58: "Hüttenzauber"

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Eine zentrale Frage, wenn das Ende einer langen Geschichte ansteht, ist die, wie es enden wird. Und allmählich begann diese Geschichte zu enden. Aus dem Leben eines kranken Mädchens, welches den Fängen des Schicksals ausgeliefert war, wurde schleichend ein Kampf um die Zukunft von Heavensridge. Mit jeder Sekunde die Derrick fehlte, realisierte ich wie falsch wir damals lagen. Er war nicht der Böse, denn das wahre Böse streifte in der Zeit, in der wir Killer jagten und um den Abriss einer Schule stritten, durch die Staaten von Amerika und trug den Namen 'Christian Grimwood'. Unsere Gruppe war zersplittert und der Abschluss rückte immer näher. Unaufhaltsam und wie eine Naturgewalt, die dazu bereit war unsere Leben für immer auseinander zu reißen. Das Ende war nah...

"Du hast lange geschlafen. Trink selber etwas, ich habe keine Lust dich durch einen Strohhalm zu füttern.", murmelt eine Stimme durch eine karge Holzhütte. Nova wacht langsam auf und hat keine Ahnung wie viel Zeit vergangen ist, geschweige denn ob sie überhaupt noch am leben ist. Ihre Pupillen fahren über das dunkle Holz der Hütte, in welcher ein leichtes Feuer im Kamin lodert. Sie blickt auf und greift nach ihrer Wunde, welche versorgt und vernäht wurde.
"Wegen der alten Zeiten. Ich dachte dir würde ein bisschen Medizin gut bekommen. Du sahst echt scheiße aus.", bewertet Cleve die Chambler und wirft ein blutverschmiertes Handtuch über einen Stuhl.
"Wann hat dieser Mist ein Ende?", murmelt Nova und rafft sich auf. Ihr fällt es sichtlich schwer sich auf den Beinen zu halten, aber scheinbar sind einige Tage seit der Versorgung ihrer Wunde vergangen. Cleve zieht seine Augenbrauen hoch und schaut ihr mit einem schmalen Lächeln zu.

Nova stapft zum Fenster und mustert die Umgebung des Waldes genau.
"Wenn so die Hölle aussieht, ist es verdammt grün."
"Die Hölle? Wieso gehst du davon aus?"
Sie lacht und wendet sich wieder dem Hill zu.
"Weil Kai Grimwood mich mit seinem Messer durchlöchert hat. Zudem ist mein Haus abgefackelt. Das Heim meiner Kindheit wohlbemerkt, aber danke der Nachfrage."
Cleve schaut sie verwundert an.
"Außerdem rede ich gerade mit einem Typen, der aussehen sollte wie ein verbranntes Toastbrot. Nimm's mir nicht übel, aber den ganzen Halluzinations-Scheiß habe ich durch."
"Das hat wehgetan.", flüstert Cleve.
"Aber wie du siehst bin ich hier. Ich stehe vor dir."
Nova rollt ihre Augen. Sie geht auf Cleve zu und streckt ihre Hand aus, um nach seinen Arm zu greifen. Sie ist der Überzeugung, dass sie so beweisen kann, dass es sich um eine Vision handelt - oder sie wirklich in einer Art Jenseits gefangen ist. Aber als sie den Arm des Hills greift, spürt sie ihn.

Sie spürt den Stoff seines Sweatshirts. Jede einzelne Faser. Sie spürt sogar wie seine Adern pulsieren.

Ihre Augen weiten sich, als sie ihn perplex anschaut und zurückweicht.
"Du dachtest wirklich du hättest den Verstand verloren?", fragt Cleve und beginnt fast schon zu lachen.
"Unmöglich... du... Nein!", keucht sie und schaut sich erneut um. Sie erblickt leere Koffer, Sporttaschen die wiederum voll bepackt sind und einen Haufen von Rickys Lieblingsbüchern, welche die provisorischen Regale der Waldhütte füllen.
"Weißt du was auch unmöglich ist?", fragt er und greift nach einem Holzscheid. Er hält ihn in den Kamin, bis das trockene Holz Feuer fängt und er es Nova fast schon vor die Nase hält. Er hebt seine freie Hand und greift ohne zu zögern in den brennenden Scheid. Nova zuckt erschrocken auf, aber ihre Pupillen verkleinern sich relativ schnell, als sie sieht was Cleve mit seiner Aktion aussagen will. Der Hill fühlt keine Schmerzen, ebenso bleibt seine Haut gänzlich unversehrt.
"Du bist immun gegen Feuer...", flüstert sie. Cleve legt den Scheid in den Kamin, wo er sich mit der bereits bestehenden Flamme vereint.
"Eine Anomalie, so wie sich zeigte. Anscheinend sind wir doch garnicht so unterschiedlich, Nova.", lächelt er, woraufhin Novas Emotionen ausbrechen und sie ihm mit offenen Armen um den Hals fällt.
"Ich dache du wärst tot. Deine Mom... ihre Leiche, aber deine war..."
"Nicht da?", flüstert er und streift ihr seicht über den Rücken,
"Es gibt ein paar Dinge die du wissen solltest."

--- Augustine Jagdhütte ---

Christian stürmt durch die Tür der kleinen Jagdhütte und sein Herz klopft so laut, dass er das Rascheln der Blätter kaum hören kann. Die kalte Morgenluft schlägt ihm in's Gesicht und seine Schritte sind hastig, als er zum alten Spiegel am anderen Ende des Raumes eilt. Sein Blick ist gespannt, fast schon erwartungsvoll, doch seine Augen verraten eine tiefe Nervosität. Vor dem Spiegel angekommen, bleibt er stehen und betrachtet sein Ebenbild. Sein dunkles Haar ist zerzaust, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen - und das hat er wohl auch nicht. Seine Augenringe sind deutlich sichtbar, Zeugen seiner inneren Unruhe. Die grünen Augen starren zurück, als würden sie nach Antworten suchen, die er bisher noch nicht gefunden hat.

"Kann ich das wirklich tun?" flüstert er leise zu sich selbst. Sein Spiegelbild sieht ihn unverwandt an, als würde es auf eine Antwort warten. Die Jagdhütte umgibt ihn mit ihrem vertrauten Holzgeruch, während draußen die ersten Sonnenstrahlen durch die Baumwipfel brechen.
"In Anbetracht dessen, dass ich ein Gefangener in meinem eigenen Körper bin, nein. Du solltest es nicht tun.", antwortet ihm sein Spiegelbild. Thorn Augustine. Die Seele von Thorn spiegelt sich auf dem glatten Glas wieder, während Christian nicht weiter weiß und vorsichtig über seine trockene Haut fährt. Als seine Finger das Gesicht berühren, blättern ein paar Schuppen ab und lassen ihn noch unruhiger werden.
"Ich brauche Vater. Ich bin des Todes und wenn er mir nicht hilft, werde ich nie wieder zurückkommen können."
Thorn zuckt mit den Schultern und blickt durch den Spiegel, welcher als eine Art Tor dient, die die beiden zum kommunizieren benutzen.
"Du kennst meine Gedanken, aber ich kenne auch deine, Christian."
Der Grimwood rollt mit den Augen,
"Das ist mir bewusst."
"Dann weißt du, wieso du Shay nicht helfen solltest. Diese bedingungslose Liebe die ihr zu ihm habt ist sinnlos. Ihr habt keine Ahnung wer er ist, was für eine Art von Monster er sein kann. Du hast nicht nur einen kleinen Schimmer, ob er dir wirklich helfen würde."
"Denkst du das weiß ich nicht? Ich kenne die Geschichten über ihn... die Legenden.", wummert seine Stimme durch die Hütte.
"Manche sagen er ist der Teufel persönlich."
Thorn schaut ihn suggestiv an.
"Ich liebe Zweifel. Sogar bei einem Ding wie dir.", grinst der Augustine.
"Mein Körper stirbt. Und solange du zögerst, wird sich die Situation nicht ändern. Entweder ich sterbe, oder nur du. Aber wenn du nichts tust, dann sind wir beide ebenso geliefert.", flüstert er durch den Spiegel. Chris schaut erneut in die Reflektion, welche nun endlich wieder ausschließlich Christian selbst zeigt. Seine Pupillen flackern erneut grün auf, doch mit jeder Sekunde beginnt die Farbe mehr zu zittern.

--- Mooreland Forest ---

"Du bist... einfach aus der Schule 'rausspaziert? Hast du nicht eine einzige Sekunde daran gedacht mit uns zu reden?"
Cleve beginnt zu lachen.
"Und euch zu erklären, dass ich ein feuerimmuner Mensch bin? Nicht so einfach."
"Wir hätten es verstanden."
"Ihr habt einen unsterblichen Gedankenwandler gebraucht um es zu verstehen."
Nova schweigt. Sie schaut auf den Tisch von Cleves abgelegener Blockhütte und betrachtet das Buch von Victor, welches sie kurz vor der Ankunft der Fünf bekam.
"Woher hast du das?"
"Du glaubst nicht wie einfach es ist in Heavensridge rumzuspazieren, wenn alle denken man wäre tot. Ich brauchte es. Wegen Shay."
Nova nimmt einen Schluck des selbstgebrauten Kräutertees.
"Woher kennst du seinen Namen?"
"Auf der Suche nach Antworten trifft jeder früher oder später auf seinen Namen. Es brauchte einige Zeit bis ich begriff, wieso Mom so ein unnatürliches Interesse an dir hatte. Sie wusste von meiner Anomalie und von deiner erst recht. Spätestens nach dem... dem Tod von Ricky."
Sie sieht den Ausdruck der Unsicherheit in den Augen des Hills, welcher genauso schnell wieder im Leben der Chambler aufgetaucht ist, wie er damals verschwunden ist.
"Shay kommt. Dein Blut hat meine Alarmglocken läuten lassen und mich zu dir geführt."
Nova atmet auf,
"Deswegen redeten sie von einem 'Kompass'?"
Cleve nickt.
"Und dich am Rande des Todes zu haben... die jüngste Trägerin der Anomalie jemals... das hat ihn auf den Plan gerufen. Ihn erweckt."
Nova wendet sich wieder dem Fenster zu und schaut in den leeren Wald, in dem nur die Blätter rascheln und der Rauch des Kamins aufsteigt.

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Ein grünes Funkeln blitzt in der Ferne am Himmel auf und dringt in das Auge des Grimwoods ein, welcher ebenfalls am Fenster steht. Als eine Träne seine spröde Haut befeuchtet und seinen schwarzen - von Augenringen gezierten - Höhlen hinunterläuft, blickt er in den Himmel und fühlt die Präsenz. Eine Präsenz welche er nie geglaubt hätte zu spüren.
"Vater..."

DEADLY LOVE - Für immer und ewig...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt