121 km/h /// Juri Knorr ff

04 - Sommersprossen - David

- Montag, 15.04.2024 - better/MICO -

Das Erste, was mir an dem Mädchen vor mir auffiel, waren die Sommersprossen, die sich stark von dem blassen Teint ihres Gesichtes abhoben und ihre Wangenknochen und Nase einrahmten. Mein zweiter Blick fiel direkt in ihre Augen. Diese Augen... die hauten mich tatsächlich beinahe um. Der angenehme Braunton, den ich sonst als vertrauenswürdig und beruhigend wahrnehmen würde, konnte nicht das Feuer überschatten, das in dem Blick des Mädchens loderte. Ich wusste nicht, wer sie war, aber sie war definitiv hier, um zu überzeugen. Ich glaube, ich hatte noch nie so eine Willenskraft und so eine Stärke allein aus einem Blick oder einer Körperhaltung herauslesen können.

Dann fiel mir auf, dass ich sie immer noch anstarrte und wahrscheinlich gerade nicht den allerbesten ersten Eindruck machte. Also räusperte ich mich schnell und fragte offen: "Hey, kennen wir uns?" Die Frage trieb ein überraschenderweise nettes Grinsen auf die Lippen des Mädchens, dessen Name ich bislang noch nicht kannte.

"Nein, ich glaube noch nicht. Ich bin Liv. Ich mache ab heute bei euch mein Praktikum. Du bist David, richtig?" An der Aussage irritierten mich direkt mehrere Dinge. Zum einen musste ich sie nicht wegen der Aussprache meines Vornamens korrigieren, was mich ein wenig stutzig machte. Aber anscheinend wusste sie wirklich bereits Bescheid, wie man mich richtig aussprach, was ich stumm dankend zur Kenntnis nahm. Zum anderen wirkte die Art, wie sie sprach, genau gegenteilig zu dem, was ich gerade aus ihren Augen herausgelesen hatte. Es kam nicht oft vor, dass ich mich bei meinem ersten Eindruck von einem Menschen täuschte, aber sie erfüllte dies zu einhundert Prozent.

"Hey, ja, richtig. Schön, dich kennenzulernen! Machst du dein Praktikum bei Cheffe? Er hat schon angekündigt, dass er eine Überraschung mitbringt." Bei der Aussage zeichnete ich Anführungszeichen um das 'Überraschung' in die Luft und lächelte sie sanft an. Sie erwiderte das Lächeln breit und antwortete charmant: "Ja, Cheffe hat mich jetzt für die nächsten zwei Monate an der Backe." Dann schüttelte sie den Kopf, wie um einen Gedanken loszuwerden, und grinste breit. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu, den sie auffing und ihren Gedanken ausführte: "Witzig, wie ihr ihn anscheinend alle Cheffe nennt. Das klingt so... ungewohnt. Ich meine, es passt, aber seltsam ist es schon irgendwie." Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich daran zurückdachte, wie sich Cheffe seinen Spitznamen verdient hatte.

Im Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Apfel nach mir winkte und ich deutete mit einem Kopfnicken zu ihm. Liv verstand, was ich sagen wollte, und lief mit gerecktem Kopf mir voran auf die kleine Gruppe zu. Inzwischen hatte sich auch Cheffe zu Joel, Apfel und Dragan, unserem Torwart-Trainer gesellt und blickte erwartungsvoll zu uns zwei. Gedanklich versuchte ich immer noch, die junge Frau besser einzuschätzen. Ich hätte sie ungefähr auf mein Alter geschätzt, am Kleidungsstil und dem hohen, dunkelbraunen Pferdeschwanz festgehalten. Ihre Körpersprache sagte mal wieder etwas anderes als ihr Tonfall, als sie sich bei der Gruppe angekommen erneut vorstellte.

Um ehrlich zu sein war ich mir nicht sicher, ob sie wirklich so selbstbewusst war, wie ihre Körpersprache und ihr Ausdruck in den Augen es andeuteten, oder ob sie dies nur vortäuschte, um an ihrem ersten Tag ein wenig souveräner rüberzukommen. So oder so hatte ich das Gefühl, dass ich sie in der nächsten Zeit besser kennenlernen wollte. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es eine spannende Zeit mit ihr werden würde, und normalerweise lag mein Bauchgefühl bei solchen Dingen richtig.

Inzwischen hatten sich alle in der Runde vorgestellt und so wandte sich Cheffe direkt Liv zu. "Also, bist du bereit für deine erste Aufgabe?" Sie nickte und lächelte erwartungsvoll. Cheffe führte fort: "Wir werden heute uns ausschließlich auf das Torwart-Trio fokussieren. Ich hätte mir ein paar Fotos vom Torwart-Training vorgestellt und vielleicht ein, zwei Fotos vom Gesamttraining. Ich werde auch mitschießen, als Backup, aber ich will dich einfach mal arbeiten sehen. Ist das okay?"