43 - etwas fehlt - Juri

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- Donnerstag, 16.05.2024 - Tattoo/Loreen -

Erleichtert fiel ich Philipp in die Arme, als der Buzzer als Zeichen für das Spielende durch die Halle tönte. Irgendwie hatten wir es geschafft, dass wir das Spiel gewonnen hatten.

Eigentlich war der Tag bislang perfekt gelaufen. Wir waren heute Morgen früh ein super Hotel-Frühstück hier in Kiel gehabt, haben noch kurz einen Spaziergang über die Kieler Förde hinter uns gebracht und waren dann langsam, aber stetig zur Halle gepilgert.

Meiner Lunge ging es heute überraschend gut und so spürte ich nur noch Bruchstücke der fetten Erkältung, die sich in meinen Bronchien eingenistet hatte. Da Sebastian mich für nächste Woche schonen wollte, durfte ich nur die ersten und letzten zehn Minuten spielen. Das war höchstwahrscheinlich sinnvoll, auch wenn ich am liebsten die ganzen 60 Minuten durchgespielt hätte.

Grinsend klopfte ich Apfel auf die Schulter. Er hatte heute überragend gespielt und uns alle damit noch mehr motiviert, als wir es ohnehin schon aufgrund der vergangenen Woche waren. Ihm hatten wir es zu verdanken, dass wir hier mit einer deutlichen Tordifferenz hinausgingen. Glücklich feierten wir unseren Sieg und lagen uns lachend in den Armen.

Ich wusste, dass heute meine Familie hier war zum Zuschauen. Ich ließ meinen Blick über die Ränge gleiten und erkannte nach einigen Sekunden eine über beide Ohren strahlende Vibe in den vorderen Reihen. Daneben stand, stolz wie ein Schneekönig, mein Vater und redete breit lächelnd auf meine Mutter ein. Da es schon zu spät für uns war, um die gesamte Strecke zurück nach Heidelberg zu kommen, würden wir eine weitere Nacht im Hotel übernachten. Deshalb hatte ich auch schon beschlossen, den Abend mit meiner Familie gemeinsam ausklingen zu lassen. Es kam zu selten vor, dass wir gemeinsam etwas unternahmen oder überhaupt erst alle auf einem Fleck waren, seit Vibe studierte. Entsprechend freute ich mich schon sehr auf heute Abend.

Doch irgendetwas fehlte. Dieses Gefühl war mir seltsam vertraut und gleichzeitig so fremd. Mental machte ich einen Schritt zurück von der Gruppe und versuchte, die Situation einmal objektiv einzuschätzen. Was bitte löste dieses eigenartige Gefühl in mir aus? Es lief alles genau so, wie es sollte. Vielleicht war mir ja inzwischen auch die Menthol-Salbe auf meinen Handgelenken und in meinem Trikot zu Kopf gestiegen, wer wusste das schon.

So schüttelte ich den Kopf, um die lästigen Gedanken loszuwerden, und grinste in die Runde. Ausgelassen feierten wir noch ein bisschen mitten auf dem Spielfeld und zerstreuten uns dann schnell in kleinere Grüppchen. Da Flipse gerade zu einem Interview geeilt war, gesellte ich mich zusammen mit David zu Joel und Kohli, die gerade wieder einmal über irgendetwas lachten. Auch mein Lächeln war heute mal wieder nicht auszuradieren. Wenn Liv mitbekommen würde, wie dämlich grinsend ich hier rumrannte, hätte ich wahrscheinlich schon längst einen blöden Spruch reingedrückt bekommen.

Liv fehlte. Das war es. Die Realisation setzte ein und ließ mich kurz schlucken. Am liebsten hätte ich diesen Sieg mit ihr geteilt. Aber das ging natürlich nicht. Sie saß gerade garantiert zu Hause bei ihren Freundinnen und zog uns mit unseren Fehlern auf dem Feld auf, was auch ihr gutes Recht war. Aber irgendein Teil meines Gewissens wollte sie hier bei uns haben. Wollte ihr die inzwischen routinierte Wasserflasche abnehmen und dann mit ihr unnütze Gespräche anfangen. Mich gemeinsam mit ihr über den wohlverdienten Sieg freuen.

Krass, welchen Effekt dieses Mädchen doch auf mich hatte. Nicht, dass es etwas an unserer Situation ändern würde. Ich hatte es mir schon eingestanden, dass ich sie eindeutig ein bisschen zu sehr mochte, als dass es von meiner Seite aus nur Freundschaft wäre. Aber ich hatte auch schon beschlossen, niemals darauf zu handeln. Immerhin war sie nur für zwei Monate bei uns und ich würde nächstes Jahr sowieso weg sein. Und auch wenn sie länger bleiben würde, hypothetisch, selbst dann würde ich wahrscheinlich nicht den Mut aufbringen, irgendetwas zu ihr zu sagen. So war ich einfach nicht gestrickt.

Ich lächelte David von der Seite aus an und legte dann breit grinsend einen Arm um den Großen. Er war - verständlicherweise - ein wenig enttäuscht von heute. Durch die Tatsache, dass Apfel einen krassen Lauf heute hatte, stand er keine einzige Spielsekunde zwischen den Pfosten. Das drückte natürlich auf seine Stimmung, auch wenn er inzwischen echt gut darin war, es vor den Kameras und den unbekannten Blicken zu verstecken. Doch ich kannte ihn dann doch zu gut, als dass ich so etwas nicht sehen würde.

Dankbar lächelte mich der Torwart an und warf etwas in die Konversation ein, der ich bislang nur beiwohnte. So erbarmte ich auch mich schließlich und folgte der hitzigen Diskussion, was Joel und Kohli auf dem Heimweg spielen würden. Die zwei Optionen waren entweder Rommé oder Stadt-Land-Fluss, beides in meinen Augen eine schlechte Wahl, aber es war einfach zu witzig, den zwei beim Diskutieren zuzuhören. Sie ließen auch gar nicht mit sich reden und schmetterten jeden Vorschlag ab, einfach beides zu spielen. Echte Kinder hier. Ich grinste noch breiter.

~~~

Ich lag schlaflos in meinem Hotelzimmer, welches ich mir wie so oft mit David teilte. Dieser schnarchte inzwischen leise. Dieses eigentlich beruhigende Geräusch raubte mir heute noch den letzten Nerv. Ein Blick auf mein Handy reichte mir, um mir zu sagen, dass es definitiv zu spät für mich war, um noch wach zu sein. Aber meine Augen wollten heute einfach nicht zufallen.

Seufzend drehte ich mich auf den Bauch und schnappte mir mein Handy vom Nachttisch. Wenn ich so oder so nicht schlafen konnte, konnte ich die verlorene Zeit auch sinnvoll nutzen. Da ich bislang noch nicht den Mut gehabt hatte, öffnete ich schließlich jetzt das Video, das letzte Woche von meinem Interview mit Laura Wontorra veröffentlicht wurde. Der Ton meines Handys war sowieso aus und da ich David nicht stören wollte, regelte ich schnell die Helligkeit meines Bildschirms herunter.

Meine Augenbrauen zogen sich zusammen und ich musste mich konzentrieren, meine Augen auf den trotzdem sehr hellen Bildschirm zu fokussieren. Lange könnte ich es in diesem Zustand nicht aushalten. So verlor ich keine Zeit und öffnete widerwillig die Kommentarspalte unter dem YouTube-Video.

Neben den klassischen Kommentaren und den wenigen Beglückwünschungen und Fanbekundungen waren einige nicht ganz so nette Kommentare zu lesen. Viele. Zu viele. Instinktiv zogen sich meine Augenbrauen zusammen und ich biss mir auf die Unterlippe, ehe ich durch die ganzen negativen Aussagen scrollte. Viele davon waren an meine Interviewerin, Laura, gerichtet, doch einige waren auch zu meiner Person geschrieben worden.

Für einen kurzen Moment versuchte ich, abzuschätzen, wie groß der Anteil an positiven Kommentaren zu meiner Person an allen Kommentaren war. Doch dieser Anteil war leider deutlich geringer, als ich es erwartet hatte.

Wieder lagen mir all die Image-Sorgen schwer im Magen. Es war wohl doch keine gute Idee gewesen, mir ausgerechnet jetzt, nach so einem geilen Tag, das Feedback zum Video anzuschauen. Normalerweise ließ ich so etwas aber auch nicht an mich heran. Doch gerade stach es schon sehr, so viel negatives Feedback zu bekommen.

Ich seufzte einmal leise und legte dann das Handy wieder weg. Auch das würde mir nicht helfen, schneller einzuschlafen. So legte ich mich wieder auf den Rücken und starrte gegen die Decke. Das würde noch eine lange, schlaflose Nacht werden, so viel stand schon mal fest.


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Juri, du alter Schleimer. Der Absatz zu Liv kam gefühlt komplett aus dem Charakter, der Juri in meinem Kopf ist und nicht von mir als Autorin selbst. Also: Er hat das gedacht, nicht ich! xD

Merkt ihr, wie Juri in diesem Kapitel keinen einzigen richtigen Satz gesprochen hat? Irgendwie ist er so ein verkopfter Mensch, dass es bei seinem Charakter total reicht, nur seine Gedankengänge aufzuschreiben und sozusagen "Protokoll" zu führen. Da kommt ohnehin besser rüber, was ich sagen will hehe^^

Also dann, alles Liebe und bis morgen, eure Ella <3

P.S.: Ich freu mich so auf Kapitel 44, das glaubt ihr mir nicht! Ganz vielleicht kommen da nämlich ziemlich wichtige Leute drin vor ;)

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt