𝓟𝓻𝓸𝓵𝓸𝓰

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2002


Dag sah aus seinem Fenster. Es war schon spät. Die Straßenbeleuchtungen spendeten jedoch genug Licht, so das er alles auf der Straße mit Leichtigkeit erblicken konnte.

Heute sollte es schneien. Man merkte es auch an der Kälte, die bereits vorhanden war.

Doch nicht aufgrund des Wetters war sein Blick nach draußen gerichtet. Er beobachtete einen weißen Opel Corsa, der schon mehrmals um den Block gefahren war, und der nun in eine freie Parklücke parkte.

Niemand stieg aus.

Das war ihm schon vorher klar. Besser gesagt, er hatte es geahnt, denn der Wagen hielt nicht das erste Mal in seiner Straße. Dieser war ihm bereits ein vorheriges Mal ins Auge gefallen.

Die paar Tage zuvor hatte er sich nichts dabei gedacht. Einfach nur ein parkendes Gefährt in seiner Straße. Erst morgens war ihm aufgefallen, dass jemand in dem Auto geschlafen hatte.

Nicht irgendwer.

Es war ein junges Mädchen mit rotblondem Haar gewesen. Dag schätzte sie in etwa sein Alter.

Es war nicht das erste Mal, das er sie gesehen hatte. Gelegentlich hatten sich ihre Wege schon gekreuzt ... mehr aber auch nicht.

Er wusste rein gar nichts über sie. Ihren Namen nicht ... und des Weiteren nicht der Grund ihrer jetzigen Umstände.

Sie hatte einen Wagen ... demzufolge müsste doch auch mehr vorhanden sein ... oder nicht?

Sie konnte nicht obdachlos sein? Zudem sah sie noch recht jung aus ... und ... ungepflegt war sie auch nicht in Erscheinung getreten, als er sie zuvor mal gesehen hatte.

Dementsprechend hatte sie einfach ausgedrückt Zugang zu Wasser und Seife, wenn man es mal wörtlich umsetzte.

Dag sah weiterhin auf das weiße Gefährt. Es blieb unverändert. Niemand stieg aus.

Er bückte sich ein wenig, aber konnte sie von seiner Etage nicht sehen. Lediglich ihre Hand war kurzzeitig erkennbar gewesen, als sie diese auf das Lenkrad gelegt hatte.

Dag zog ein letztes Mal an seiner Kippe und flitschte sie anschließend nach draußen.

Die kalte Luft strömte in seine Bude. Es war aber auch arschkalt. Sein Blick fiel wieder zu dem Auto. Auf dem Rücksitz konnte er einige blaue Müllsäcke erkennen ... und abermals ihre Hand, die anscheinend eine Jacke von dort herausfischte.

Ihr war mit Sicherheit bitterkalt.

Das Auto hielt die Kälte nicht draußen. Spätestens wenn sie noch einige Stunden an jener Stelle verharren müsste, würde sie immens frieren.

Er sah in seine Wohnung und atmete tief ein und aus.

Irgendwie konnte er das nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, sie dort unten zu lassen. Dag kannte sie nicht, aber ... er wollte ihr wenigstens Hilfe anbieten. Einen ... Schlafplatz meinetwegen. Und falls sie das nicht in Anspruch nahm, müsste er ihr womöglich mit einer Decke aushelfen. Wenn eine überhaupt ausreichen würde.

Er zog seine Schuhe an und schnappte seine Jacke, ehe er die Haustüre hinter sich schloss und hinabging.

Draußen angekommen empfand er die Kälte sofort extremer. Dennoch watschelte er ein wenig zögerlich bis hin zu dem Auto, weil er auch nicht wusste, wie sie reagieren würde.

Abermals atmete er tief ein ... zählte langsam bis drei ... ging noch einen Schritt ... und klopfte an die Scheibe.

Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen, bevor sie einige Sekunden wartete und schließlich das Fenster hinunterkurbelte. Sie trug eine dicke Jacke, also hatte Dag richtig gesehen, als sie nach hinten gegriffen hatte. So, dass sie es nicht mitbekam, checkte er kurzerhand den Rücksitz. Das war definitiv nur Kleidung in ihren blauen Säcken. Also hatte er im Grunde doch die Gesamtsituation ein wenig zutreffend gedeutet.

Das Mädchen war unter allen Umständen auf Hilfe angewiesen.

»Ehm ... ich hab' geseh'n, das du schonmal hier geparkt hast, und ...« , startete er, aber sie fiel ihm direkt ins Wort hinein und drehte den Zündschlüssel.

»Keine Sorge, ich fahre weg.«

»Nein. So ... so ... so hab' ich das nicht gemeint.«

Die dunklen Augen des Mädchens visierten ihn mit einem fragenden Blick. »Was dann?«

»Es ist kalt. Es ... es soll schneien. Ich ... ich hab per Zufall gesehen, dass du ... na ja schonmal im Auto geschlafen hast, und ... also falls du Hilfe benötigst ...«

»Ich bin nicht auf deine Hilfe angewiesen.« , sprach sie und kurbelte erneut an der Kurbel, um ihr Fenster wieder schließen zu können.

Dag bückte sich mehr. »Nein, warte doch. Ich ... ich kann nicht schlafen, wenn ich weiß, dass du hier frierst.«

Sie hörte auf und sah ihn abermals an. »Was?«

»Ja. Ich meine. Ich weiß nun, das du hier in deinem Auto ...« Irgendwie hoffte er nun, dass es ihrer war und kein Geklauter. »... also was ich sagen will ... ich ... ich wohne alleine. Und ... du kannst mein Bett haben. Ich ... schlafe dann auf der Couch, und ...«

»Warum tust du das?« , fragte sie. »Du kennst mich doch gar nicht.«

»Sollte man deswegen immer wegschauen? Du ... du scheinst Hilfe zu benötigen, und ...«

Ihr Blick ging auf ihre Hände. Ihre Finger waren mit Sicherheit eiskalt, weil sie diese wie in Trance berührte, ehe sie ihre Augen wieder auf ihn richtete. »Okay.« Sie kurbelte ihr Fenster wie gehabt zu und stieg aus.

Dag sah nochmal in den Wagen. »Benötigst du vielleicht noch irgendwas. Also Essen, ein Dach über den Kopf, all das kann ich dir bieten, aber ...«

Sie öffnete abermals ihre Türe und schob den Fahrersitz nach vorne, um auf der Rückbank an eine der Tüten zu gelangen. Von dort holte sie Unterwäsche und anscheinend noch frische Kleidung heraus für den nächsten Tag. »Ich hab' alles.« Sie schloss ihr Auto ab.

»Ich bin übrigens Dag.« , sagte er und hielt seine Hand hin.

Ihre wahrlich Eiskalte legte sie in seine. »Mein Name ist Célia.«

Eigentlich wollt' ich nie ein Liebeslied schreiben (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt