70 - Modenschau - Jari

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- Mittwoch, 26.06.2024 - Leinen Los/KAYEF -

Ich grinste und versuchte, mich ein wenig neu zu orientieren. Ich war schon eine Weile nicht mehr hier gewesen und dieses Mal war auch niemand an meiner Seite, der mich im Zweifelsfall in die richtige Richtung lenken konnte. Nein, dieses Mal war ich derjenige, der jemand Neues sicher durch die 'heiligen Hallen' bringen musste, wie Lennart sie immer bezeichnete.

Diese heiligen Hallen, die ich einfach als DYN-Hauptzentrale bezeichnen würde. Liv und ich waren heute hier, um offiziell unseren Vertrag zu unterzeichnen. Und wahrscheinlich einen auf die Rüffel zu bekommen, so, wie ich die Leute von DYN kannte. Sie waren nicht immer zu einhundert Prozent zufrieden mit mir und meiner Arbeit und das wusste ich auch. Trotzdem würde ich heute alles schlucken, was mir Unangenehmes an den Kopf geworfen würde. Heute war ich einfach nur dankbar, dass sie Liv und mich nach Paris fahren ließen.

"Jari, du verschleppst mich aber nicht, oder?", fragte Liv spöttisch, als wir gefühlt um die 300ste Ecke gelaufen waren. Doch ich grinste nur wissend. Inzwischen wusste ich wieder, wo wir uns befanden. "Noch nicht, Kleine. Noch nicht." Mit diesen Worten kam ich zum Stehen und starrte die Tür an, auf der einfach ein MANAGEMENT in großen Lettern aufgedruckt stand. Ich atmete noch einmal tief durch und sah dann Liv fragend an. "Bereit?" Auch sie atmete noch einmal durch und zupfte kurz an ihrer Bluse herum, ehe sie nickte. "Bereit." Leise hob ich die Hand und klopfte dreimal. "Herein", erklang es von der anderen Seite der Tür. Gemeinsam traten wir durch die Tür und wurden von einem unangenehm hellen Licht begrüßt.

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"Willkommen in der DYN-Familie! Und, wie fühlt es sich an?" Ich hielt Liv das kleine Mikrofon unter die Nase und hielt mit meiner Handykamera weiterhin direkt auf sie. Doch Liv strahlte einfach weiter wie ein Honigkuchenpferd und rückte ihren DYN-Buckethat zurecht. "Es fühlt sich unglaublich an. Ab jetzt ist es halt... so real, weißt du?" Ich lachte und schwenkte die Kamera so, dass ich einen Arm um sie legen konnte und wir beide im Bild waren. "Also wir zwei freuen uns auf jeden Fall auf Olympia. Ich hoffe, ihr auch!" Damit stoppte ich die Aufnahme und setzte mich wieder auf den kleinen Hocker.

"Ist das mit dem Hotel eigentlich wirklich für dich okay?", fragte ich Liv vorsichtig. Wir hatten vom Management die Aufgabe bekommen, uns selbst um einen Schlafplatz während Olympia zu sorgen, während den Trainingslagern würden wir mit auf dem Gelände nächtigen. Und in meinem Kopf wirkte es da noch wie eine gute Idee, Liv direkt zu fragen, ob wir uns ein Hotelzimmer teilen wollten.

Finanziell war das die sinnvollste Lösung aller, auch wenn es schon so oder so unfassbar teuer werden würde. Wir waren gemeinsam aufgewachsen, und mit getrennten Betten war das sicher auch kein Problem für sie. Aber ich wollte noch einmal auf Nummer sicher gehen. Doch Liv nickte nur besänftigend. "Gerne! Ich glaube, das macht kostentechnisch echt am meisten Sinn. Und ganz ehrlich, wenn wir Eilbecker bei den ganzen Turnieren gemeinsam in einem riesigen Zelt schlafen konnten, schaffen wir zwei das auch in einem Hotelzimmer."

Ich lachte und nickte. Da hatte sie gerade eine Erinnerung wachgerufen, die ich ganz hinten in meinem Kopf verstaut hatte. Die Turnierphase war wirklich immer lustig gewesen, gerade in der Zeit, in der sie als A-Jugend bei uns Männern mitgefahren waren zu Turnieren. Damals hatten wir uns ein 30-Mann-Zelt geteilt und hatten uns irgendwie auf Feldbetten arrangiert. Eine schöne, aber auch nervenaufreibende Zeit.

"Lass uns mal ein ganz ganz kleines Reel von unserer Anprobe drehen. Das können wir dann auch ganz entspannt als erstes Reel zu Olympia hochladen. Sowas wie: Das ist das Media-Team, für Olympia, für euch." Bei dieser Beschreibung malte Liv mit ihren Händen imaginäre Banner in die Luft. Ich nickte. "Das ist gut. Ich liebs." Ich wandte mich schnell um zu den Leuten, die gerade damit beschäftigt waren, weitere Shirts und Oberteile für Liv und mich herauszulegen. "Wie lange dürfen wir euch denn beanspruchen?"

Andreas, der so etwas wie der Organisations-Papi hiervon war, zuckte nur mit den Schultern. "Also eine halbe Stunde sind wir offiziell hierfür noch zugeteilt. Tobt euch aus!" Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Liv holte meine Kamera aus meiner Tasche, die wir zu Beginn achtlos zur Seite gestellt hatten. Dann ging das große Knipsen los und es wurde fast eher zu einer Modenschau an DYN-Attire, als irgendetwas sonst. Aber es machte uns beiden unfassbar viel Spaß und auch den Leuten von der Einkleidung schien unser Entertainment anscheinend zu gefallen.

Gerade Liv blühte in dieser halben Stunde richtig auf. Mit einem konstanten Lächeln auf den Lippen probierte sie sich emsig durch jedes Kleidungsstück durch, das DYN zu bieten hatte. Um fair zu sein - so war ich wahrscheinlich auch, ganz am Anfang. Für sie war das hier sicher ein Traum, der wahr wurde. So nahm ich es hin und versuchte, mit ihr Schritt zu halten, damit wir so oft wie möglich mit dem gleichen Oberteil dastanden und Fotos machen konnten.

Völlig fertig ließ ich mich an der Wand des kleinen Studios heruntergleiten. Wir hatten die letzte halbe Stunde wirklich bis zum Geht-nicht-mehr ausgereizt. Jetzt war ich wirklich fertig. Ich gab mir einen kurzen Moment zum Atmen. Dann betrachtete ich meine Arme. Ein wenig störten mich die Narben schon auf den Fotos. Klar, das war eine Story, auf die ich stolz sein konnte, vor allem, weil ich so schnell wieder zurück im echten Leben angekommen war danach. Aber trotzdem verband ich das alles mit der schmerzhaften Erinnerung, wochenlang an diese blöden Schienen gefesselt zu sein und mich nicht einmal richtig ernähren zu können, ohne ein Chaos anzurichten.

Eine immer noch strahlende Liv ließ neben mich fallen. Inzwischen trug sie nur noch das weiße Spaghettiträger-Top, das sie zuvor unter ihrer Bluse getragen hatte. "Na, Großer? Alles gut?", fragte sie vorsichtig. Sie kannte mich einfach doch ein wenig zu gut. Ich nickte. "Ja, alles gut. Bin nur fertig. Das war echt anstrengend." Wir beide lachten leise, als auch Liv nickte. "Aber dafür umso geiler. Ich kann's immer noch nicht so ganz fassen", gab sie zu.

Ich grinste und legte meinen Arm um sie. "Hach, Liv. Mein kleiner Pelikan wird endlich flügge." Sie sah mich kurz ein wenig böse an, lächelte dann aber wieder und legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. "Wir brauchen mal noch sinnvollere Spitznamen für uns." Ich grinste und nickte. Dann sagte sie, ganz leise: "Danke, dass du mir das alles hier möglich gemacht hast." Mein Grinsen wurde noch breiter. "Das hast du dir selbst zu verdanken. Ich sehe nur Möglichkeiten und diese hab' ich halt genutzt."

Sie richtete sich wieder auf und lächelte mich an. "Trotzdem." Ich nickte beschwichtigend. "Gern geschehen." Dann stand sie mit ein bisschen mehr Elan auf und hielt mir die Hand hin. "Na dann, auf geht's. Ich seh schon, wir werden hier gleich rausgeschmissen." Ich ergriff ihre Hand und ließ mich von ihr hochziehen. Im Vorbeigehen schnappte ich noch meine Kamera und meine Tasche und wir bedankten und verabschiedeten uns noch beim Einkleidungsteam, ehe wir das kleine Studio verließen. Unsere Klamotten würden direkt nach Hennef geliefert werden, sodass wir uns keine Sorgen um den Transport machen mussten.

"Und jetzt?", fragte ich Liv, als wir vor dem Gebäude standen und die nicht ganz so angenehme Kölner Luft einatmeten. Liv zuckte mit den Schultern und sah auf ihre Armbanduhr. "Also ich hab' noch ein bisschen Zeit. Aber ich muss nachher irgendwie noch nach Ehrenfeld." Fragend sah ich sie an. "Was willst du denn in Ehrenfeld?" Livs Grinsen manifestierte sich wieder auf ihren Lippen. "Mia besuchen. Sie wohnt hier." Überrascht zog ich eine Augenbraue hoch.

"Also, wenn du willst, kann ich dich auch fahren. Dann lern ich Mia auch endlich mal richtig kennen. Natürlich nur, wenn das mit euch okay wäre. Ich hab' mich erst heute Abend mit Lennart verabredet." Liv nickte sofort begeistert. "Klar doch, sie freut sich sicher! Warte, lass mich ihr kurz schreiben, ob sie schon Zeit hat." Und keine zwei Minuten später wuselten wir uns auch schon den kurzen Weg entlang durch die Kölner Straßen. Dazu spielte laut Musik aus dem Radio und Liv sang noch ein bisschen lauter mit.


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Aaah, Leute, wir haben es bald! Olympia-Vorbereitungs-Countdown: -2 Kapitel! ^^

Sorry, dass ich euch die Szene MiaxLivxJari gerobbt habe. Das hätte meinen Energierahmen heute definitiv gesprengt. Aber ich muss mir auch jedes Mal vor Augen halten, dass ich auch nicht jede Szene auf Papier festhalten darf und euch ein wenig Vorstellungsspielraum lassen muss. Das ist auch Teil meines Jobs und so ziemlich das Schwierigste für mich.

Passt auf euch auf und macht es gut, eure (sehr vorfreudige) Ella <3

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt