52: "Monster"

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Auf dem Schreibtisch der Townhall herrschte mindestens ein genauso großes Chaos, wie in dem Kopf von Victoria Dread, welche in die vielen Artikel und Broschüren vertieft war, die sich mit dem Unternehmen ihres Vaters beschäftigten. Los Angeles war der Dread im letzten Jahr so enorm fern, nachdem sie in ihre alte Heimat zurückgekehrt ist, doch Ophelias Angebot, im Bezug auf Dread Estates, eröffnete Vici so unendlich viele Möglichkeiten das Leben neu anzugehen. Ich selbst hätte niemals gedacht, dass Victoria Heavensridge wieder verlassen würde - vor allem wegen Nova - aber für sie schien die Distanz nie ein großes Problem zu sein. Vielleicht versuchte sie einfach, nach all dem Trubel von 2019, nach dem Strohhalm der Normalität zu greifen.

"Diese Schule ist echt gut. Nach dem Studium war ich dort und habe mit Nancy Meadows den Wirtschafts Kunde Kurs besucht.", lächelt Ophelia und durchstöbert den Artikel, welcher sich über den Bildschirm von Vicis PC erstreckt.
"Du willst mich auf die Schule schicken, auf der du auch Dad kennengelernt hast?!", runzelt ihre Tochter die Stirn und lässt sich in den Stuhl fallen.
"Du brauchst bestimmte Voraussetzungen um bei deinem Papá zu arbeiten. Er mag vielleicht seine Tochter vor alle anderen stellen, aber ich sitze im Rat. Wir haben einen Ruf zu wahren.", zwinkert sie und klopft ihr auf die Schulter. Stark atmet Victoria aus und überschlägt nachdenklich ihre Beine.
"Oder willst du etwas anderes machen? Keine Sorge, wir unterstützen dich bei allem was du willst. Hauptsache du kommst raus aus diesem Kaff hier."
Vici nickt still und kratzt sich an der Nase.
"Wäre es nur so einfach."
"Ist es das nicht?", fragt Ophelia und steht auf. Sie begibt sich zur Bar und schenkt ihrer Tochter eine frische Limo ein.

"Nova ist sauer auf mich. Sie hat über Holly von dem L.A. Plan erfahren. Ich wollte es ihr bei dem Homecoming Ball sagen, aber..."
"Hm?", summt ihre Mutter und stellt das Glas langsam auf dem Tisch ab.
"Sie hat mich nicht eingeladen."
Ophelia runzelt ihre Stirn.
"Ist ein Ball nicht für alle da? Wieso bist du nicht einfach hingegangen?"
"Ich weiß nicht, sie ist wirklich sauer. Ich will sie doch nicht verlassen, oder so, aber für Nova steht dieser Job einer Trennung gleich. Und ich dachte gerade sie würde es verstehen..."
Ophelia mustert ihre Tochter etwas und sieht die angespannte Körperhaltung, welche sie im Bürostuhl zeigt.
"Oh, Mija...", murmelt sie und legt ihre Hand fürsorglich auf die Schulter von Vici.
"Es ist wegen Weihnachten, oder?"
Victoria nickt still und steht auf.

Schnell fährt sie sich durch die Haare und geht zum Fenster, aus welchem sie einen starren Blick auf die Stadt wirft.
"Ich hasse diesen Ort. Die Liebe hat mich damals verjagt und und später wieder hergebracht. Und jetzt - nach allem was war - nimmt diese Stadt mir wieder einmal alles..."
Die Dread schaut ihrem Kind besorgt hinterher und betrachtet ihre Silhouette, welche sich durch das Licht von außen - am Rahmen des Fensters - perfekt abzeichnet.
"Menschen verändern sich, das ist völlig gewöhnlich, aber Novaliana wird Heavensridge niemals ohne Antworten verlassen, nicht nach allem was wir im letzten Jahr mit Christian Grimwood erlebt haben.", versucht Ophelia eine Antwort zu finden, woraufhin Vici sich umdreht. Ihre Tränen kullern still durch ihr schwarzes Makeup, geradeaus über ihre bleiche Haut und zeugen von enormen Frust und einem gewaltigen Ausmaß an Unsicherheit.
"Die hätten mich fast getötet, Mom. Ich wurde entführt und wegen mir musste Nova jemanden erschießen! Wegen mir ist sie so... voller Zweifel und mit diesem Hass auf sich selbst. Wegen einer Tat, die wegen MIR stattgefunden hat. Weil sie mich beschützen wollte..."
Ophelia steht auf und geht mit ausgebreiteten Armen auf ihre Tochter zu, doch Vici hebt ihre Hand und schüttelt den Kopf.
"Nein, lass mich. Ich habe das verdient."
"Was sagst du denn da?", keucht ihre Mutter verwundert. Victoria fängt an zu kichern und krallt ihre Nägel wütend in die hölzerne Fensterbank.
"Du und Dad wart zerstritten. Zerstritten wegen den Taten die er begangen hat. Aber weißt du was? Ich war genauso wie er!", zischt sie und zeigt aus dem Fenster.
"Als ich wieder herkam, wollte ich Nova an mich binden und sie nie wieder loslassen! Jede Sekunde in L.A. dachte ich daran, was Ricky Hill mir genommen hat und dieser Hass machte mich rasend. Ich habe mir manchmal gewünscht, einfach herzukommen und ihn eigenhändig zu töten..."
Ophelias Pupillen ziehen sich zusammen.
"Als ich von seinem Tod gehört habe, machte ich mich ohne zu zögern auf, um zu bekommen was ich wollte: Nova. Ich dachte nicht ein einziges Mal daran, wie sie sich fühlen würde, oder was dieser Verlust mit ihr anrichtete. Ich kam her und lachte am Grab von Ricky. ICH HABE DEN AUGUSTINES GEHOLFEN DIE DEVILS HERZUHOLEN!", brüllt sie und ist stark am zittern.
"Wegen mir hat Cleve Penbrooke verloren! Weil ICH die Devils herbrachte, entschied sich Natasha dazu Alvarez zu töten. Sie wurde durch meine Taten zu einer Killerin und verletzte so viele Menschen die Nova etwas bedeuteten. Wäre ich nicht gewesen, würden einige Personen noch am leben sein und diese Zeit werde ich mir niemals vergeben. Die Anderen tun so als wäre nie etwas gewesen, aber ich erinnere mich jeden Tag daran, wenn ich in den Spiegel schaue. Weil alles was ich sehe, ist das Gesicht eines Monsters...", murmelt sie und sieht die perplexe Ophelia, welche stark am keuchen ist.
"Ich wusste nicht, dass du so von dir denkst...", flüstert ihre Mutter leise.

Victoria schüttelt den Kopf und eilt zur Garderobe.
"Wie denn auch? Du siehst immer das Gute, aber nichts in dieser Stadt ist noch gut. Weder ihre Fassade, noch die Personen in ihr...", grummelt sie und zieht sich ihren Ledermantel über.

Den Mantel, den sie trug, als sie nach all den Jahren nach Oregon zurückkehrte.

"Wohin gehst du jetzt?", fragt Ophelia und beobachtet Vici, wessen Blick langsam in den Spiegel, über der Kommode wandert, welche direkt neben der Garderobe steht. Victoria betrachtet sich ernst und wischt sich ihre Tränen aus dem Gesicht.
"Ich nehme mein Schicksal selbst in die Hand. Ich lasse mich nicht mehr von diesem Ort hier kontrollieren...", antwortet sie in einer Stimmlage, die Ophelia so noch nie gehört hat. Es scheint fast so, als würde es ihr sogar etwas Angst machen.
"Und von irgendwelchen Menschen erst recht nicht. Ich weiß wer ich bin und wer ich schon immer sein wollte.", lächelt sie und öffnet die Tür des Büros. Ihr Blick wandert zu Ophelia.
"Danke für das Gespräch, Mom.", wimmert sie. Ophelia tritt nach vorne und sieht den Ausdruck der Schuld in den Augen ihrer Tochter.

Es war aber kein Ausdruck der Schuld, wegen Victorias Vergehen aus dem letzten Jahr. Es war ein Ausdruck der Schuld, der noch frisch war. Unbemerkt und heimlich, doch ihre Mutter konnte es ohne Zweifel erkennen.
"Was hast du noch getan, Victoria?"
Die junge Dread blieb im Türrahmen stehen und räusperte sich.
"Das Richtige."

DEADLY LOVE - Für immer und ewig...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt