57: "Weit auseinander"

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In den nächsten Tagen, gar Wochen, lichtete sich der Rauch des Kampfes, der Heavensridge am Tag ereilte, an dem Novaliana Chambler verschwand. Genau wie damals, standen wir nun alle wieder vor der harten Tatsache, dass Nova weg war und wir keine Ahnung hatten, wie es nun weitergehen würde. Derrick Dread war tot. Seine Beerdigung war das monumentalste und ehrenwürdigste was die Stadt je' zu Gesicht bekam. Trotz der vielen Differenzen - trotz der Feindschaft die wir einst zu ihm hegten - fehlte Derrick in Heavensridge. Er tat zwar schreckliche und fahrlässige Dinge, aber am Ende des Tages, wollte er Heavensridge zu einem besseren Ort machen und nichts anderes, als Antworten bekommen. Genau wie Nova. Aber es schien so, als wenn jede Person die der Wahrheit auf die Schliche kam, einen entsetzlichen Preis zahlen müsste.

Eine positive Seite hatte der Kampf jedoch: Cole und Joe Grimwood, waren gänzlich tot. Lucianas Kräfte reichten nicht, um so einen enormen physischen Schaden zu reparieren, was vorallem eine Sache bedeutete: Dass Christian auf Rache aus sein würde. Das war aber unsere geringste Sorge, denn alles drehte sich erneut darum Nova zu finden.

--- Augustine Manor ---

"Sie haben unsere Geschwister getötet! Sie verdienen es in der Luft zerrissen zu werden! IHRE EINGEWEIDE SOLLEN UNTER DER SONNE BRENNEN!", brüllt Kai durch die Hallen der Villa, während Christian still an der Treppe steht. Atticus schüttelt den Kopf und deutet auf eine Karte, die sich auf einem großen Tisch befindet, der die Eingangshalle neuerdings ziert.
"Du hast diesen Aufstand begonnen, Bruder! Wir hatten eine Abmachung und wollten Frieden zwischen ihnen und uns. Du hast Cole und Joe in die Schusslinie gedrängt, alles was wir brauchten war Novalianas Blut und nicht ein Inferno inmitten einer Kleinstadt.", entgegnet er und betrachtet ein rotes Kreuz, welches einen Ort in Oregon - wenige Meilen außerhalb von Heavensridge - kennzeichnet.
"Du willst mir sagen, dass sie wegen mir tot sind? Wir brauchen keine Chambler die sich in unsere Angelegenheiten einmischt. Außerdem hat Luciana es vorgeschlagen!"
Die Schwester runzelt ihre Stirn und betrachtet Kai zwielichtig.
"Wir wollten Vater und jetzt können wir ihn erwecken. Wir können unsere Gaben nutzen, um seinen ultimativen Plan durchzusetzen. Das Ende der gewöhnlichen Gesellschaft, eine Welt in der WIR die Götter sind! Puren und wohligen Frieden, nur dank uns.", erklärt Luciana und nun schreitet Christian ein.

Der Grimwood schreitet die Treppe hinunter und stellt sich still vor die Karte.
"Das ist seine Gruft. Ich konnte sie durch ihr Blut sehen.", flüstert er schon fast und sichtlich betroffen von dem Verlust seiner Brüder. Christian ist so gut wie immer allen einen Schritt voraus, aber den Tod von zwei der Personen - welche er ewig lang suchte - ist ein gewaltiger Schlag in den Magen für den Grimwood.
"Denkst du Novaliana wird zu einem Problem werden?", fragt Luciana und wirft ebenfalls einen raschen Blick auf die Karte, welche vom Licht der Kerzen angeschimmert wird.
"Sie ist verschwunden und das seit Wochen. Um die Dread und den Rest der Bande müssen wir uns keine Sorgen machen. Sie sind nichts als gewöhnliche Menschen.", erklärt Kai.
"Einer dieser 'gewöhnlichen Menschen', hat uns unsere Brüder genommen.", murmelt sie.

Christian rümpft seine Nase, aus welche er schleichend zu bluten beginnt. Atticus runzelt seine Stirn,
"Bruder?"
Chris wischt sich das Blut weg.
"Christian!", wiederholt sich Atticus und greift nach der Schulter seines Bruders.
"Was ist mit Thorns Körper?"
"Nichts."
"Es sieht aber nicht nach 'Nichts' aus."
Chris dreht sich um und zuckt mit den Schultern.
"Vater wird mir helfen. Er wird uns allen helfen."
Luciana schaut ihre Geschwister unsicher an, woraufhin sogar Kai einen Ausdruck der Unsicherheit erhascht.
"Wenn du stirbst, bist du permanent tot. Der Smaragd ist zerstört, es gibt keinen Weg aus dem Augustine heraus, der nicht mit dem Tod endet.", sagt Luciana. Chris grinst provokativ und hebt seine Hand.

Luciana fasst sich an den Schädel und schreit laut auf. Chris hat in ihrem Kopf, eine Ader platzen lassen.
"WAS SOLL DER MIST?!", kreischt sie, woraufhin Atticus erneut zu ihr eilt.
"Ich bin ewig, also hüte dich.", zischt Christian und geht erneut die Treppe hinauf. Luciana schaut ihm ängstlich hinterher, woraufhin Atticus sie fürsorglich anschaut.
"Keine Sorge, bald ist es vorbei. Er hat Angst.", flüstert er und Kai kratzt sich still am Kinn.
"Wir alle haben das. Wenn Vater kommt kann es der Anfang sein.", fährt er fort,
"Oder das Ende..."

