Und so kam er schließlich.
Mein Hochzeitstag. Der angeblich schönste Tag meines Lebens.
Nicht mal eine Woche später war es so weit. Die Vorbereitungen gingen nur deshalb so schnell, weil die Hochzeit ja bereits geplant worden war und all die Dinge, die dafür notwendig waren, auch schon besorgt waren und in einem Lager auf ihren erneuten Einsatz gewartet hatten. Ich hatte Zero die ganze Woche über nicht gesehen und als ich erneut in dem kleinen Vorbereitungszimmer am Schminktisch saß, hatte ich ein Deja-Vu nach dem anderen. All das war schon mal gewesen. Und es fühlte sich jetzt genauso falsch an wie vor ein paar Monaten. Da ich Zero nicht gesehen hatte konnte ich auch nicht wissen, wie es den anderen in Kyoto ging. Ob sie Satoru bereits beerdigt hatten? Ob ich sein Grab besuchen konnte? Nach der Hochzeit läge die Entscheidungskraft über mein Leben nicht mehr bei mir. Ich kam mir schrecklich isoliert vor. Jetzt, wo ich wusste wie das Leben sein konnte. Wie es sein sollte.
Die Türe hinter mir öffnete sich, ich hatte das Lied meiner Mutter schon vor zwei Minuten sich nähern hören. Ihre Hände legten sich warm auf meine Schultern, als sie mich durch den Spiegel ansah. „Da sind wir wieder. Du und ich." Ihr Lächeln war erzwungen, genau wie meines. „Wie fühlst du dich, mein Herz?" ich ließ die Frage einige Herzschläge lang unbeantwortet, mein Blick schweifte wie damals zum Fenster, blieb wie damals an der Mühle hängen. „Leer. Ich fühle mich leer." Meine Mutter seufze, ihr Lächeln wurde noch steifer. Ein erbärmlicher Versuch, die Stimmung zu lockern. „Leer zu sein kann auch etwas Gutes sein, Kira." Ihre Hände begannen, mein Haar zu flechten und mit Kornblumen und Perlen zu verzieren. „Leer zu sein kann auch bedeuten, dass man mit vielen schönen und neuen Dingen gefüllt werden kann." Stille füllte den kleinen Raum, nur das Rascheln des Kammes war zu hören. Als meine Mutter fertig war, ging sie zu dem großen Schrank hinüber und holte den üppigen blauen Kimono heraus, den ich damals in aller Eile ausgezogen hatte. Wie ich dieses Teil hasste. Ich hatte mir, seit ich klein war, immer gewünscht, in einem weißen Kleid zu heiraten. Wie die Prinzessinnen in den Filmen. Nennt mich kitschig, aber bis heute hielt ich an diesem Traum fest. Ich hatte mir ein schlichtes weißes Kleid mit Spitze an den Ärmeln gewünscht, einen hauchdünnen Schleier und eine lange Schleppe. Klassisch und doch elegant.
Meine Mutter half mir in den Kimono, wickelte mich darin ein und setzte mir abschließend erneut das Diadem auf das frisierte Haar. Ein schiefes Lächeln trat auf ihr Gesicht, als sie einige Schritte zurücktrat und mich begutachtete. „Die Väter bestehen darauf, dass du dieses Mal keine halbe Stunde für dich hast." Ich schüttelte schwach den Kopf. „Ich werde nicht weglaufen. Ich hätte von Anfang an bleiben sollen. Es war ein Fehler, zu gehen." Schmerz schimmerte in den Augen meiner Mutter, als sie meine Worte hörte. Sie nahm meine Hände und drückte sanft zu, hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich hoffe, dass du dein Glück finden wirst, mein Herz. Gib Zero eine Chance." Ich deutete an mir auf und ab. „Wenn das nicht Chance genug ist." Meine Mutter lachte leise. „Da ist sie ja wieder. Meine schlagfertige Tochter." Ihre Finger fuhren sanft über meine Wange, ehe sie den Raum verließ und mein Vater hereinkam. Sofort bog ich meinen Rücken durch und hob das Kinn. Ganz, wie es von mir verlangt wurde. Er lief einmal um mich herum und nickte dann. „Das wird gehen." Brummte er und hielt mir seinen Arm hin, damit ich mich einhakte und zum Auto führte. Die Hochzeit fand in einem großen Hotel statt, das etwas außerhalb in der nächsten Stadt lag. Dort angekommen führte mein Vater mich auf die großen Flügeltüren zu. In mein neues Leben.
Als die Türen sich öffneten, flutete Licht den Gang. Der große Saal war in einem festlichen weiß mit blauen Akzenten geschmückt. Die Farbe von Zeros Familie. Die Farbe in meinem Haar. Gott, sogar die Farbe meiner Unterwäsche. Hier wurde wirklich an alles gedacht. Die Festgesellschaft kam aus dem leisen Ah und Oh nicht mehr heraus, als sie mich sahen. Ganz vorn, am Altar stand er. Mein Bräutigam. Das Licht, das vor den Fenstern vom Schnee reflektiert wurde, ließ Zeros Haare für einen Moment weiß strahlen und für den kurzen Augenblick eines Herzschlages sah ich dort am Altar Satoru stehen, ein weiches Lächeln auf den Lippen. Doch ein Wimpernschlag und er war fort. Stattdessen stand dort Zero, der mir ein vorsichtiges Lächeln schenkte, als wir näherkamen. Mein Vater übergab ihm meine Hand, als wir am Altar angekommen waren, und gesellte sich zu Zeros Familie und meiner. Ich könnte die Worte des Priesters nicht wiedergeben, nicht mal, wenn ich es gewollt hätte. Diese Momente waren verschwommen, alles, was ich mitbekam, war, wie Zero „Ja" sagte.
Und wie ich es auch tat.
Ich war nicht länger Kira Akuma.
Ich war Kira Ishida.Die Festgesellschaft, bestehend aus übermotivierten Tanten, Onkel und Cousins erhob sich klatschend, als Zero mich an sich zog und küsste. Der letzte Schritt in die Ehe. Zumindest der Frommste der Schritte. Als Zeros Lippen auf meinen lagen, zwang ich mich, irgendetwas zu fühlen. Irgendetwas! Doch ich schaffte es nicht. Alles in mir blieb leer, nichts regte sich. Kein einziges Gefühl. Ich war kaum mehr als eine Hülle, ein Schatten meiner selbst. Der Rest des Tages verschwand in der Bedeutungslosigkeit dieses Tages für mich. Ich tanzte mit Zero den ersten Tanz, nahm Glückwünsche entgegen, zusammen mit Babyzubehör. Wenn man einer von Zeros endlosen Tanten Glauben schenkte, wäre es ja bald soweit. Breit lächelnd nahm ich ihr die Sachen ab und bedankte mich dafür, hielt mich selbst davon ab, sie mit dem Babystrampler eigenhändig zu erwürgen. Die Feier zog sich bis tief in die Nacht, bis in die frühen Morgenstunden, ehe alles abflaute und ich Zero durch das große Hotel folgte, auf die Hochzeitssuit zu. Kurz durchzuckte mich die Idee, mich aus dem Fenster zu stürzen. Aber ich ließ es bleiben. Es war zu spät.
Unbeholfen stand ich in dem großen Zimmer und wollte alles einfach bloß hinter mich bringen. Doch kaum das ich begonnen hatte, an meinem Kimono herumzufummeln, fing Zero meine Hände ein und hielt mich auf. „Kira. Nein. Lass das." Irritiert sah ich zu ihm auf, ein ehrliches Lächeln stand in seinem Gesicht. „Wir tun nichts, was du nicht möchtest." Verlegen kratzte er sich im Nacken, sein Fuß malte Muster auf den hellen Teppich. „Ich möchte, dass du es auch willst." Er räusperte sich. „Und solange das nicht der Fall ist, wird auch nichts passieren." Er drehte sich um, zog sich mit einem Ruck das versteifte Hemd vom Oberkörper und packte einen Teil des Schlafzubehörs auf das große Sofa. „Ich werde am Sofa schlafen." Fuhr er fort und drehte sich zu mir um. Ich sah ihm an, dass er sich ebenso unwohl fühlte wie ich. Nickend ließ ich mich auf das Bett sinken, meine Finger spielten mit dem Ring an meinem Ringfinger. „Das ist sehr nett von dir." Zero lächelte schief und zog sich gar um. Ich tat es ihm gleich, allerdings im Bad.
Als ich das Bad wieder verließ, stand Zero an der kleinen Bar und hantierte mit den dort stehenden Flaschen herum. Grinsend hielt er die Flaschen hoch, als er mich sah. „Da hat sich der Baristakurs gelohnt." Meinte er und schob mir über den Tisch ein Cocktailglas zu. Tatsächlich zauberte mir das ein Lächeln ins Gesicht, dicht begleitet von dem dumpfen Schmerz, der seit Wochen in meiner Brust pulsierte. Zero kam um die Bar herum und setzte sich auf den Barhocker neben mir. Er hob sein Glas, um mit mir anzustoßen. „Darauf, dass wir das Beste aus dem Schlamassel machen, dass uns unsere Alten aufgezwungen haben." Ich hob mein Glas und stieß es gegen seines. „Und darauf, dass wir bleiben, wer wir sind."
Ohne abzuwarten, kippte ich meinen Drink herunter. Diese Nacht würde die Schlimmste meines Lebens werden. Da wollte ich den Schmerz in mir wenigstens für diese Nacht im Alkohol ertränken. Doch der Drink kickte wirklich hart rein, so hart, dass ich nach ihm nur noch Wasser runterbekam. Musste wohl daran liegen, dass ich so wenig gegessen hatte. „Du, nimms mir nicht übel, aber heute kann ich dich nicht unter den Tisch trinken." Ich gab Zero einen kameradschaftlichen Schubs und stieg zitternd vom Hocker. „Mach dir nichts draus, Kira." Zero deckte mich zu, als ich im Bett lag. Seine braunen Augen funkelten schon fast unheilvoll im Schein der Nachttischlampe.
„Schlaf gut."
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Meine Augenlider waren schwer, so unglaublich schwer. Mir war kalt, ich spürte die Gänsehaut über meinen Körper rieseln. Schummriges Licht schimmerte durch meine geschlossenen Augenlider hindurch, ich gab mir alle Mühe, sie zu öffnen. Doch es war, als hätte man sie zugeklebt. Mein Kopf fühlte sich wattig weich an, erst jetzt spürte ich die starken Arme, die mich zu tragen schienen. Mit aller Kraft versuchte ich, die Wolken in meinem Kopf zu vertreiben, damit ich die Stimmen verstehen konnte. Doch es gelang mir nicht, nicht ganz.
„... bereit?"
„Wir ... gewartet ..."
Jemand lachte.
„... Zeit."
„Zero!"
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Und das letzte Kapitel für heute! :D
Ich würde mich über eure Gedanken sehr freuen!
Eure Erin xx
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Strings of Fate (Satoru Gojo X MC)/FanFiction
Fanfiction18+ Die 23-jährige Kira wollte ihr Leben lang nichts, außer frei zu sein. Und auch, wenn ihr keine physischen Fesseln angelegt sind, wiegen die geistigen Fesseln wesentlich schwerer und drohen, sie mit sich in die Verdammnis zu ziehen. Doch als si...