Regungslos starrte ich an die Stelle, an der der junge Mann bis eben noch gestanden hatte. Wir waren ein gutes Stück den Berg hinaufgelaufen. Das hatte ich gar nicht mitbekommen. Aber hier oben fühlte ich mich den Sternen nah, so unglaublich nah. Es schien fast, als würden sie mir mit ihrem Blinken etwas sagen wollen, in einer Sprache, die ich vor langer Zeit verlernt hatte. Die Wunden an meinem Körper, die die zerfetzten Lebensfäden des jungen Mannes hinterlassen hatten, schmerzen wie die Hölle, das Blut floss immer schneller, tropfte auf den weichen Waldboden, etwas kreischte. Endlich schaffte ich es, den Blick von den Sternen zu lösen und stellte fest, dass die Wunden der Fäden in Wirklichkeit die Wunden waren, die mir der Sonderrang zugefügt hatte. Das ich noch nicht tot war lag lediglich daran, dass ich unterbewusst meinen Faden in den Kampf geschickt hatte, der ordentlich an Dicke verloren hatte und kläglich summend um mich herumflog. Blut lief mir in die Augen, vernebelte mir meine Sicht, unter dem nächsten Hieb des Sonderranges brach ich schließlich zusammen. Wer war der Mann gewesen? Was wollte er von mir? Mit letzter Kraft streckte ich meine Hand nach dem Dolch aus, den mir der Fluch aus der Hand geschlagen hatte, doch er lag zu weit weg, rief kläglich nach mir.
Ich sah noch, wie der Fluch erneut all seine Fluchkraft aktivierte, um mich zusammen mit einem Teil des Waldes in meine Atome zu zerpusten. Doch mit einem Mal zerplatzte der Fluch unter einer purpurnen Welle, die nicht nur den Fluch wegsprengte, sondern gleich auch einen Teil des Berges, auf dem ich bis eben noch gestanden hatte. Fallwind erfasste mich, als die purpurne Welle mir buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzog und ich samt den Trümmern des Berges unter den strahlenden Lichtern der Sterne in die Tiefe stürzte. Ich hatte keine Angst, immerhin waren die Sterne bei mir. Ich streckte die Hand nach ihnen aus, bereit, mich ihnen anzuschließen. Doch statt der Sterne griff eine andere Hand nach mir. Über mir stürzte Satoru ebenfalls in die Tiefe, der Wind zerrte an seiner Kleidung und riss ihm schließlich die Augenbinde herunter. Darunter kamen die schönsten Augen zum Vorschein, die ich je gesehen hatte. Allerlei blaue Nuancen schimmerten in ihnen, ich hatte das Gefühl, dass sie leuchteten. Sie erinnerten mich an das Meer, das ich heute zum ersten Mal in meinem Leben gesehen und in das ich mich sofort verliebt hatte. Oder doch in diese Augen?
„Satoru?" fragte ich leise, der Wind riss meine Stimme fort und doch hatte ich das Gefühl, das Satoru mich nicht hören musste, um mich zu verstehen. Er nickte, zog mich mit einem Ruck an sich heran und schlang seine Arme um mich, gemeinsam stürzten wir in die Tiefe, auf das dunkle Wasser zu. Langsam schwanden mir die Sinne unter all dem Blutverlust. Ich hob die Hand und fuhr damit durch sein schimmerndes weißes Haar, das sich unter meiner Berührung blutrot färbte. Er nahm meine ausgestreckte Hand und verschränkte seine Finger mit meinen. „Ich bin da." Immer mehr verschwamm sein schönes Gesicht vor mir, bis es schließlich ganz von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Grelles Licht und das Summen von Neonröhren weckten mich schließlich. Shoko tauchte in meinem Blickfeld auf. „Das sollte alles gewesen sein." Sie schnipste die Asche ihrer Zigarette in die Nierenschale neben mir und sah mich dann mitleidig an. „Du wirst dich noch eine Weile elend fühlen. Aber das ist sicher besser als tot zu sein." Meinte sie. „Hab ich es geschafft?" fragte ich heiser und setzte mich auf. Shoko sah mich an. „Kommt drauf an, was für ein Ziel du dir gesetzt hattest, Liebes." Sie zog an ihrer Zigarette und blies den Rauch in die Luft, der sich vor dem grellen Licht der Neonröhre auflöste. „Aber du hast es auf Rang eins geschafft. Glückwunsch!" sie lachte ein ehrliches Lachen und blies mir eine Luftschlange in den Schoß. Schmunzelnd fuhr ich mit den Fingern über das dünne Papier. „Sonderrang wäre das Nächste und wohl auch das Letzte gewesen, stimmts?" meine Freundin nickte. „Aber mach dir nichts draus. Du kannst immer noch aufsteigen durch herausragende Leistungen und du vorgeschlagen wirst." Na, das war doch was. Shoko schenkte mir ein müdes Lächeln. „Du solltest nach Hause und etwas schlafen, Kira. Das hast du nötig."
Wie auf Knopfdruck ging die Türe auf und Satoru kam herein, erneut mit verhüllten Augen. „Wie geht es dir?" fragte er und überreichte mir eine kleine Karte, die mich als Jujuzistin des ersten Ranges und Mitglied der Tokioer Schule auswies. „Gut denke ich." Satoru lächelte und half mir auf die Füße. „Kira?" ich drehte mich zu Shoko um. „Du hattest einen guten Lauf. Warum bist du vor dem Sonderrang weggelaufen und hast anschließend auf dieser Lichtung ins Leere gestarrt?" meine Augen wurden groß, als ich das hörte. „Ja habt ihr ihn denn nicht gesehen? Den jungen Mann? Er ... er war tot ... und da war dieses Herz und so viel Blut." Shoko wechselte mit Satoru einen unleserlichen Blick. „Wie ich sagte," Shoko schob mich und Satoru zur Türe hinaus, „Schlaf ist wirklich nötig. Dann halluziniert man auch nicht mehr vor Erschöpfung." Kurz hatte ich das Bedürfnis, zu widersprechen. Aber Shoko hatte recht. Ich lief mittlerweile nur noch auf Sparflamme, da bildete man sich wohl leicht Dinge ein.
In der Wohnung angekommen ließ ich Satoru im Gang stehen und sah ihn erst wieder, als ich mich aus der Dusche auf mein Schlafsofa begab und mich draufplumpsen ließ. Satoru sah mir stumm dabei zu, verschwand im Bad und kam kurz darauf mit einem Verbandskasten zurück. Er stellte ihn neben mir am Wohnzimmertisch ab und deutete auf den roten Fleck am Teppich. „Shoko scheint eine Wunde übersehen zu haben." Murmelte er. Ungläubig sah ich dabei zu, wie er vor mir auf die Knie ging und damit begann, die Wunde an meinem Unterschenkel zu verbinden. Jedes Mal, wenn seine Finger über meine nackte Haut strichen, bekam ich Gänsehaut. Noch bevor ich mir darüber Gedanken machen konnte, hatte ich mich vorgebeugt und ihm die Augenbinde heruntergezogen. Er blinzelte einige Male, ehe er mich überrascht ansah. Mit diesen wunderschönen Augen. „Ich ..." unschlüssig blickte ich auf seine Augenbinde in meiner Hand und sah dann wieder ihn an. Ich war ihm so nah, dass ich das Licht in seinen Augen tanzen sehen konnte, sein Atem strich warm über meine Wange. „Ich habe mich noch gar nicht bedankt ... also bei dir. Das du mich gerettet hast. Jetzt stehe ich gleich doppelt in deiner Schuld."
Satoru schüttelte den Kopf. „Schon gut. Du hast dich gut geschlagen auf der Insel." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Kurzerhand beugte ich mich vor und legte meine Lippen auf seine. Für einen Moment hatte ich Angst, dass er mich wegstoßen würde. Doch nach der Dauer eines Herzschlages erwiderte er meinen Kuss schließlich, seine Hand fuhr von meinem Bein über meinen Körper zu meinem Gesicht, dass er sanft näher an sich zog. Ohne den Kuss zu unterbrechen, stieg ich von dem Sofa zu ihm auf den Boden und setzte mich rittlings auf seinen Schoß, fuhr mit meinen Händen über seine muskulöse Brust, die unter meiner Berührung erzitterte. Langsam löste er sich von mir und als ich die Augen wieder öffnete, sah ich Schalk in seinen Augen blitzen. „Begleichst du so immer deine Schulden?" fragte er leise, was mich lachend mit den Augen rollen ließ. „Das hättest du wohl gern." Gähnte ich. Mit einem Mal brach die Müdigkeit über mich herein. „Shoko hatte recht." Satoru half mir auf die Füße und deckte mich zu, als ich auf dem Sofa lag.
„Du solltest schlafen."
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Das Kapitel von dem ich heute morgen gesprochen habe!
Ich hoffe, es gefällt euch :D
Lasst es mich gern in den Kommentaren wissen!
Eure Erin xx
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Strings of Fate (Satoru Gojo X MC)/FanFiction
Fanfiction18+ Die 23-jährige Kira wollte ihr Leben lang nichts, außer frei zu sein. Und auch, wenn ihr keine physischen Fesseln angelegt sind, wiegen die geistigen Fesseln wesentlich schwerer und drohen, sie mit sich in die Verdammnis zu ziehen. Doch als si...