--- Ridge Diner ---

Alleine sitzt Vici nun am Tisch des Diners, an dem sie vor geraumer Zeit noch mit ihrem Vater saß. An diesem Ort herrschten zwar Streit und Differenzen, aber es gab auch friedliche Momente zwischen dem Großunternehmer und seiner einst so unscheinbaren Tochter. Sie saßen dort ab und an - selten, aber dennoch gab es diese Tage durchaus - und sprachen bis in die tiefe Nacht, fast schon zur Endschicht des Diners, aßen Pommes und tranken die abgestandene Cola. Nichts konnte ihnen diese Momente ruinieren, obwohl sich Vater und Tochter nie wirklich einig waren. Vici ist froh sich an diese Momente erinnern zu können, aber jetzt den leeren Platz zu sehen, trifft sie tief an einem Punkt, von dem sie nicht einmal wusste, dass es ihn gibt.

"Hey. Wie geht es dir?", hört sie die Stimme von Holly und wird aus ihrer Trance gerissen. Der Kopf der Dread richtet sich nach oben und sie mustert die Hopper, welche ihre Tasche ablegt und sich gegenüber von Vici niederlässt. Holly betrachtet die bleiche Victoria und atmet etwas ein,
"Hier, ich habe dir etwas mitgebracht."
Aus ihrer Tasche holt sie ein Buch und schiebt es über den Tisch, als die roten Neonlichter die beiden anstrahlen.
"The Stand? Denkst du ein Buch von King macht die letzten Wochen wieder gut?"
Holly hebt ihre Augenbrauen und zuckt mit den Schultern.
"Nova hat es geliebt. Joyce meinte, nachdem wir fast in Thorns Jadghütte gestorben sind und Nova erstmals von Scarlett erfuhr, hat sie die nächsten Tage nichts anderes gemacht, als genau dieses Exemplar zu verschlingen."
Die Dread greift nach dem Roman und streift über das Cover, in der Hoffnung sich auf irgendeine Art und Weise zu Nova verbunden zu fühlen.
"Mein Leben ist kein Buch, in dem es um den ultimativen Kampf zwischen Gut und Böse geht, Holly. Ich bin ein echter Mensch, mit verdammt nochmal echten Problemen. Scarlett hin oder her, in der echten Welt siegen nicht immer 'die Guten'.", flüstert sie und steckt das Buch dennoch ein.
"Ich weiß nicht einmal mehr was 'Gut' bedeutet."
"Du dachtest du beschützt uns. Die Grimwoods sind unberechenbar."
Vici reißt ihre Augen auf und wirft ihre Haare nach hinten.
"Nein. Ich dachte, ich beschütze mich! Mich selbst, so wie es schon immer war. Ich dachte an mein Glück und meine Vorteile, obwohl ich genau wusste, wie falsch es ist. Jetzt bricht der Kurs von Dread Estates zusammen, meine Hoffnung auf ein normales Leben ist hin und der verrückte - uralte - Vater der Anomalien ist kurz davor auf die Welt losgelassen zu werden. Ich weiß nicht ob du es bemerkt hast, aber das wird das Ende sein. Entweder wir sterben alle zusammen, oder verlassen diese Stadt für immer."
Die Hopper runzelt verwundert ihre Stirn.

"Soll Shay Heavensridge doch bekommen. Ich will ein Leben abseits von allem hier. Der Ort kann zur Hölle fahren, solange ich es nicht tue."
"Und Nova?", fragt die Hopper ernst und sichtlich enttäuscht.
"Ich denke wir beide wissen, was mit Nova geschehen ist. Alle wissen es, trauen sich aber nicht es auszusprechen.", zischt sie und legt das Buch wieder auf den Tisch ab.
"Ich werde nicht warten, bis es zu spät ist. Und ich rate dir, dass du es auch nicht tun solltest. Nimm Damian und verschwinde von hier. Meine Eltern hatten recht und ich könnte mir die Nägel dafür ausreißen, dass ich nicht auf sie gehört habe."
Der Ausdruck des Verständnisses verschwindet gänzlich aus Hollys Mimik.
"Und Thorn? Damian will ihn immernoch retten. Wir können Joyce und Juliet nicht alleine lassen und wir können erst recht nicht die Suche nach Nova aufgeben. Es besteht immernoch Hoffnung. Hoffnung, solange wir uns haben! Wir alle, zusammen."
Vici stapft an Holly heran und senkt ihren Kopf zu ihr herab.

Sie schaute sie eindringlich an und erst jetzt erkannte Holly, wie leer die Pupillen der Dread waren. Da war keine Liebe mehr. Keine Freundlichkeit und keine Empathie. Da war nur noch die Victoria, welche alles verloren hat. Die Victoria, welche nach Heavensridge kam um zu bekommen was sie will und versagte.
"Schau dich doch um. Es gibt kein 'Wir' mehr. Wir sind alle zu weit auseinander und es wird nie wieder so sein wie damals. Das Feuer welches uns niederbrannte begann an der High und endete in der Mifflin Street. Es ist vorbei. Endgültig.", keuchte Victoria und verschwand aus dem Diner. Holly blieb alleine auf dem Platz zurück und griff nach dem Buch. Es spiegelte sich im Glas ihrer Brille, ehe sie es ablegte und ebenfalls ihre Sachen packte. Auch sie verschwand aus dem Diner und alles was zurückblieb war der nächtliche Angestellte und das Buch, welches den leeren Tisch schmückte.

DEADLY LOVE - Für immer und ewig...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt