Kapitel 34

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„Das ist ein schlechter Scherz, oder? Bitte sag mir, dass dein Scherz ist." Shokos Augen glitzerten ungehalten, doch Yagas Gesicht blieb so unleserlich wie eh und je. „Das ist kein Scherz. Einige von euch sollen nach Kyoto an die Schwesternschule. Es hat sich wohl noch ein Ort aufgetan, an dem ein weiterer Finger Sukunas sein könnte." Er zog hinter seiner Sonnenbrille die Augenbrauen zusammen. „Und ich muss sicherlich nicht erwähnen, dass wir ihn vor diesen Kultclowns finden wollen." Er massierte sich den Nasenrücken und seufzte. „Wir wissen nicht, wie viele Finger sie schon haben. Also sorgen wir dafür, dass diese unbekannte Zahl zumindest nicht weiterwächst. Das ist das Minimum der Dinge, die wir hier tun können." Yaga wand sich wieder seinem Schreibtisch zu und wühlte in den Schubladen, bis er schließlich fündig wurde. „Kyoto möchte Kira, Satoru und Nanami bei sich haben, um den Finger zu finden." Der Direktor hob den Blick. „Der soll wohl in der Nähe der Akademie von Kyoto sein und um sicherzustellen, dass der Finger letzten Endes auch wirklich in den Händen der Akademien landet, sollen so viele fähige Jujuzisten wie möglich dabei sein." Ich machte einen Schritt auf Yaga zu und nickte. „Um allerhand mögliche Konsequenzen oder Probleme im Keim zu ersticken."

Yaga deutete mit erhobenem Zeigefinger auf mich. „Ganz genau so ist es." Satoru war die ganze Zeit über still geblieben. „Wann sollen wir los?" fragte er jetzt, Yaga inspizierte erneut den Brief. „Hier steht so bald wie möglich. Und nachdem ihr alle keine Aufgaben mehr habt, schlag ich vor, dass ihr bald abdampft. Am besten heute noch." Er seufzte. „Je eher ihr wieder zurück seit desto besser." Wir nickten bloß und machten uns auf den Weg zur Tür. „Oh und Satoru." Der Weißhaarige drehte sich um. „Übertreib es nicht in Kyoto. Wir wollen keinen Streit oder gekränkte Egos."

Lange dauerte es nicht, bis wir alle unsere sieben Sachen gepackt hatten und bei Ijichi im Auto saßen. „Wäre es nicht klüger, die Schüler dabeizuhaben? Die würden was lernen." Sagte ich, doch Satoru schüttelte den Kopf. „Yuij wäre bei der Aktion sicher Fehl am Platz. Megumi ist noch nicht allzu lange wieder auf den Füßen und Nobara würde sich ohne die beiden womöglich nicht allzu sicher fühlen." Nanami drehte sich zu uns um. „Zudem hat Kyoto genug eigene Schüler. Die werden voll und ganz ausreichen." Stimmt, da waren ja allein schon Noritoshi und diese Mai gewesen. Innerlich seufzte ich. Na hoffentlich waren nicht alle Kyotoschüler so anstrengend wie Mai. Sonst würde ich womöglich noch Amok laufen.

In Kyoto angekommen wurden wir erst auf unsere Zimmer verwiesen und dann von Gakuganji empfangen, zusammen mit einer Gruppe an Schülern, Mai und Noritoshi inklusive. Miwa mochte ich auf den ersten Blick am liebsten. Sie wirkte so fröhlich und offen, dass erinnerte mich an meine kleine Schwester Kurisa. Die anderen hießen Aoi, Momo und Mechamaru. Gott, ich konnte mir Namen noch nie gut merken. Wahrscheinlich würde ich binnen kürzester Zeit wieder alle durcheinanderschmeißen. Der Gedanke ließ mich grinsen. Die Umstände waren ebenfalls schnell erklärt. Anscheinend sollte sich der Finger wieder auf einem Friedhof befinden. Mir fiel es ja tatsächlich schwer zu verstehen, warum Tote einen Fluchtalisman brauchten. Geschweige denn Schutz. Aber als Satoru mir abends erklärte, dass es eher darum ging, die negativen Emotionen der dort trauernden Menschen in Schach zu halten machte es dann doch wieder Sinn. Die ganze Aktion sollte nachts stattfinden, um das Risiko, Zivilisten miteinzubeziehen so niedrig wie möglich zu halten. So weit, so logisch.

Ich war ja noch nie ein Fan von Friedhöfen gewesen. Nicht seit Hana. Das wurde mir wieder klar, als ich das weitläufige Gelände betrat. Ich hatte ihre Beerdigung noch vor Augen, als wäre sie noch nicht mal ein paar Stunden her. Die vielen Blumen, die vielen Tränen, die verzweifelten Schreie meiner Mutter, als sie Hanas Sarg an das Loch getragen hatten. Es hatte fürchterlich geregnet, der ganze Boden war schlammig, mit jedem Schritt war ich eingesunken. Und als meine Mutter neben Hanas Sarg in den weichen Boden gesunken war und sich die Seele aus dem Leib schrie, wurde der Griff meines Vaters an meiner kleinen Hand etwas zu fest. Als ich den Blick hob, sah er mich bereits an. Dieselben blauen Augen, die auch Hana gehabt hatte. Doch während in ihrem Blau immer Liebe gestanden hatte, konnte ich den Ausdruck in den blauen Augen meines Vaters an diesem Tag nicht lesen. Bis heute hatte ich ihn nicht deuten können.

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„Papa?"

Er schwieg. Also zog ich an seiner Hand. „Papa, ist das meine Schuld?" Tränen tropften von meinem Gesicht auf den schlammigen Boden, wurden untermalt von dem vor Schmerz triefenden Seelenlied meiner Mutter. Doch das Lied meines Vaters war überraschend ruhig.

„Vieles wird deine Schuld sein, Kirama." Sein Blick wanderte zum Sarg. Mein Vater war der Einzige, der stets meinen vollen Namen benutzt hatte.

„Vieles wird deine Schuld sein." Seine Finger strichen über meine, als sie den Sarg in das Loch hinabließen.

„Die Frage ist, ob du früher oder später den Preis dafür zahlen wirst. So wie wir alle."

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Der Fakt, dass ich die Toten sehen konnte, machte das Ambiente auf dem Friedhof nicht besser. Überall traten Seelen aus den Grabsteinen und sahen mir hinterher. Kurz hatte ich gedacht, es wären Seelen aus dem Kreis von Kaya, Yukiri und Kiko. Das ich nur die Seelen der Leute sehen konnte, mit denen ich meine Fähigkeit teilte. Doch da hatte ich mich geirrt. Es waren die Seelen der Leute, die hier begraben lagen. Viele alte Leute, aber ich sah auch hier wieder Kinder und Säuglinge. Und sie begannen, mir zu folgen. Ich rückte wie automatisch näher an Satoru heran, Nanami lief nur einige Schritte vor uns, der helle Mond ließ den Nebel, der über das Gelände zog, gespenstisch leuchten. „Ich fühl mich beobachtet." Flüsterte ich, Satoru verstand sofort, was los war. „Bleib dicht bei mir." Er nahm meine Hand, zu zweit folgten wir Nanami, Mai, Aoi und Miwa, die mit uns gekommen waren. Doch je weiter wir kamen, desto mehr Gräber passierten wir natürlich. Und umso mehr Seelen schlossen sich dem stummen Zug der Toten über den Friedhof an in Richtung des kleinen Schreines, der das Herz des Friedhofes bildete. Mir kam es vor, als würde mir der ganze Friedhof folgen, ein grotesker Zug voll stummen Leid und verpassten Chancen. Was hatte Hana immer gesagt? Die Toten bereuen nur eine Sache.

Nicht genug Zeit gehabt zu haben.

Die anderen waren bereits in dem kleinen Schrein verschwunden, nur Satoru und ich fehlten noch. Als ich den ersten Fuß auf die kleine Treppe setzte, machte ich hinter mir Bewegung aus. Aus dem Seelenmeer schälte sich vorn, ein paar Meter von mir entfernt, eine einzelne Seele. Sie gehörte zu einem alten Mann, der genauso aussah, wie man sich einen netten alten Opa vorstellte. Einer, der einem Kekse backte und den besten Kakao der Welt kochen konnte. Ein großväterliches Lächeln trat auf sein Gesicht, als er sah, dass ich auf ihn wartete. Und als er die Hand ausstreckte und meine Hand nahm, konnte ich seine Berührung spüren. Wie ein sanftes Sommerlied strich seine Seele über meinen Lebensfaden.

„Überleg dir gut, ob du diesen Schritt wagen willst, Kirama Akuma."

Seine Stimme schien aus all den Seelen zu kommen, die sich um mich versammelt hatten, und doch waren sie eins unter dem dunklen Nachthimmel.

„Der Punkt, von dem es kein zurück mehr gibt, ist nah."

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Uuuund da bin ich wieder :D

Hatte heute den Drang, unbedingt noch ein Kapitel hochzuladen!

Eure Erin xx

Strings of Fate (Satoru Gojo X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt