26 - Alleingang - Liv

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- Mittwoch, 01.05.2024 - pretend to be friends/Bryce Xavier -

In der S-Bahn nach Kronau nahm ich mir noch einmal die Zeit, alle Nachrichten von Cheffe ein letztes Mal durchzugehen. Ich würde heute zum ersten Mal das Nachmittagstraining allein begleiten und hatte über WhatsApp eine sehr detaillierte Aufgabenliste von ihm erhalten. So seltsam es auch klang, war ich ein bisschen nervös vor der zusätzlichen Verantwortung, die heute auf meinen Schultern lastete, obwohl es ja eigentlich auch nichts anderes war als das, was ich die gesamten letzten Tage getan hatte.

Dann beantwortete ich noch schnell einige WhatsApp-Nachrichten, unter anderem von Jari. Ich hatte dem Großen von heute erzählt und er hatte mir bestätigt, dass es tatsächlich ein echtes Vertrauensvotum von Cheffe gewesen war, mich ganz allein das Training heute begleiten zu lassen. Das gab mir den Mut, dass ich das auch wirklich durchziehen und allein stemmen konnte. Gleichzeitig freute ich mich immer mehr auf Samstag, an dem ich Jari endlich wieder sehen würde, und plante im Kopf schon einmal den Tag durch.

Ich seufzte und nach dem viertelstündigen Fußmarsch zum Trainingszentrum entriegelte ich mit meinem Chip die große Glastür. Ich trat hindurch und wollte die Tür gerade wieder zufallen lassen, als ich eine Stimme hörte: "Liv, warte!" Ich wandte mich um und sah noch einen grinsenden Philipp auf mich zujoggen. Ich hielt die Tür davon ab, zuzufallen, und grinste ihm entgegen. Bei mir angekommen seufzte er ein leises "danke" und umarmte mich zu meiner Überraschung zur Begrüßung. Bislang hatte mich noch keiner der Jungs tatsächlich umarmt. Aber bei Flipse machte ich mir da keine Gedanken - er war einfach ein freundlicher und herzensguter Mensch.

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in das untere Stockwerk und direkt zum Durchgang auf das Spielfeld, da er seine Trainingsmontur bereits anhatte. Währenddessen gratulierte ich ihm noch einmal zum Einzug ins Final Four und erzählte ihm, dass heute mein erster 'Alleingang' ohne Cheffe war. Er nickte und meinte noch kurz "Ich drück dir die Daumen!" zu mir, ehe er auf dem Feld angekommen seine Sachen zu den anderen stellte und Jannik Kohlbacher in ein Gespräch verwickelte.

Leise lächelnd schaute ich ihm noch kurz hinterher und machte mich dann daran, meine Spiegelreflexkamera aus dem Rucksack zu ziehen. Ja, Flipse war einfach einer dieser Menschen, den jeder mochte und der gut mit jedem Charakter klarkam. Ich würde ihn einfach als 'Wohlfühlperson' bezeichnen.

Dann rief ich mir ins Gedächtnis, dass ich hier nicht zum Spaß war, und fing an, die ersten Fotos zu schießen. Es sollte heute ein Instagram-Post vom Training veröffentlicht werden, also fokussierte ich mich darauf, aus möglichst vielen Winkeln zu schießen, um den Post abwechslungsreich darstellen zu können. Die Media-Abteilung der Rhein-Neckar-Löwen fand ich inzwischen auch unfassbar liebevoll - Mark, Selina und Kim waren einfach witzig drauf und das konnte man auch aus jedem Post und jedem Artikel herauslesen. Unter anderem wegen ihnen gab ich mir also heute extra viel Mühe, schöne Fotos zu machen.

Leider war durch die ganze Fotografie meine zweite Aufgabe, das Videoprojekt mit Juri, ein wenig in den Hintergrund gerückt und gen Ende des Trainings fiel mir auf, dass ich noch keinen einzigen Clip heute gedreht hatte. So wandte ich mich in einer Trinkpause meinem Rucksack zu, der neben den Trainingstaschen der Jungs stand. Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie sich eine kleine Gruppe an Spielern auf eine Bank am Spielfeldrand setzte und redete.

Eigentlich wollte ich davon ein Foto machen, unterließ es dann aber doch. Ich hatte heute schon so viele Fotos von ihnen gemacht, dass ich drei Trainingstage damit hätte füllen können. Ich seufzte und schnappte mir meine Videokamera, um nun einige Szenen des Trainings für die Medienabteilung mitzufilmen und vielleicht noch ein bis zwei Shots von Juri für mein eigenes Projekt zu bekommen.

Just in dem Moment, als ich mich wieder von meinem Rucksack aufrichtete und dem Spielfeld zuwandte, sah ich, dass sich einige Spieler Wasserflaschen aus einem herumstehenden Kasten nahmen. Mir fiel auf, dass ich eigentlich den ganzen Tag noch nichts so wirklich getrunken hatte, aber auch keine Wasserflasche dabei hatte. Gleichzeitig erinnerte ich mich daran, dass Cheffe einmal gemeint hatte, dass der Kasten eigentlich nicht für die Spieler, sondern für die Trainer und alle anderen Mitarbeitenden gedacht waren und ich mir jederzeit eine Flasche davon nehmen durfte, wenn ich wollte.

Deshalb ließ ich mich ganz rechts außen auf die Bank fallen, neben welcher der Kasten stand. Dann fiel mir auf, dass es noch sage und schreibe eine einzige Flasche in dem Kasten gab und ich somit die letzte nehmen würde. Mein Blick schweifte einmal durch die Trainingshalle, doch niemand schien sich daran zu stören, weshalb ich letztendlich doch die kleine Wasserflasche aus dem Kasten zog und einmal überprüfte, ob es Wasser mit oder ohne Kohlensäure war.

Ich spürte, wie sich etwas neben mir niederließ und als ich nach links schaute, erkannte ich einen fertig aussehenden Juri, der mal wieder gerade einer der letzten Spieler auf dem Feld gewesen war. Er trainierte härter momentan als alle anderen Spieler und war grundsätzlich der Erste auf dem Feld und der Letzte, der ging. Das war mir bereits in der ersten Woche aufgefallen, aber er zog das bislang auch mit einer beeindruckenden Souveränität durch.

Lächelnd stupste ich mit meiner Schulter seine an und fragte leise: "Na, gutes Training bisher?" Er lächelte zurück und stützte kurz seine Hände auf den Knien ab, um so etwas Last von seinem Rücken zu nehmen. Er holte tief Luft und antwortete dann: "Joa, es geht. Ich bin nur durch." Er lachte leise und legte dann eine Hand in seinen Nacken, eine Geste, die ich bereits von ihm kannte und zeigte, dass er ein wenig unsicher war.

Ich nickte und beruhigte ihn ein wenig: "Versteh' ich. Sebastians Training sieht ab und zu wie echte Folter aus." Er lachte leise und es klang fast wie ein Mädchenkichern, ehe er antwortete: "Ja, ist es auch. Plus, ich hab' seit einer halben Stunde nichts mehr zu trinken."

Überrascht zog ich meine Augenbrauen hoch und überlegte kurz. Klar, ich sollte eigentlich auch etwas trinken, aber es sah so aus, als ob er es dringender bräuchte als ich. So hielt ich ihm nach diesem Moment des Zögerns die 500-Milliliter-Flasche hin und lächelte sanft. Er zog eine Augenbraue hoch: "Aber das ist deine." Ich lachte sanft. "Ja, schon, aber du wirkst so, als ob du es dringender brauchst als ich."

Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen und er bedankte sich noch leise, ehe er die Flasche annahm und einige Schlucke trank. Als er die Flasche wieder absetzte, war sie halb leer. Er seufzte einmal leise und strich sich eine kurze Strähne aus der Stirn, ehe er mir die angetrunkene Flasche wieder zurückgeben wollte. Ich kicherte leise. "Trink ruhig leer. Du bist hier der Sportler." Dankbar grinste er und leerte die Flasche in zwei großen Zügen.

Entspannt schauten wir vor uns aufs Feld, wo gerade David und Joel noch mit Dragan im Tor standen und etwas besprachen. Die anderen Spieler waren noch für die Trinkpause in kleinen Gruppen um das Feld herum verteilt und redeten miteinander. "Deine Bilder sind übrigens wirklich gut." Die Aussage trieb eine leichte Röte auf meine Wangen und ich lächelte in mich hinein, bevor ich erwiderte: "Danke. Ihr gebt aber auch echt gute Motive ab." Er lachte leise und antwortete gespielt: "Hach, ich weiß doch."

Das brachte mich wirklich zum Lachen und zwinkernd dezimierte ich sein Ego: "Also eigentlich vor allem David und Flipse, aber du gehst auch." Ihm klappte der Mund auf, doch auch er grinste über mein schlechtes Comeback. "Ganz schön frech für deine Körpergröße." Im Augenwinkel sah ich, dass sich Sebastian gerade wieder auf das Feld begab und so schickte ich Juri augenverdrehend mit den Worten zu ihm: "Du, Heidi Klum, solltest aber jetzt wieder zurück aufs Feld. Und ich bin nicht klein. Ihr seid nur groß." Ich war wirklich mit meinen 1,68 m eher Durchschnitt für Frauen.

Er nickte, als er erkannte, dass ich recht hatte, und folgte meinem Blick in Richtung Sebastian. Dann seufzte er und erhob sich wieder von der Bank. Er wandte sich bereits zum Gehen, als er sich noch einmal mit dem Kopf zu mir drehte und gespielt eingebildet meinte: "Aber noch schön viele Fotos von mir machen! Ich will die Titelseite haben!"

Ich lachte und verdrehte die Augen, nickte aber. Er hatte mir gerade offiziell die Erlaubnis gegeben, die Kamera das gesamte restliche Training auf ihn zu richten, auch wenn er das als Scherz gemeint hatte. Und das würde ich definitiv dann auch ausnutzen, um meine Projektarbeit voranzutreiben, ohne dass er sich beschweren konnte. Danke, Juri.


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Hach, die zwei sind so knuffig. Mir fallen immer mehr dieser "unbedeutsamen", kleinen Freundschaftsszenen ein, bei denen mir mein Herz warm wird <3 Also freut euch auf die nächsten paar Kapitel! Aber keine Sorge, es wird noch eine große Portion Drama auf euch zukommen, ich kann es doch auch nicht sehen, wie hier gerade alles Friede-Freude-Eierkuchen  ist hehe ;)

Alles Liebe und bis morgen, eure Ella <3

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt