Kapitel 54

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Langsam öffnete ich die Augen, die Trümmerteile lagen nach wie vor schwer auf mir, der Staub machte es unmöglich, etwas zu erkennen, geschweige denn richtig Luft zu bekommen. Ich versuchte, meinen Arm zu heben, doch der sengende Schmerz hielt mich davon ab. Stöhnend versuchte ich, einen der schwereren Steine von meinen Beinen zu wuchten, doch nichts bewegte sich. Verzweifelte Panik machte sich in mir breit. Hana und alle anderen legten ihre ganzen Hoffnungen in mich! Und ich schaffte es dennoch nicht, mich zu befreien. Nach wie vor konnte ich spüren, wie mein Blut aus mir herauslief. Viel Zeit hatte ich nicht mehr. Durch den Schmerz hindurch versuchte ich, mich zu konzentrieren. Hana und auch Kaya hatten gesagt, dass Menschen im Angesicht des Todes ihr wahres Potential finden konnten. So wie Satoru es hatte. So, wie ich es sollte. Also hörte ich tief in mich hinein, lauschte nach etwas Fremden und doch Neuem, nach etwas, dass von Anfang an in mir geschlummert hatte und nur darauf wartete, dass ich es weckte.

Und langsam manifestierte sich ein Bild in meinem Kopf, genauer eine Erinnerung an etwas. Ich hatte mein volles Potential bereits genutzt! Wenn auch erst einmal. Vor meinem inneren Auge manifestierte sich der Moment, in dem ich dank Meister Tengens Hilfe in die Zwischenwelt gereist war. Genauer der Moment, indem ich all diese fremde Leben beobachten konnte. Und der Moment, in dem ich diesen sterbenden Lebensfaden geflickt hatte. Ich hatte nicht nachgedacht, hatte einfach nur gehandelt. Hatte den Lebensfaden von wem auch immer zusammengefügt und geheilt. Ich hatte denjenigen vor dem Tod bewahrt. Eine Seele vollständig wiederherzustellen, dass war das wahre Ende meiner Fluchtechnik, das Höchste, dass ich erreichen konnte. Und was man losgelöst von allem heilen konnte, konnte man auch losgelöst von allem wieder zerstören.

Durch die Trümmer schien mit einem Mal ein Licht und als ich müde den Blick hob, konnte ich durch die kleinen Schlitze und Öffnungen einen Stern funkeln sehen. Es war Satorus Stern. Ich hatte mir genau gemerkt, von wo am Himmel Kaya seinen Stern geholt hatte, um ihn Satoru zu zeigen. Sollte ich ihn wiedersehen. Der Stern strahlte hell, heller als alle anderen und schien zu flackern, sprach mir still Mut zu. Mit letzter Kraft zog ich meinen Faden aus mir heraus, dass, was von ihm noch übrig war. Ein dünnes, flackerndes Fädchen, kaum noch so dick wie mein kleiner Finger. Kläglich summend schmiegte er sich an meine gebrochenen Finger, schlang sich sanft um sie herum. Man konnte sagen, was man wollte, aber ich wusste einfach, dass jeder Lebensfaden auch irgendwie ein Eigenleben hatte. Und wenn es nur plumper Selbsterhaltungstrieb war. Mit meiner unversehrten Hand zog ich den Faden von meinen kaputten Fingern und schloss die Augen. Ich versuchte, mich an die Gefühle zu erinnern, die ich damals gespürt hatte. Versuchte, all die Dinge revue passieren zu lassen, die Shoko mir einmal über die Umkehrtechnik erzählt hatte.

Vielleicht gab es Ähnlichkeiten. Immer wieder strich ich mit meinen Fingern über den Faden, rief mir tausend und abertausende Male diesen Moment im Tunnel ins Gedächtnis. Bis ich durch meine geschlossenen Augenlider ein helles Licht sah. Vorsichtig öffnete ich die Augen, aus Angst, das Licht würde wieder verschwinden. Doch es blieb, ein helles, weißes Licht das direkt meinen Fingerspitzen entsprang, helle Schlieren in der Dunkelheit zog und sich in kleinen Lichtpunkten wieder auflöste, sobald es zu hoch stieg. Mein dünner Lebensfaden bewegte sich von meiner Brust weg, auf das Licht zu. Kurz zögerte ich und hielt ihn zurück. Doch das Licht fühlte sich so gut an meinen Fingerspitzen an. Es sprach von Hoffnung. Also griff ich mit dem Licht an meinen Faden. Meine Hand arbeitete wie von selbst, dass Licht verschmolz mit meinem Faden, verdickte und erneuerte ihn an den Stellen, an denen er noch existierte und schuf ihn neu an den Stellen, an denen er zerstört worden war. Mit jeder neu geflickten Stelle verschwanden ebenfalls die Verletzungen von meinem Körper. Schnittwunden schlossen sich, Knochen wuchsen wieder zusammen. Als meine Rippen wieder an ihre ursprüngliche Position ruckten konnte ich endlich wieder richtig atmen und trieb die Luft tief in meine Lungen.

Strings of Fate (Satoru Gojo X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt