01 - wild - Liv

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- Montag, 15.04.2024 - End of Beginning/Djo -

"Hach Mama, ich hab' dich lieb." Ein leises Kichern war aus dem anderen Ende der Leitung zu hören. "Ich hab' dich doch auch lieb, mein Schatz. Vergiss bitte trotzdem nicht, einen Kuli mitzunehmen! Der wird sich auszahlen, vertrau mir!" Ich nickte, obwohl sie das durch das Handy hindurch nicht sehen konnte, und lächelte. Auf meine Mama war doch immer Verlass. Dann schmiss ich, ihrem Rat zufolge, doch noch einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber in die offenstehende, vergleichsweise große Handtasche.

"Aber Livi, Maus? Mach dir nicht so einen riesen Kopf. Du packst das. Sei einfach du selbst, dann lieben sie dich!" Ich lachte leise, konnte aber die Nervosität trotzdem nicht ganz loswerden, die mir seit Tagen im Kopf herumspukte. So antwortete ich sanft, aber bestimmt: "Ich glaube, das musst du als Mama sagen, oder? Aber ja, ich werde es versuchen."

Ein raues Lachen war durch das iPhone zu hören, das ich auf Lautsprecher gestellt und auf meiner Kommode abgelegt hatte, um beide Hände frei zu haben. Ein letztes Mal ging ich durch alle Dinge hindurch, die sich mittlerweile in der Handtasche befanden. Neben meinen Ersatz-Akkus und meiner geliebten Spiegelreflexkamera befand sich meiner Ansicht nach alles dort, was für den ersten Anstellungstag bei meinem zweimonatigen Praktikum darin sein musste. Trotzdem hakte ich noch einmal nach: "Was könnte ich vergessen haben?"

Meine Mutter seufzte, überlegte dann aber schließlich laut: "Du hast deine Unterlagen, die du für die Uni unterschrieben brauchst?" Ich bestätigte ihr dies. "Okay. Du hast was zu trinken und einen kleinen Snack?" Abermals nickte ich und gab ein leises "Ja" von mir. "Gut. Du fühlst dich wohl in deinem Outfit?"

Ich stellte mich vor den Spiegel und sah an mir herunter. Ich wusste nicht genau, auf welche Temperaturen ich mich im Laufe des Tages einstellen musste, und hatte dementsprechend mehrere Schichten an, die ich nach und nach bei Bedarf ausziehen könnte. Zu meiner bequem sitzenden, schwarzen Skinny-Jeans hatte ich ein weißes Spaghetti-Trägertop gepaart und darüber eine weiße Bluse angezogen, die mir locker von den Schultern fiel. Dazu hatte ich mich für meine schwarze Lederjacke und meine weißen Air Force 1 entschieden. Somit war das Outfit eher schicker, aber trotzdem noch casual genug, damit ich nicht zu spießig rüberkommen würde. Das wollte ich nämlich heute um jeden Preis vermeiden, weshalb ich mich auch einfach für einen simplen Pferdeschwanz entschieden hatte, in welchem meine dunkelbraunen Haare kontrolliert, aber nicht streng aussehen würden.

So zupfte ich ein letztes Mal meine Bluse zurecht, bevor ich wiederum meiner Mutter antwortete: "Ja, das dürfte passen." Daraufhin antwortete die Frau in ihren Fünfzigern am anderen Ende der Leitung: "Okay, dann steht deinem ersten Arbeitstag ja nichts mehr im Wege. Glaub mir, du schaffst das, mein Schatz. Ruf mich auf jeden Fall an, wenn es vorbei ist! Ich will alles wissen, und dein Vater sicherlich auch." Ich lachte und sagte ihr zu, bevor ich mich von ihr verabschiedete und das Gespräch beendete.

Dann ließ ich mich mit einem kurzen Blick auf die Wanduhr auf mein schmales Bett fallen und atmete einmal tief durch. Nicht nervös werden, Liv. Du hast schon viel Schlimmeres mitgemacht, da ist ein erster Arbeitstag gar nichts, redete ich mir selbst ein. Trotzdem konnte ich nicht umhin, zu spüren, wie mein Puls leicht erhöht war und wie mir ein klein wenig zu warm war in der Lederjacke in meiner kleinen Wohnung.

Die Miete war überraschend billig dafür, dass ich von meinem Schlafzimmerfenster ohne Probleme über die Dächer Mannheims blicken konnte. Die Wohnung war zu Beginn meines Studiums hier an der Uni Mannheim ein echter Glücksgriff gewesen und so hatte ich nicht lange gezögert, bevor ich mich für sie entschieden hatte. Auch wenn es mir unglaublich schwergefallen war, mich von meiner Familie zu verabschieden, die nun fast 600 Kilometer von mir entfernt in Hamburg wohnte. Ich hatte bis heute immer noch Phasen, wo ich meine Eltern, aber gerade meine zwei kleinen Schwestern schrecklich vermisste. Aber ich hatte mir mit meinem Studium in Medienwissenschaften einen Lebenstraum erfüllt, weshalb ich mich trotz all der Entfernung zu meiner Heimat sehr wohl hier in Baden-Württemberg fühlte.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt