Keiner der Anwesenden wusste so richtig, was er sagen sollte, nachdem der Junge weg war und wir alle stumm auf Kikos Wort im Schlamm starrten. Ich stand auf, wischte die Zeichen am Boden mit meinem Stiefel weg und vergrub die Hände in den Taschen meiner Jacke. Der Himmel über uns wurde langsam grau, in der Ferne konnte man den Donner grollen hören. Sah so aus, als wäre ein Schneesturm im Anmarsch. „Ihr solltet langsam rein gehen. Wird bald ungemütlich." Die drei Schüler nickten bloß und trollten sich in Richtung des Wohnheims. Megumi blieb kurz stehen und drehte sich zu mir um, einen wissenden Ausdruck in den Augen. „Du wirst es jetzt wieder probieren, oder? Zu den Toten zu gehen?" ich schenkte Megumi ein Lächeln. „Du bist schlauer als dir guttut, Fushiguro." Megumi nickte bloß und eilte dann Yuta und Panda nach. Über mir donnerte es, die Wolken zogen sich immer dichter zusammen also sah ich zu, dass ich ebenfalls ins Warme kam.
Nachdem ich Satoru nicht finden konnte, suchte ich nach Nanami. Auch er kannte den Weg in den Keller, also sollte das alles kein Problem sein. Vielleicht interpretierte ich in Kikos Spiel auch zu viel rein, dass war gut möglich. Schließlich war er ein Kind. Aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Man wusste ja nie und ich hatte keine Lust, es später womöglich zu bereuen. Hanas Worte schwirrten mir durch den Kopf, als ich in Richtung Aufenthaltsraum stiefelte.
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„Mit den Toten verhandelt man nicht, Kira. Man kann ihnen nichts bieten, denn alles Irdische hat in ihrer Welt keinen Wert." Sagte Hana, nahm meine Hand und lief mit mir über die blühende Blumenwiese auf die große Mühle zu. Dort hatten wir unsere Zeichensachen versteckt, damit Vater sie nicht fand. „Aber was tu ich dann mit den Toten?" fragte ich und zupfte eine blaue Kornblume aus dem Strauch am Wegesrand. Hana ging in die Hocke und strich mir sanft das dunkelbraune Haar aus dem Gesicht, dass ihrem Haar so ähnlich war. Ihre hellblauen Augen funkelten. „Du stellst die richtigen Fragen, Schwesterlein. Du bist eine schlaue Fünfjährige." Kichernd knetete ich den Saum meines Sommerkleides und grinste meine große Schwester an. Hana nahm mir die Kornblume ab und steckte sie mir hinter das Ohr. „Man tut das Einzige, was zwischen den Welten und für die Toten Wert hat." Hana rückte den Kragen meines Kleides zurecht und zog ihre Lederjacke aus. Sie hatte mir versprochen, dass ich sie tragen durfte, wenn ich größer war.
„Man hört ihnen zu."
„Woher weißt du das?"
Hana lächelte, unausgesprochenes Wissen flackerte in ihren Augen. „Nennen wir es eine Gabe, Kira." Ich überlegte. „Werd ich auch eine Gabe haben?" Hana stand auf, hob mich hoch und lief mit mir auf den Schultern weiter durch das Blumenfeld. „Da hab ich keinen Zweifel dran, Schwesterlein."
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Ich schüttelte die Erinnerung an jenen Sommertag ab, bevor mich meine Emotionen überrollen konnten. Genau das wollte ich tun. Zu den Toten gehen und ihnen zuhören. Wollte Kiko zuhören. Was er mit dem Wort gemeint hatte. Mir Klarheit verschaffen. Das hätte Hana auch getan. Als ich den Aufenthaltsraum betrat, sah ich dort Nanami auf einem der Sofas sitzen, er blätterte in einem Börsenmagazin. Satoru hatte mir erzählt, das Nanami wohl mal einen normalen Bürojob gehabt hatte. „Nanami?" der Blonde hob den Kopf. „Kira. Wie schön. Setz dich doch." Er deutete auf den leeren Sessel neben sich. Ich trat näher an ihn heran und schüttelte den Kopf. „Ich wollte dich fragen, ob du mich noch einmal zu Meister Tengen bringst." Auf der Stirn des Jujuzisten erschien eine tiefe Falte. „Und wer hat das autorisiert?" manchmal vergaß ich, wie sehr Nanami Regeln schätzte. Also erzählte ich ihm die Geschichte mit Kiko. Nanami blätterte weiter in seinem Börsenmagazin und sah mich dann an. „Und jetzt willst du den toten Jungen suchen und mit ihm reden. Hab ich das richtig verstanden?" Nanami hatte der Geschichte stumm gelauscht. Ich nickte. „Ich verspreche dir es wird nicht lang dauern, ich beeile mich. Und ich werde niemandem sagen, dass du mich runtergebracht hast."
Ich hatte beachtliche Zweifel, dass meine Bettelei etwas bringen würde. Ohne Autorisierung passierte mit Nanami gar nichts. Der Blonde seufzte, faltete die Zeitung sauber zusammen und stand auf. Seinen beigen Anzug zurechtrückend ging er an mir vorbei. „Dann komm. Mal sehen, ob wir so etwas Licht ins Dunkel bringen können." Überrascht folgte ich ihm. Der Weg war wieder ebenso lang wie beim letzten Mal, alles unter der Akademie kam mir wie ein riesiges Labyrinth vor. An der Geisterstadt angekommen, reichte ich Nanami meinen Faden, indem ich ihn sichtbar machte. „Wenn er wieder dunkel wird, bind ihn hier an den Balken und zieh, das sollte auch reichen." Nanami nickte bloß. „Keine Sorge, ich werde aufpassen." Ich schenkte dem Jujuzisten ein Lächeln und begann den Abstieg. Doch diesmal tauchten Kaya und Yukiri nicht auf, sodass ich sicher eine Stunde durch die leere Holzstadt irrte, bis ich irgendwann vor dem gewaltigen Lichtstrahl stand. Doch egal, wie lange ich wartete, dass Licht machte keinerlei Anstalten, mich zu holen. Summend floss es vor mir von oben nach unten und von unten nach oben, ohne sich in meine Richtung zu bewegen. Und irgendwie fühlte sich das alles mit einem Mal schrecklich falsch an. Langsam wich ich vor dem Licht zurück, bis ich mich umdrehte und zurück zu Nanami ging.
Es schien, als hätte ich heute keine Audienz in der Welt der Toten.
„Abtrünnigkeit?" fragte Satoru abends, als wir endlich allein waren und ich ihm die Geschehnisse mit dem toten Jungen erzählt hatte. „Man könnte fast meinen, dass der Junge etwas mitbekommen hat, was von uns keiner weiß. So oder so eine spannende Wortwahl für ein Kind." Nickend schob ich mir meine Nudeln in den Mund. Ich war erleichtert, dass Satoru darin ebenfalls mehr sah, auch wenn ich mir da nach wie vor noch nicht sicher war. Ich hatte überlegt, Kikos Spiel einfach als das abzutun was es schlussendlich doch bloß war. Ein Spiel. „Daran hab ich auch schon gedacht. Von euch kann niemand die Toten sehen, also würde es auch keiner mitbekommen, wenn es unwillkommene Lauscher oder Beobachter gäbe." Satoru nickte nachdenklich und zog sich schlussendlich die weiße Augenbinde aus dem Gesicht, ich konnte in seinen Augen sehen, wie sich die Zahnrädchen drehten. „Hast du versucht, mit den Toten zu reden?" mit der Frage hatte ich schon gerechnet und schüttelte den Kopf. „Also doch, irgendwie schon. Nanami hatte mich in den Keller begleitet. Aber das Licht hat sich nicht gerührt, auch Kaya und Yukiri sind nicht aufgetaucht." Satoru antwortete mir nicht, sondern stocherte in seinem Teller herum, ohne den Blickkontakt mit mir zu unterbrechen.
„Ob Kiko es dir verraten würde, wenn du ihn wiedersiehst?" ich schüttelte den Kopf. „Das ist ein Kind, Satoru. Zwar ein totes, aber immer noch ein Kind. Selbst wenn er was gesehen hat, dass für ihn auffällig war. Wer sagt uns denn, dass es auch für uns relevant wäre? Oder dass er nicht einfach etwas Unbedeutendes gesehen oder gehört hat und mit seiner Kindlichen, von Zeit zu Zeit doch recht wilden Fantasie aus einer Mücke einen Elefanten gemacht hat?" Satoru nickte schließlich. „Ja, ich weiß. Kinder sind unberechenbar. Tot hin oder her." Die Zahnrädchen seines Verstandes drehten sich immer schneller, bis er schließlich die Stäbchen beiseitelegte, sich zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. „Das wir allein darüber reden kann ich kaum glauben." Flüsterte ich und leerte mein Weinglas in einem Zug.
„Ich weiß. Wir reden hier über Verrat in den eigenen Reihen."
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Uuuund da bin ich wieder!
Ich hoffe, ich konnte euch den Abend etwas versüßen mit dem Kapitel!
Eure Erin xx
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Strings of Fate (Satoru Gojo X MC)/FanFiction
Fanfic18+ Die 23-jährige Kira wollte ihr Leben lang nichts, außer frei zu sein. Und auch, wenn ihr keine physischen Fesseln angelegt sind, wiegen die geistigen Fesseln wesentlich schwerer und drohen, sie mit sich in die Verdammnis zu ziehen. Doch als si...