15 - Image-Sorgen - Juri

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- Freitag, 19.04.2024 - Misery Business/Paramore -

Schon den ganzen Tag hatte ich mit Müdigkeit zu kämpfen. Zumindest körperlich, mental war ich hellwach. Gestern Abend war wie Urlaub für meine Seele. Nach dem chaotischen und einfach formschlechten Spiel und dem mehr als verwirrenden, aber auch aufregenden Interview tat das Ausspannen in Heidelberg unfassbar gut. Einfach mal abschalten zu können und für kurze oder auch längere Momente meine Probleme zu vergessen. Ich hatte extra brav darauf gewartet, das BBL-Spiel von letztem Sonntag mit den zwei gemeinsam anschauen zu können.

Trotzdem waren auch an diesem Abend an einem unbestimmten Zeitpunkt wieder die Sorgen in mein Gehirn eingefallen. Ich war schon beinahe überrascht, wie einfach es mir gestern Abend gefallen war, mit Liv zu "flirten", auch wenn ich es nicht als das bezeichnen würde. Eigentlich hatte ich mit irgendeiner Hemmschwelle in mir drin gerechnet, aber die war nicht da. Vielleicht, nur vielleicht, hatte ich Friederike auch langsam verarbeitet. Klar, es tat immer noch weh, wenn ich an sie dachte, aber mit jedem neuen Tag war dieser Schmerz ein bisschen weniger.

Vielleicht sollte ich aber auch erst einmal versuchen, mich erst einmal besser mit Liv zu verstehen, bevor ich sie in eine missliche Lage bringe, für die sie nichts kann. Das hatte mir David gestern nochmal zu verstehen gegeben und er hatte recht. Ich hatte mir aber für heute auch schon ein Ziel gesetzt, für welches ich Livs Hilfe bräuchte. Also auf 'Freundschafts'-Ebene. Dafür hatte ich mir auch vorgenommen, sie heute während des Trainings zu fragen, ob sie vielleicht danach fünf Minuten für mich Zeit hätte.

So trainierte ich heute auf Sparflamme und wartete darauf, dass die Fotografin das Trainingszentrum betreten würde. Den Großteil des Trainings hatten wir bislang über das gestrige Spiel gesprochen und auch wenn Sebastian versuchte, seine Kritik diplomatisch auszudrücken, sprach er doch Punkte an, die mir tief ins Fleisch schnitten. Vor allem die mangelnde Chancenverwertung und das zu langsame Spiel hatte ich mir zum Teil auch selbst anzukreiden und ließen mich schlucken.

Doch dann wurden auch andere Punkte angesprochen, bei denen ich wenig Einfluss hatte. Unsere Abwehr im Mittelblock hatte viel zu spät geschalten, wie die Mitte auf Kreis-Achse bei den Melsungern funktionierte und entsprechend erst in der zweiten Hälfte angefangen, diese richtig zu verteidigen. Und auch eine Front gegen unsere Keeper wurde Sebastian los. Mitleidig sah ich David an, der sich vermutlich im Moment wünschte, überall zu sein, nur nicht hier.

Endlich hatte Sebastian sich zu Genüge aufgeregt und meinte abschließend: "Also Jungs, einige Punkte, an denen ich heute und das Wochenende über mit euch arbeiten will. Nehmt euch am besten nicht zu viel vor für Sonntag. Das sind alles Dinge, die wir bis Dienstag geritzt haben müssen!" So viel Recht, wie er auch damit hatte, so sehr schmerzte es auch, dass uns wieder einmal ein Wochenende zur Entspannung fehlte. Unser nächstes Spiel war schon in vier Tagen, das European League-Heimspiel gegen Lissabon. Viel Zeit zum Durchatmen blieb da nicht.

Im sportlichen Training, dass auf die 'Ansage' von Sebastian folgte, bekam ich zu spüren, dass doch einige Blicke auf mir ruhten. Patrick Groetzki, unser Kapitän, beobachtete mich bereits seit Tagen, seit er von dem ganzen Wechsel-Thema wusste. Das war ich bereits gewohnt. Doch heute wurde ich nicht nur von seinen Augen verfolgt - es wirkte schon fast so, als ob mich heute das ganze Team unter die Lupe nehmen würde. Vielleicht lag es an gestern, vielleicht an meinem Wechsel, aber jede meiner Aktionen im Training wurden beobachtet und blieben nicht unkommentiert.

Gefühlt hatte unter anderem der Teamkern, auf den ich normalerweise zählen konnte, bei jedem meiner Würfe oder jeder meiner Ansagen etwas zu kommentieren. Und das hasste ich wie nichts anderes. Klar, viel der gestrigen Leistung war auch mir anzukreiden. Aber jetzt jeden Move, den ich machte, anzuzweifeln, würde uns auch nicht weiterbringen. Generell regte mich einfach das Misstrauen auf, das mir entgegengebracht wurde, seitdem mein Wechsel öffentlich wurde. Das war sowieso nichts mehr, was ich in der Hand hatte. Stattdessen sollten wir nach vorne schauen und uns auf das kommende Spiel konzentrieren. Aber trotzdem ließen mich die Kommentare nicht los. Was konnte ich nur tun, um das fehlende Vertrauen wieder herzustellen? Weil so ging es echt nicht weiter.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt