Kapitel 35

181 13 0
                                    

Meine Schritte hallten von den dunklen Wänden des Schreines wider, die Räumlichkeiten wurden nur von einigen Kerzen erhellt, die Trauernde oder gar das Friedhofspersonal hier aufgestellt hatten. Ich wusste, dass die Toten mich hatten warnen wollen. Aber ich wusste auch, dass es weitergehen musste. Das ich alles zu Ende bringen musste. Und das wäre mir nicht gelungen, wenn ich dem Schrein den Rücken gekehrt und nach Hause zurück gegangen wäre. So konnte und würde das alles nicht ablaufen. Zero war mittlerweile auch eingetroffen, er hatte sich aufgrund eines anderen Auftrags etwas verspätet und lief jetzt neben mir und Satoru her. „Holen wir diesen Finger und sehen wir zu, dass wir hier wegkommen." Meinte Aoi und sah sich bereits suchend um. Der Junge hatte Recht, die Aura dieses Ortes gefiel mir nicht. Etwas lag in der Luft, ich konnte es nur noch nicht deuten.

Draußen, vor der Tür, rumpelte es plötzlich laut, der Boden erzitterte. Alle hielten mitten in ihrer Bewegung inne, beunruhigende Stille folgte, mein Herzschlag hallte in meinen Ohren wider. Mehrere neue Seelenlieder drangen an meine Ohren, darunter zwei, dass mir bekannt vorkamen. Die Diebe aus den Katakomben! Ohne nachzudenken, machte ich am Absatz kehrt und sprinte Richtung Ausgang. Erneut zitterte der Boden, das starke Ruckeln ließ mich stolpern, von der Decke des Schreines regneten Holzsplitter. „Kira!" ich hörte Zero hinter mir meinen Namen brüllen, bevor hinter mir die Holzbalken in sich zusammenfielen und den anderen den Weg nach draußen versperrten. Das letzte, was ich von den anderen sah, war Aoi, der durch den sich schließenden Spalt eine kleine Schachtel warf. Der Finger! Die Einzige, die es mit mir geschafft hatte, war Miwa, die neben mir herrannte und grimmig ihr Katana zückte. Die Türe flog auf, die Toten waren verschwunden. An ihrer Stelle standen dafür sicher ein Dutzend vermummter Gestalten, die uns stumm ansahen. Mein Atem ging stoßweiße, als sich eine der Figuren aus der breiten Masse löste. Das Lied verriet mir, dass es sich um die Frau aus den Katakomben handeln musste.

Und tatsächlich, exakt dieselben braunen Augen funkelten mich an, als sie sich die Kapuze aus dem Gesicht zog, ein Grinsen umspielte ihre Lippen. „Dachte ich mir doch, dass ich dich wiedersehen werde." Ihre Stimme klang glockenklar, passte gut zu ihrem schmalen Gesicht und der zierlichen Gestalt. Sie straffte die Schultern, aller Glanz wich aus ihren Augen. „Ihr habt jetzt die Wahl." Sie deutete auf den Schrein hinter uns, der von einem seltsamen Licht umspielt wurde. Exakt dasselbe weiße Licht sah ich an einer der Gestalten hinter ihr, der Gestalt nach wohl ein Mann. „Ihr gebt mir den Finger, dann passiert euren Freunden nichts." Sie hob die Hand, ein kurzer Wink folgte. Der Schrein hinter uns splitterte immer mehr in sich zusammen. „Oder ihr weigert euch und eure Freunde werden samt dem Gebäude in ihre Atome zerteilt." Sie zuckte lapidar den Schultern. „Und dann holen wir uns danach den Finger." Ein zuckersüßes Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Wie entscheidet ihr euch?"

Miwa neben mir zitterte vor Wut, ihre Hand am Schwertgriff zuckte. Einige der Gestalten traten doch wirklich ein paar Schritte zurück, als ich langsam meinen Faden rief, ihn aufteilte und bedrohlich summend durch die Luft fliegen ließ. Die Luft knisterte jedes Mal, wenn sich meine Fluchkraft in einem kurzen Blitz vom Faden löste, nur um gleich wieder in ihm zu verschwinden. „Vorschlag zur Güte." Meine Finger schlossen sich eng um die kleine Schachtel, als ich mit der anderen Hand meinen Dolch zog. „Ihr verpisst euch und dürft leben." Ich kopierte das zuckersüße Lächeln der jungen Frau. „Wenn das kein lukratives Angebot ist." Schob ich hinterher, mein Lächeln wandelte sich in ein breites Grinsen. „Nimm meine Hand, Miwa." Sofort griff das Mädchen zu, ich wickelte uns mit meinem Faden so dick ein, wie es nur ging, ehe um uns herum die Welt aus den Fugen geriet und explodierte.

Sengender Schmerz durchschoss mich, als Satorus Fluchtechnik auf den Faden traf, Blut lief mir aus den Mundwinkeln, als ich hustete. Schnell löste ich den Faden auf und zog ihn in mich zurück zur Regeneration. Von dem Friedhof um uns herum war nicht mehr viel übrig, von der Hitze zerborstene Grabsteine lagen wüst verteilt am Boden, Erde war aufgewühlt, der Schrein hinter uns, oder dass bisschen was noch über war, brannte. Mitten in den Trümmern stand Satoru, flankiert von den anderen. Miwa neben mir atmete erleichtert auf, als sie sah, dass es allen bis auf ein paar Kratzer gut ging. Der aufsteigende Rauch verdunkelte den Mond, kroch mir in die Nase. Ich sah Satorus blaue Augen durch den Rauch hindurch schimmern, zwei unheilvoll glühende Sterne im Chaos. Ich war fest davon ausgegangen, dass vom Kult niemand mehr stand. Doch aus dem Boden erhoben sie sich, alle geschützt durch das weiße Licht des Mannes. Scheinbar schloss seine Fluchtechnik nicht nur ein, sondern auch aus. „Wie ist das möglich?" flüsterte Miwa neben mir. „Niemand sollte der Technik von Herrn Gojo gewachsen sein." Das Lied des Mannes riss mit einem hässlichen Ton ab, als er tot zu Boden fiel. Er hatte sein Leben für seine Kameraden gegeben. „Ist auch niemand." Meinte ich kühl und wischte mir das Blut vom Kinn. Ich wickelte das Päckchen mit dem Finger nah an meinen Körper, ein dünner Teil meines Fadens reichte dafür vollkommen aus. Satoru wollte gerade aus den Trümmern zu mir eilen, da verlangsamte sich plötzlich wieder die Zeit, wie damals in den Katakomben. Die Zeitmanipulation schien zu der jungen Frau zu gehören, deren braune Augen vor Wut Funken sprühten. Schnell fiel mir auf, dass wohl nur Satoru sich nicht regen konnte.

Also konnte die Frau die Zeit entweder für einen kurzen Zeitraum für mehrere Leute anhalten oder aber für einen längeren Zeitraum für eine einzelne Person. Scheiße. Zero, der sich mittlerweile die Asche aus dem Haar geschüttelt hatte, warf sich mit Nanami ins Getümmel, dicht gefolgt von den anderen Schülern. Eine riesige rotierende Barriere aus Wasser schloss sich um mich, Zeros Beitrag dazu, mich und den Finger vor den Angreifern zu schützen. Man konnte ja über ihn sagen, was man wollte. Aber er war ein Meister der Wassermanipulation und das durch und durch. Das Wasser folgte mir auf Schritt und Tritt, verschwommen konnte ich durch die Barriere das Getümmel um mich herum wahrnehmen, allerhand von Fluchkraft, die in meine Richtung geschleudert wurde, fing Zeros Wasserbarriere ab, bis die Barriere plötzlich durchbrochen wurde und die Frau mich von den Füßen riss. „Ihr seid doch alle krank!" schrie sie, nur mit Müh und Not schaffte ich es, ihre Handgelenke zu packen und sie daran zu hindern, mir mit ihren Messern die Augen auszustechen. Satoru war nach wie vor nicht eingeschritten, also ging ich davon aus, dass sie ihre Fluchtechnik immer noch aufrechterhalten konnte. Eine Minute war doch sicher schon vergangen! „Wir sind krank?" brüllte ich zurück, trat ihr in die Magengrube und rollte sie jetzt auf den Rücken. Ein lauter Schrei entwich mir, als sie mir eines ihrer Messer in den Oberschenkel rammte. Schnell wickelte ich den Faden um ihren Hals und drückte zu, sah dabei zu, wie sie immer blauer anlief.

In all der Hektik hatte ich meinen Dolch verloren. Ich hörte ihn zwar nach mir rufen, aber er war zu weit weg, um ihn jetzt zu erreichen. Dann musste ich sie wohl so töten. Verzweifelt krallten sich ihre Finger in meinen Faden, Hass stand in ihren Augen. „Ihr seid krank! Einfach bloß erbärmlich!" spie ich ihr entgegen und hustete wieder Blut, dass ihr Gesicht rot sprenkelte. Als ich die wachsende Todesangst in ihren Augen sehen konnte, bleckte ich grinsend die Zähne, die Angst in ihrem Lied schwoll weiter an. Immer enger zog ich den Faden um ihren Hals und riss ihren Kopf an den Haaren nach oben.

„Lass mich das Lied deiner Angst hören!"

Urplötzlich wurde ich von ihr heruntergerissen, die Wasserbarriere war verschwunden! Um uns herum krochen lauter Flüche über den Friedhof, die sowohl meine Freunde als auch die Leute des Kultes angriffen. Zero hatte es nicht länger geschafft, meinen Schutzwall aufrechtzuerhalten. Einige Meter weiter richtete sich die Frau hustend auf und sah sich ebenfalls um. Warum waren Flüche hier? Ich kämpfte mich auf die Füße, das Messer in meinem Bein jagte eine Schockwelle nach der anderen durch meinen Körper. Nervös fummelte ich das Kästchen auf, in dem der Finger lag. Sie konnten nicht hier sein, wenn es der Finger war. Doch als ich den Deckel abnahm, sah ich, warum die Flüche gekommen waren.

Der Finger war weg, die Schachtel leer.

„Das war ein Ablenkungsmanöver! Fuck!" erscholl plötzlich eine ungläubig klingende Stimme, ich konnte nicht ausmachen, ob sie zu einem meiner Freunde gehörte oder zu einem des Kultes. Die Leute des Kultes zogen sich mit einem Mal zurück, die junge Frau huschte an mir vorbei, riss mit einem Ruck ihr Messer aus meinem Bein. „Das ist noch nicht vorbei!" ihre Stimme war kalt, kalt wie der Schneeregen, der sich über die Szenerie legte. Und schon war sie verschwunden im Dunkel der Nacht. Satoru hatte die Flüche schnell beseitigt, als plötzlich inmitten des Chaos ein Handy klingelte. Es war Nanamis. Totenstille legte sich über den Friedhof, der Schneeregen wurde immer dichter. Wir alle lauschten schon fast ungläubig dem monotonen Klingelton, bis Nanami es schaffte, sich aus seiner Starre zu lösen und ranging. Ich hatte Nanami selten geschockt gesehen, eigentlich noch nie. Aber diesen Anblick würde ich nie vergessen. Wie dem Blonden alles aus dem Gesicht fiel, aus dem Handylautsprecher drang ein herzzerreißender Schrei, ehe die Verbindung abriss. Nanami nahm seine Brille ab und sah nach oben in den dunklen Himmel.

„An der Akademie ist eingebrochen worden. Alle Finger, die wir hatten, sind weg."

Sein Blick wanderte zu uns.

„Genauso wie Yuji."

--------------

Eure Erin ist back mit Kapitel 35!

Lasst mir gern einen Kommentar da :D

xx

Strings of Fate (Satoru Gojo X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt