40 - wie geht's dir wirklich? - Juri

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 -Freitag, 10.05.2024 - Siehst du mich/HE/RO -

Nach der zehnten WhatsApp-Benachrichtigung schaltete ich einfach mein Handy aus. Wir standen inzwischen in Växjö in der Sporthalle, in welcher wir bis Sonntag trainieren würden. Und auch wenn die Halle tatsächlich ziemlich beeindruckend war, fühlte es sich irgendwie nicht sonderlich anders an als in Kronau.

Gerade hatten wir siebzehn Uhr und Trainingspause. Meine Energie war definitiv am Ende und auch das Training war nur mäßig für mich gelaufen. Zum einen war ich noch komplett ausgelaugt von der langen Nacht, die sich wirklich bis um drei gezogen hatte, und dem frühen Flug danach zurück nach Kopenhagen. Dann die lange Bus- und Fährenfahrt nach Schweden und dann auch noch das Nachmittagstraining hatten mir körperlich wirklich den Rest gegeben.

Zum anderen hatte ich ein ganz bestimmtes Gesicht seit gestern Abend nicht mehr aus dem Kopf bekommen, was auch nicht wirklich förderlich für meine Leistung gerade war. Sie war so verboten schön gewesen gestern. Und genau das richtige Maß frech und vorlaut, dass man auch nicht umhinkonnte, sie als extrovertiert zu bezeichnen. Sie verstand sich super mit meinem engsten Freundeskreis und hatte das Talent, wirklich jeden in ihren Bann zu ziehen, den sie kennenlernte. Dann der ganze Körper- und Blickkontakt gestern, die frechen Kommentare und Witzeleien. Sie hatte mir wirklich den Kopf verdreht und das mit voller Wucht. Scheiße man, wie kam ich nur je wieder aus der Sache raus?

David ließ sich neben mich auf die Bank in der sonst inzwischen leeren Halle fallen und hatte sein Handy in der Hand, das beinahe pausenlos vibrierte. Ich seufzte und fragte leise: "Ist das immernoch Liv?" David brummte leise "Mmh" und nickte abgelenkt, während er die neuen Nachrichten öffnete. Liv hatte heute Vormittag die Fotos von gestern entwickeln lassen und schickte nun unsere gemeinsamen Fotos in die WhatsApp-Gruppe. Doch ich konnte ihr Gesicht einfach nicht sehen. Noch nicht. Sie brachte mich wirklich noch um meinen Verstand.

Ich atmete einmal tief durch und betrachtete meine Fingerknöchel, von welchen sich langsam das Tape löste. Wir wurden vor etwa zehn Minuten von Alfred in die Pause entlassen und die meisten Jungs hatten sich nach draußen in die strahlende Sonne gesellt. Doch irgendwie brachte ich einfach heute nicht die nötige Energie dafür auf, eine sinnvolle Konversation mit dem Haufen zu führen. Deshalb war ich auch in der Halle zurückgeblieben.

"Juri, schau mich mal an." Ich hob meinen Kopf und sah meinem besten Freund in die Augen. Seine Augenbrauen zogen sich sofort zusammen und besorgt meinte er: "Du siehst so fertig aus. Liegt das nur an der Müdigkeit oder noch an was anderem?" Ich lachte leise sarkastisch auf. So, wie das klang, hätte er sich die Frage auch selbst beantworten können. "So, wie du die Frage stellst, kennst du die Antwort doch eh schon."

Der Große nickte, zog aber nur seine Augenbrauen hoch. "Ja, schon, aber ich hätte das gerne nochmal wörtlich von dir bestätigt." Ich seufzte und hielt einen Moment inne. War ich schon bereit, das auszusprechen, was mein Innerstes schon längst wusste? Aber auf der anderen Hand - David wusste es sowieso schon. Er hatte es geahnt, es vorausgesehen, und mich tausende Male darauf angesprochen. Nur heute würde er die Wahrheit hören.

"Ja, okay. Es liegt nicht nur an der Müdigkeit." Damit hatte ich immer noch Raum für Interpretation, wenn ich doch einen Rückzieher gleich machen wollte. Doch David machte das effektiv unmöglich, indem er schlicht nachfragte: "Liv?" Ich seufzte. Allein ihr Name sorgte dafür, dass sich hinter meinem Bauchnabel ein Knoten bildete. Niedergeschlagen nickte ich und betrachtete wieder eingehend meine Hände.

Diese Gestik sprach mehr als tausend Worte und mitleidig legte mir David seine Hand auf die Schulter. "Ach man, Juri." In dieser Position saßen wir für einen Moment einfach schweigend auf der Holzbank. Ich wollte nichts sagen. Und selbst wenn, ich wusste nichts, was es mir einfacher machen würde.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt