33 - alles gut? - Juri

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- Sonntag, 05.05.2024 - WANT YOU!/Alex Sampson -

Mein Blick scannte mehrmals durch die gesamte Trainingshalle. Sie war tatsächlich nicht hier. Es war inzwischen Sonntagnachmittag und wir versammelten uns gerade zur Spielnachbesprechung. Allerdings würde es wohl eher ein nett gemeintes, kollektives Anschnauzen von Sebastian aus werden. Und ganz ehrlich - heute hatten wir und wahrscheinlich vor allem ich genau das verdient.

Das gesamte Spiel lang hatte ich Livs Worte nicht aus meinem Kopf bekommen können. Du kannst so ein Arsch sein. Genau dieser Satz hatte sich in mein Gehirn gefressen und von innen heraus mein Selbstbewusstsein zerstört. Ich hatte mich und meine Aktionen so lange hinterfragt, bis ich mir mit nichts mehr sicher war. Das hatte dazu geführt, dass ich mir selbst nicht mehr vertraute und das hatten die Jungs mitbekommen und ich wurde kaum noch angespielt. Aktionen wurden voreilig abgeschlossen, nur, um keinen kompletten Spielzug durchspielen zu müssen und meistens war dabei kein Tor für uns herausgesprungen. Und das alles hatten meine Teamkameraden mir zu verdanken.

Es hatte auch nicht viel geholfen, dass ich nach dem Spiel noch einmal mit ihr gesprochen hatte. Sie hatte tatsächlich erklärt, dass es nicht ihre Absicht war, dass sie das HSVH-Trikot anhatte und schlussendlich hatte ich das auch verstanden. Aber sie hatte mich einfach zu sehr verletzt mit all dem gehabt und ich war wieder einmal zu stolz gewesen, um mir das in diesem Moment einzugestehen. Deshalb hatte ich wieder einmal extrem abwehrend reagiert nach dem Gespräch.

Und genau das wollte ich eigentlich heute wieder geradebiegen. War sie wegen mir nicht hier? Oder war sie irgendwie anderweitig beschäftigt? Vielleicht beides? Ich wusste es nicht. Aber einfacher würde diese Tatsache es mir definitiv nicht machen.

Inzwischen hatten sich alle Spieler und Trainer in der Halle eingefunden und so war auch schnell ein Sitzkreis um einen sehr nachdenklich aussehenden Sebastian gebildet. Ich hatte mich wie so oft direkt neben Flipse niedergelassen, der ganz links außen saß, zu meiner Rechten war David, der mich aber immer noch keines Blickes würdigte. Auch das hatte ich vermutlich verdient. Ich hatte mich noch nicht einmal für seinen zwischenmenschlichen Einsatz gestern bedankt. Auch das musste ich heute noch machen. Heute war für mich generell der Tag des Aufholens gekommen, fiel mir auf.

Doch nun war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Sebastian ließ seinen Blick einmal über uns Spieler gleiten und er seufzte einmal laut. Dann stemmte er seine Hände in die Hüften und erklärte sanft, aber bestimmt: "Ich möchte, dass ihr das Spiel gestern restlos aus euren Köpfen streicht. Komplett. Das war eine Pleite auf ganzer Linie. Wir fangen heute noch einmal komplett von vorne an und starten noch einmal bei null."

Allein diese Aussage ließ uns einige verwirrte Blicke miteinander wechseln und auch ich hatte eine Augenbraue hochgezogen, als ich Flipse neben mir fragend ansah. Dieser zuckte nur mit den Schultern. Wir hatten eigentlich alle heute mit einem deftigen Einlauf gerechnet, eigentlich sogar mit einem Anschreien, mit allem, außer das. Das war untypisch für Sebastian und ebenso unverhältnismäßig für unsere Leistung. Aber vielleicht war es einfach die einzige Art und Weise, wie er seine Frustration zum Ausdruck brachte - uns hatte er definitiv selbst zum Nachdenken mit dieser Aussage angeregt.

Sebastian war allerdings noch nicht fertig: "David, Juri, Kohli, euch nehm' ich gleich mal raus und rede nochmal privat mit euch. Aber ihr, ihr alle. Ihr seid ein Team. Ihr haltet zusammen. Und vor allem, ihr gewinnt und verliert zusammen. Also sorgen wir doch dafür, dass wir das nächste Spiel gewinnen." Beeindruckt nickte ich. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können.

Ein leises Raunen ging durch die Reihen von uns Spielern und jeder einzelne von uns murmelte zustimmend etwas. Ich suchte den Blickkontakt zu Sebastian. Ihm war es natürlich auch aufgefallen, dass meine Leistung uns alle gestern heruntergezogen hatte. Also war garantiert die Ansprache zumindest zu einem Anteil auch für mich gedacht gewesen. Und ich hatte recht - auch er suchte den Blickkontakt und ich lächelte ihn dankbar an. Er nickte nur simpel und wandte sich dann kurz von uns ab, um etwas Unhörbares mit Michael, unserem Co-Trainer, zu besprechen.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt