"Sechszehn Jahre.", sagt Nova mit kühlem Blick.
"Was?"
"Sechzehn Jahre! Sechzehn Jahre behandelst du mich wie ein Spielzeug anstatt wie deine Tochter. Sechzehn Jahre hältst du mich in diesem goldenen Käfig gefangen und hast mir nach drei Monaten voller Streit und Diskussion die Beziehung zu Ricky erlaubt. Eine Beziehung die durch einen Mord endete... und dann sagst du mir wie ich zu trauern habe?!", redet sich die junge Chambler in Rage.
"Nova, ich wusste nicht, dass du dich so fühlst, hätte ich das gewusst, dann...", versucht sich Joyce verzweifelt zu rechtfertigen, im vollen Bewusstsein wie Recht Nova hat.
"Dann was? Hättest du mich dann genauso verjagt wie Ellie?"

Eine tödliche Stille herrschte in dem Zimmer von Nova. Ellie als Argument zu nehmen - überhaupt ihren Namen auszusprechen - hätte sich Joyce nie von ihrer Tochter vorstellen können. Ellie und William waren ein vergrabenes Kapitel der kleinen Familie, welches wohl ein größeres Tabuthema war, als der Mord an Ricky als Ganzes.

"ICH BRAUCHE DICH NICHT MEHR DU BIST EIN VERDAMMTES MONSTER!", hallte die Stimme von Ellie durch den Kopf von Joyce.
"Was würde dein Vater nur sagen, wenn er sehen könnte was du uns gerade antust? WIR SIND EINE FAMILIE, ELLIE, GOTT IM HIMMEL! DEINE SCHWESTER BRAUCHT DICH!", entgegneten die Worte von Joyce denen ihrer Tochter, welche mit gepacktem Koffer im Rahmen der Haustür stand und ihrer hochschwangeren Mutter in ihre - vor Tränen nassen - Augen starrte.
"Du hättest in dem Auto sterben sollen und nicht Dad! Er hat es nicht verdient so zu gehen, aber du...", wimmerte die brüchige Stimme von Ellie.
"Aber ich? Los sag schon.", lächelt Joyce und griff nach dem Koffer ihrer Tochter um diesen zu sich heran zu ziehen.
"Du bist nicht mehr meine Mutter. Und lass dir eine Sache gesagt sein, Joyce... das Kind welches du in dir trägst wird genau das eines Tages erkennen. Der Mensch der du wirklich bist... und dann wirst du auch sie verlieren."
Ellie riss Joyce den Koffer aus der Hand und knallte ihr die Tür vor der Nase zu. Mit Tränen in den Augen beobachtete Joyce vom Wohnzimmerfenster das Starten des Autos in ihrer Einfahrt und wie Ellie ein für alle Mal davonfuhr, ohne sie jemals wieder zu sehen.

"Ich hätte dich niemals verjagt, Nova.", antwortet Joyce ohne ihre sonst so hochnäsig-selbstgefällige Stimme. Nova schluckt kräftig, als sie die Emotionen in den Augen ihrer Mutter erkennt und setzt sich wieder.
"Lass mich bitte alleine.", wimmert sie nun viel leiser. Joyce greift nach ihrer Tasse und verschwindet ohne ein weiteres Wort zu sagen aus dem Zimmer. Manchmal ist das Schweigen einer Person die man liebt, wohl die schlimmste Bestrafung die es gibt. Novas Augen wandern wieder auf den Bildschirm der schon lange passende Suchergebnisse ausgespuckt hat. Sie streift sich durch die Haare und atmet kräftig aus.

Und dann erblickte Nova die Gelegenheit um der Wahrheit ein kleines Stück näher zu kommen.
"AUGUSTINE-MANOR LÄDT EIN: Die Feier der Gründerväter zum 100. Jubiläum von Heavensridge!", sprang ihr das erste Suchergebnis in die Augen. Die Einladung zu einem Ball, an den Ort an dem sie der Killer ruchlos locken wollte. Der Ort, an dem am ehesten die Puzzleteile zum lösen dieses dunklen Mysteriums liegen. Ein Anruf ging durch das Handy von Nova.
"Holly?", fragte Nova entschlossen und betrachtete das Foto der antiken Villa voller Respekt.
"Hast du Lust zu einem Ball zu gehen?"

DEADLY LOVE - Für immer und ewig...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt