53 - Möhrwen, Risiken und Herzensangelegenheiten - Juri

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- Freitag, 24.05.2024 - Without You/David Guetta ft. Usher -

Seufzend schob ich die Hände in die hinteren Hosentaschen meiner Jeans. Was wollte denn David von mir? In mir herrschte das absolute Gefühlschaos. Zum einen war ich Liv so dankbar. Sie hatte sich die letzten vier Wochen anscheinend ausschließlich damit beschäftigt, meinen Ruf aus dem Dreck zu ziehen und hatte ganz nebenbei einen der besten Kurzfilme kreiert, den die Menschheit je gesehen hatte. Und das alles hatte noch on top, dass ich nicht einmal irgendetwas mitbekommen hatte.

Ich hatte irgendwie das Bedürfnis, den Film direkt noch einmal, zweimal, tausend Mal zu sehen. Es war wie Balsam für meine Seele, zu hören, was die Jungs alles über mich sagten. Gerade die Jungs, von denen ich so etwas gar nicht erst erwartet hatte. Aber auch David und Flipse, die Garnelen, hatten dem Film echt das Sahnehäubchen aufgesetzt. Direkt musste ich wieder lächeln und strahlte David im Türrahmen an. Aber ich hatte bereits im Aufzug und auf dem Weg hierher alles so gesagt, wie ich es rüberbringen wollte, weshalb ich meinen Mund nicht mehr aufmachte.

Gleichzeitig fragte ich mich, wie Liv es ernsthaft geschafft hatte, alle zu interviewen und die ganzen Videos zu drehen, ohne dass ich etwas mitbekommen hatte. Garantiert waren einige Interviews entstanden, während David, Kohli und ich auf Trainingsfahrt waren. Aber die ganzen Videos... langsam zweifelte ich ernsthaft an meiner Auffassungsgabe. Die meisten waren im Training entstanden, einige sogar am Geburtstag. Normalerweise war es doch eigentlich ein großes Element meines Rufs, dass ich immer den Überblick behielt und alles mitbekam. Alles, außer das, wie es mir schien.

Ganz hinten in meinem Kopf, nein, meinem Herzen, meldete sich ein Schmetterling zu Wort, der sich dort breitgemacht hatte. Unbewusst biss ich mir auf die Lippe und starrte den Boden vor meinen Schuhen an. Liv war es echt nicht bewusst, was sie mit mir anstellte. Erst recht nicht, was die Umarmung vorher für mich bedeutet hatte. Natürlich war ich ihr dankbar und war noch nicht ganz Herr der Lage gewesen vorher. Aber gleichzeitig hatte ich es irgendwie genossen, sie so lange vor allen anderen zu umarmen. Ich hatte damit ein bisschen mein "Revier markiert", so dumm es auch klang. Das war mein Symbol für alle Jungs, dass ich auf jeden Fall ein Wörtchen mitreden wollte, wenn sie Interesse an ihr hatten. Jetzt musste ich es nur noch ihr gestehen und dann würde das hoffentlich auch etwas werden.

Wo war ich hier überhaupt? Mein Blick glitt über die Wände des kleinen Raums mit einem Fenster, das den Blick über die SAP-Arena freigab. Das war mal keine schlechte Aussicht... dann erkannte ich einige Fotografien von uns, beziehungsweise von Spielern in gelben Trikots. Daneben auch noch einige weitere von Fußballspielern und Basketballspielern. Auf dem größeren Schreibtisch stand ein PC mit zwei Monitoren und komplettem Setup, auf dem kleinen lag lediglich ein zugeklapptes MacBook. Das MacBook hatte einen Aufkleber darauf. Auf dem Aufkleber abgebildet war eine Möhrwe, also ein illustriertes Gemisch aus Karotte und Möwe. Und diesen Aufkleber hatte ich erst ein einziges Mal in meinem Leben gesehen und fand ihn schon beim ersten Mal lustig. Das war Livs Laptop, keine Frage. Also musste das hier auch Livs und Cheffes Büro sein.

Und ich lag richtig. Denn keine fünf Sekunden später traten die zwei hinter David ins Büro und grinsten sich breit an. Dann verfolgte ich einen Blickkontakt zwischen Cheffe und David mit, die sich danach zunickten. Also war das kein Zufall, dass mich David gerade eben hierher geschleift hatte. Der Große verabschiedete sich mit den Worten: "Ich nehm' mal an, dass ihr zwei über viel reden müsst. Wir lassen euch dann mal allein." Dann machten sich Cheffe und David verschwörerisch grinsend vom Acker und schlossen die Tür hinter sich. So waren es nur noch Liv und ich in diesem plötzlich sehr engen Büro.

Mein Herz rutschte mir in die Hose und ich musste einmal schwer schlucken. Ich holte tief Luft und versuchte, mir die richtigen Worte zurechtzulegen. Doch Liv kam mir zuvor und fragte vorsichtig: "Und, Überraschung gelungen?" Ich lächelte überfordert. "Auf jeden Fall. Ich... ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann, Liv. Du..." Ich schaffte es nicht einmal, den Satz fertig zu bringen.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt