»Du hast was?« Vincent sah Dag verdutzt an.
»Sie bei mir schlafen lassen.« , wiederholte er kurz und knapp das, was er zuvor ausführlicher berichtet hatte.
»Hast du 'ne Macke oder was?« Sein bester Freund schüttelte dabei seinen Kopf. »Und wenn sie eine Mörderin oder so gewesen wäre?«
»Klar. Ihr Modus Operandi ist es, im Auto zu frieren, bis ein Trottel kommt und sie mit in die Wohnung nimmt, wo sie ihn anschließend ersticht und ausbluten lässt. Danach zerhackt sie ihn und snackt die Leichenteile genüsslich während der nächsten Autofahrt.«
»Mach' darüber keine Witze. So etwas gibt es.«
Dag atmete tief ein. »Es ist nichts geschehen.«
Das Kopfschütteln von Vincent blieb, während er kurz zu seinem Bildschirm sah, um das Update zu verfolgen. »Ja ... und jetzt?«
»Nichts. Ich ... ich wollt' ihr meine Nummer geben. Doch die wollte sie nicht.« , antwortete Dag. »Ich hatte ihr angeboten, noch eine Nacht zu bleiben, aber ... sie hat abgelehnt.«
»Gut.«
»Nein. Was ist denn daran gut? Wenn sie nichts hat, friert sie sich ...«
»Ja, aber du kannst ja keinen zwingen. Du hast deine Hilfe angeboten ... warum auch immer, und ... mehr kannst du nicht tun.«
»Sie hat geheult. Sogar richtig lang.«
»Hat sie gesagt ... weshalb? Nicht, dass du dich da in etwas einmischst, was auch dich ... in Gefahr bringen könnt.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Kein Sterbenswörtchen.«
»Ihr wird's schon gutgehen.«
»Ich hoffe es.« Dag, der auf dem Boden saß, lehnte sich gegen die Wand.
»Du hast ihr geholfen. Das ist ja schon mal etwas wert.« Vincent wollte ihm ein wenig Optimismus zureden, aber sein bester Freund schüttelte nur den Kopf.
»Nein. Ihr geht es nicht gut. Ich hab' das gemerkt, als sie so richtig geheult hat.«
»Ja dem ist vielleicht auch so. Doch für manche ist es schon schlimm, wenn ein Fingernagel abgebrochen ist. Im Grunde weißt du gar nicht, wie immens ihr ... Leid gerade ist.«
Vincent hatte Recht. Dennoch war Dag sich sicher, dass es bei Célia keineswegs um einen trümmerhaften Nagel ging. Da war viel mehr im Busch.
»Ich konnte eigentlich nichts tun.« , überging er das Gesagte einfach. »Ich konnt' ihr nur einen Platz zum Schlafen anbieten und ... eine Tasse Kakao mit Sahne und Zimt.«
»Kakao mit ...?«
»Sie meinte, sie mag den gern.« , unterbrach er Vincent. »Ich bin zu meiner Mutter geflitzt wegen Sahne und Zimt. Irgendwie wollte ich mit der Geste ... ihr Wohlbefinden halt ...«
Es klingelte und Vincent lauschte erst einmal, ob jemand an die Haustüre ging. Dann drehte er sich zu Dag, nachdem er vernahm, dass seine Mutter wohl den Eingang geöffnet hatte. »Kann es sein, dass es auch noch einen anderen Grund gibt?« , fragte er den Lockenkopf schließlich. »Ja. Ich mein' du hast sie nun ... vom Nahen betrachtet, und ... ich gehe mal davon aus, sie hat nicht in einem Schneeanzug gepennt.«
»Oh.« Dag verstand. »Das meinst du.« Ein wenig genierlich fasste er sich an den Hinterkopf. »Célia ist hübsch. Keine Frage. Aber ... nein. Ich hätte ihr auch helfen wollen, wenn sie 'ne Monobraue und Steve Buscemi ähnlich sehen würde.«
»Okay.«
»Heeey.« Marina betrat den Keller der Steins und begrüßte Vincent mit einem Kuss.
»Du bist schon hier?« , fragte dieser.
»Ich bin sogar zehn Minuten zu spät.«
Er sah auf die Uhr. »Oh.«
»Hi Dag.« Die Schwarzhaarige mit den stechendblauen Augen reichte ihm die Hand, ehe sie sich auf den Schoß ihres Freundes bequemte.
»Hey Marina.« Er stand nun auf. »Ich geh' dann jetzt mal.«
»Aber wir wollten doch noch ...« , begann Vincent und wurde unterbrochen.
»Das Update läuft immer noch. Lass uns das auf morgen verschieben.«
»Ich kann auch wieder gehen, wenn ich euch ...« , startete nun Marina. Allerdings fiel Dag ihr selbst da direkt ins Wort.
»Nee is' kein Ding. Ich hab' eh noch was zu tun.« Er verabschiedete sich darüber hinaus rasch und ging nach draußen, durch das Gemisch aus Matsch und Schnee.
Als ein weißer Opel Corsa fast neben ihm hielt, erwischte er sich dabei direkt zu hoffen, es wäre Célia. Doch darin saß eine ältere blonde Frau, die ihn schräg ansah, als er in den Wagen sah.
Er fragte sich sofort wieder, was sie wohl gerade machte, nachdem er weiter ging, damit die Dame ihn nicht für einen Stalker halten würde.
Célia hatte ein wenig nach dem Frühstück eine Mail erhalten und war demzufolge auch sofort aufgesprungen, hatte sich frisch gemacht und war ... gegangen.
Wer ihr da geschrieben hatte, wusste Dag nicht.
Dennoch war er neugierig, weil die Person anscheinend einen hohen Stellenwert in Célias Leben haben musste so, wie sie sich beeilt hatte.
Doch wieso half dieser Mensch ihr nicht?
Das verstand Dag nicht.
Irgendeiner war wichtig für sie. War es dann andersrum nicht genauso?
Célia war Dag fremd gewesen und dennoch hatte er ihr Hilfe angeboten. Musste das an diesem Punkt nicht für jemand aus ihrem näheren Umfeld selbstverständlich sein?
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Eigentlich wollt' ich nie ein Liebeslied schreiben (Band 1)
FanficBAND 1 (Triggerwarnung: beinhaltet verstörende Handlungen, die von manchen als verletzend wahrgenommen werden oder eventuell Traumata reaktivieren könnten) Die unscheinbare 18-jährige Célia hat bisher ein langweiliges Leben geführt, bis sie das ers...