05 - blaue Flecken - Liv

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- Montag, 15.04.2024 - Budapest/George Ezra -

Nachdem ich Apfel fertig interviewt hatte, versuchte ich, mich ein wenig zu sammeln. Mein Kopf platzte immer noch mit all den neuen Eindrücken und Erfahrungen, die ich in der letzten Dreiviertelstunde gesammelt hatte, obwohl ich inzwischen tatsächlich warm mit dem Torwart-Team wurde. Joels - nennen wir es interessanter - Versuch, mich ein wenig kennenzulernen, hatte mir gezeigt, worauf ich mich wohl oder übel einlassen müsste. Ich hatte aber zumindest bei Joel das Gefühl, dass er es eigentlich gut meinte, aber es einfach nicht wirklich zum Ausdruck bringen konnte.

Während ich über den Torwart nachdachte, zückte ich wieder meine geliebte Kamera und begann, einige Fotos von seinem Training zu schießen. Es konnte ja schließlich nicht schaden, ein wenig Eigeninitiative zu zeigen. Gleichzeitig versuchte ich, Cheffe nicht aus dem Augenwinkel zu verlieren. Dieser war zwar gerade mit seiner eigenen Fotografie beschäftigt, aber es konnte zu jedem Zeitpunkt sein, dass er mich rufen würde und dann wollte ich sofort zur Stelle sein.

Dann schwenkte das Gesichtsfeld meiner Kamera ein wenig nach links, wo gerade Mikael Appelgren angeregt mit David diskutierte. Ich war mir um ehrlich zu sein nicht sicher, ob ich ihn besser Mikael, Apfel oder anders ansprechen sollte. Vor ihm hatte ich tatsächlich noch ein bisschen mehr Respekt als vor David und Joel, obwohl alle drei begnadete Torwarte waren. Schnell schoss ich ein Foto von den zwei.

David war derjenige, bei dem ich mir die größten Hoffnungen machte, eine Freundschaft aufbauen zu können. Trotz dessen, dass ich ihn vorher wahrscheinlich angestarrt hatte wie ein Auto und damit sicherlich nicht den besten Eindruck hinterlassen hatte, war er unglaublich freundlich und höflich mir gegenüber gewesen. Generell strahlte er einfach eine positive Ruhe aus, die ich auch gerne hätte. Irgendwie hatte ich es einfach im Gefühl, dass wir uns gut verstehen würden. Nicht zuletzt, weil er einer der Jungs aus dem Team war, die mir alterstechnisch am nächsten waren, wenn ich mich richtig an die Steckbriefe erinnern konnte.

Gerade lachte Apfel über einen Witz, den David gerissen hatte, als ich hörte, wie jemand meinen Namen rief. Instinktiv schaute ich hinter dem Objektiv meiner Kamera hervor und hielt Ausschau nach Cheffe. Dieser winkte mich zu sich und lächelte sanft. Es war einfach immer noch unglaublich, wie viel Glück ich mit ihm gehabt hatte. Er ließ mir jetzt schon meinen Freiraum, um meine Arbeit an die Situation anzupassen und selbst abzuschätzen, wo er mich am meisten brauchen konnte, wofür ich extrem dankbar war.

Schnell joggte ich zu ihm, immer noch meine Kamera und den Notizblock in der Hand. "Na, wie läuft's?", fragte er mich und ich grinste, als ich ihm eins der Fotos zeigte, das mir am besten gefallen hat. Darauf war Joel zu sehen, wie er angestrengt versuchte, Dragans Anweisungen und Erklärungen zu folgen. Dieser ernste Ausdruck auf seinem Gesicht hatte irgendwie etwas Beeindruckendes, wenn nicht sogar Einschüchterndes. Cheffe zog seine Augenbraue hoch und nickte. Ich nahm diese Geste als das schwäbischste Lob auf, das ich von ihm heute bekommen würde, und gab mich entsprechend damit zufrieden.

Dann warf ich schon beinahe neidisch auf seine Kamera. Die Kamera an sich war nur mehr oder minder gut, was mich aber wirklich beeindruckte, war das Sportfotografie-Objektiv, mit dem man auch gut einen Zuschauer erschlagen könnte. Wie er diese massiv aussehende Apparatur mit so einer Leichtigkeit einsetzen und herumtragen konnte, war mir schleierhaft. Und da ich es einfach nicht lassen konnte, hakte ich nach: "Wie machst du das? Fällt dir nicht irgendwann dein Kopf ab? Das Ding sieht echt schwer aus!"

Cheffe lachte nur als Reaktion auf meine Frage. "Ach, weißt du, wenn du mal in mein Alter kommst, brauchst du auch keinen Kopf mehr... Nein, Spaß. Ein gut gepolstertes Nackenband ist A und O. Eigentlich versuche ich immer, das Objektiv in der Hand zu tragen und die Kamera nicht einfach hängen zu lassen, wenn du weißt, was ich meine." Ich nickte, war aber immer noch etwas überfordert mit der schieren Größe von dem Gerät.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt