17 - durchgespielt - Juri

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- Dienstag, 23.04.2024 - Love Me Again/John Newman -

Dieses Kribbeln im Bauch. Wie ich es doch vermisst hatte. Wir standen gerade im schmalen Gang, dessen Ende uns auf das Spielfeld des SNP-Domes führen würde. Ich war schon seit einer Weile nicht mehr so aufgeregt vor einem Spiel gewesen - genau so hatte ich mich tatsächlich zum letzten Mal beim Halbfinalspiel der EM gefühlt, fiel mir auf. Ich war mir noch nicht einmal sicher, warum ich mich so fühlte. Aber die Vorfreude strömte wie heiße Glut durch meine Adern. Ich hatte so Lust, dieses Spiel zu gewinnen. Mein Können unter Beweis zu stellen. Allen zu zeigen, für welches Team ich noch spielte. Wo ich dazugehörte, trotz des ganzen Wechseldramas.

Ich wandte mich kurz um, zu David, der einige Meter hinter mir darauf wartete, in den Dome gerufen zu werden. Das Einlaufen würde gleich beginnen, doch ich konnte nicht umhin, meinen besten Freund breit anzugrinsen. Er wirkte überrascht, grinste dann aber doch zurück. Heute würde unser Tag werden, das wusste ich genau.

Dann konnte man sehen, wie das Licht im Dome stark gedimmt wurde und die Musik lauter gedreht wurde. Es war Zeit. Vorsichtig nahm ich mein Einlaufkind, ein Mädchen von vielleicht 10 Jahren, an die Hand und lächelte ihr einmal zu. Ich ging ein letztes Mal in mich, bevor der erste Name gerufen wurde und Apfel als erstes aus dem Gang trat. Dieser lief in die Halle ein und ich machte mich mental auch schon bereit. Auch Niclas und Steven wurden in den Dome gerufen und so stand ich schließlich ganz vorne am Eingang.

Das Scheinwerferlicht blendete mich und ich konnte nur noch wie durch einen Schleier hören, wie Kevin meinen Vornamen in das Mikro rief und die Zuschauer mit meinem Nachnamen antworteten. Ich warf meinem Einlaufkind ein beruhigendes Lächeln zu und gemeinsam joggten wir an meinen Platz in der sich bildenden Reihe an Spielern. Ich war definitiv bereit, bereit dafür, dieses Spiel für uns zu gewinnen.

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Erleichtert ließ ich mich nach dem kollektiven Herumhüpfen mit den anderen auf einen Stuhl am Spielfeldrand fallen. Ein echtes, glückliches Lächeln hatte sich auf meinen Lippen manifestiert und nahm dort sofort wieder den Platz ein, nachdem ich einen Schluck aus meiner Wasserflasche genommen hatte. Ich starrte wie der Blöde grinsend vor mir auf das Spielfeld und ließ die Eindrücke sacken. Wir hatten tatsächlich gewonnen. Und das mit Abstand. Und wir hatten endlich mal wieder gut gespielt. Immer noch grinsend schüttelte ich beruhigt den Kopf und betrachtete meine Hände.

"Ha!" Dieser Ausruf verleitete mich dazu, ruckartig in die Richtung zu schauen, aus welcher ich das Wort vermutete. Etwas verwirrt schaute ich in Livs Gesicht, die keine fünf Meter von mir entfernt stand und auf den Bildschirm ihrer Kamera starrte. Dann schaute sie auf und unsere Blicke kreuzten sich - ihr stolzer Blick traf meinen verwirrten. Sie eilte zu mir und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen.

"Ich hab' das Fotografen-Spiel einfach durchgespielt", meinte sie zu mir. Jetzt war ich noch verwirrter als zuvor. Was zur Hölle meinte sie? Sie hielt mir ihre Kamera hin und ich erkannte auf dem kleinen Display, was sie meinte. Dort war ein Foto zu sehen. Ein Foto von mir, wie ich gerade auf diesem Stuhl saß und verstohlen in mich hinein grinste. Ich verstand, worauf sie hinauswollte.

Sie zielte mit der Aussage darauf ab, dass sie mich beim Interview am Donnerstag ja gefragt hatte, warum ich eigentlich nie nach einem Spiel lächelte. Und jetzt hatte sie den Beweis dafür, dass ich es doch konnte. So warf ich ihr einen gespielt genervten Blick zu und verdrehte die Augen. Trotzdem musste ich grinsen. "Du bist fies. Jetzt lass mir halt meinen Ruf als Grübler." Ich tat so, als würde ich versuchen, das Bild zu löschen und drückte wahllos auf einige der kleinen Knöpfe. Doch sie entriss mir die Kamera direkt wieder und rief gespielt geschockt: "Niemals! Was fällt dir ein?" Wir beide lachten leise und frech grinste ich sie an.

Dann deutete sie unauffällig mit dem Kopf hinter uns. "Du, Juri, ich glaub, deine Fans wollen was von dir." Ich seufzte. Natürlich wollten sie das. Aber eigentlich hatte ich gerade überhaupt keine Lust auf Fotos und Autogramme. Und eigentlich war das auch nicht nötig - normalerweise war es für mich Standard, nur vor dem Spiel meine Zeit für die Fans zu opfern, nicht danach. Aber angesichts meiner momentanen Image-Probleme überlegte ich tatsächlich, ob ich nicht vielleicht doch heute mal eine Ausnahme machen sollte.

So nickte ich schließlich und stand schweren Herzens auf, um mich meinen Fans zu widmen. Zufrieden lächelte Liv und machte sich wieder daran, Fotos von allem und jedem zu schießen, was nicht bei drei auf dem Baum war. Fast so, als hätte unsere kurze Konversation nie stattgefunden. Es war schon eine seltsame Dynamik, die zwischen uns herrschte. Aber ich hing mich nicht daran auf, sondern genoss tatsächlich ein wenig die ungewohnte Situation und das Gefühl von Fremde, von Neuheit und Spannung. Wenn es nach mir ginge, müsste sich diese Art und Weise, wie wir zwei miteinander umgingen, nie ändern.

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"Sag mal, Juri, was machst du denn hier? Ich hab' dich schon gesucht!" Ich gab dem letzten Fan seine Autogrammkarte zurück und lächelte dem Jungen, den ich auf 15 geschätzt hätte, zu. Dann wandte ich mich zu David um, der mich abwartend ansah. Ich zuckte mit den Schultern. "Autogramme geben?", erklärte ich das Offensichtliche. David verdrehte die Augen. "Ja, das sehe ich auch. Aber warum denn jetzt? Ich wollte gerade duschen gehen, dann sagt mir Flipse, dass du noch gar nicht in der Umkleide bist."

Ich schnaubte und zuckte überfordert mit den Schultern. "Ich... ach egal. Warte, ich komm mit." Entschuldigend lächelte ich den letzten paar Fans zu, die bis gerade geduldig darauf gewartet hatten, dass ich mich ihnen widmete. Dann ließ ich mich von David mitziehen in Richtung der Mixed Zone. Ich seufzte und erklärte ihm in einem etwas leiseren Ton: "Ich wollte mein Image ein bisschen aufpolieren. Ich hab' ziemlich viel Stress von Insta bekommen und wollte irgendwie meinen Fans zeigen, dass ich auch nett kann."

David schaute mich forschend an und nickte schließlich. "Ja gut, das versteh ich. Aber machst du dir echt so krasse Sorgen mit deinem Image? Du bist doch auch sonst nicht so." Ich zuckte mit meinen Schultern, nickte aber schließlich. "Ja, irgendwie schon. Keine Ahnung, seit der ganzen Wechsel-Geschichte ist das Feedback dann doch nochmal was anderes. Ich merk schon irgendwie, wie mein Ruf ein bisschen geschädigt ist seit letzter Woche..." In der Hoffnung, dass er es nicht mitbekam, setzte ich noch leise hinzu: "... auch im Team."

An seinen in die Höhe schießenden Augenbrauen erkannte ich, dass er den letzten Teil doch gehört hatte. Dann zogen sich die Augenbrauen sorgenvoll zusammen und er meinte leise: "Das wäre mir noch nicht aufgefallen. Scheiße, man." Ich nickte. Es war nichts, was ich kontrollieren konnte. Deshalb tat ich auch alles, was in meiner Macht stand, um mein Bild zumindest nach außen hin ein wenig aufzubessern. Nach einer kurzen Stille führte er noch aus: "Kann ich irgendwie helfen?"

Betroffen schüttelte ich meinen Kopf. "Alles gut, man. Da muss ich schon alleine durch. Ich bin ja auch selbst schuld." Doch mein bester Freund schüttelte energisch den Kopf. "Ach was. Da muss sich doch was machen lassen. Du kannst doch auch nicht wirklich was dafür. Sicher, dass ich nicht einfach mal mit den anderen reden soll?" Ich seufzte. "Lass lieber. Ich weiß nicht, wie geil es kommt, wenn ich mich hinter dir verstecken muss. Ich pack das schon."

Er nickte niedergeschlagen. "Okay. Und bis sich die ganze Sache wieder geregelt hat, hast du auf jeden Fall mich." Diese Aussage trieb ein ehrliches Lächeln auf meine Lippen. "Danke, man." Er winkte ab. "Dafür nicht." Wir erreichten die Tür der Umkleidekabine und ich meinte: "Aber lass dich nicht von mir runterziehen. Du hast heute so geil gespielt. Lass dich ein bisschen feiern!"

Mit diesen Worten setzte ich ein falsches Lächeln auf und schob den etwas größeren Torwart vor mir her in die Kabine, aus der bereits die lauten Klänge irgendeines Schlagers schallten. Fake it until you make it, sagte ich mir selbst und nahm widerwillig das Siegbier an, das mir sogleich von Jannik in die Hand gedrückt wurde. Jetzt galt es erst einmal, die kommende Woche mit dem spielfreien Wochenende zu genießen und mit diesem Sieg gestärkt in das Rückspiel zu gehen.


- 1428 Wörter -

Hach, ihr Lieben, ich vermisse Handball. Das spielfreie Wochenende hatte dann doch mehr Einfluss auf meine Laune, als ich dachte. Deshalb freue ich mich auch umso mehr auf das kommende Wochenende. Und ich glaube, genau diese Vorfreude kann man auch aus diesem Kapitel herauslesen.

Alles Liebe, eure Ella <3

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt