57 - Podcasts und Verlustängste - Liv

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- Montag, 27.05.2024 - The Night We Met/Lord Huron -

Es fühlte sich so seltsam vertraut an, die Trainingshalle in Kronau zu betreten. Die Jungs hatten gestern Nachmittag doch tatsächlich noch den Sieg mit nach Hause getragen und hatten so schlussendlich das Final4 auf Platz 3 abschließen können. Trotzdem hatte ich von meinem Platz aus neben Meyra und Lilly mitverfolgt, wie die gesamte Löwen-Truppe aussah, als ob sie auf eine Zitronenscheibe gebissen hätte. Und klar - der Sieg hatte einen bitteren Beigeschmack, das konnte ich nachvollziehen.

Im gleichen Atemzug fühlte ich mich auch irgendwie seltsam. Ich hatte es mir bis Freitag nicht eingestehen wollen, aber es hatte sich schon die gesamte letzte Woche wie ein kleiner Abschied von hier angefühlt, auch wenn es noch kein Abschied war. Zumindest bis Samstag, bis zu den Neuigkeiten von Jari. Olympia wäre ein Traum, der für mich wahr werden würde. Und deshalb hatte ich mir auch in den Kopf gesetzt, heute die Sorgen, die mir die Uni noch machten, abzuhaken. Das würde für mich konkret bedeuten, zu klären, wann ich meine letzte Prüfung nachholen würde, die noch ausstand, und endlich einen Platz bei einem Professor für meine Bachelorarbeit abzuklären.

Dies würde für heute einiges an organisatorischer Arbeit bedeuten. Und den ersten Punkt hatte ich tatsächlich schon abgeklärt - ich hatte meine letzte mündliche Prüfung zusammen mit dem entsprechenden Dozenten auf Ende August terminiert. Jetzt musste ich nur noch meinen Mut sammeln und meinen Professor, der mich bereits während eines Projektes in einem früheren Semester betreut hatte, fragen, ob er mich nicht erneut betreuen wollte.

Entsprechend nervös war ich vor einer Stunde auch, als ich zu Cheffe ins Auto in Mannheim gestiegen war und mit ihm zusammen nach Kronau gefahren war. Natürlich hatte er nachgefragt, was los war. Und so hatte ich ihm zuerst von den Uni-Angelegenheiten erzählt und natürlich hatte er prompt auch nachgefragt, ob es einen Grund dafür gäbe, warum ich plötzlich so schnell alles abgehakt haben wollte.

Ihr könnt euch nicht das breite Grinsen auf seinen Lippen vorstellen, als ich ihm von der Olympia-Möglichkeit erzählte. Wie er sich für mich gefreut hatte. Wieder einmal war ich unendlich dankbar für Cheffe. Ich hätte mir niemals ausmalen können, wie schnell wir uns doch verstanden hatten und was für ein unglaublicher Vorgesetzter er doch war. Er war definitiv eins der Dinge, die mir am meisten nach der Zeit hier fehlen würden. Er und seine sensible, hilfreiche und doch dirigierende Art hatten mir den Einstieg hier erleichtert und hatten dazu geführt, dass ich mich inzwischen pudelwohl hier in der Mannschaft und im Job fühlte. Wenn ich immer unter ihm arbeiten könnte, würde ich das wahrscheinlich auch tun.

Die restliche Fahrt hatte ich damit verbracht, an der Email herumzuschreiben, die ich final als halbe 'Bewerbung' an meinen Professor gesendet hatte. Ich hatte den Vorteil, dass er mich bereits persönlich kannte und hatte arbeiten sehen. So musste ich mich auch nicht mehr wirklich vorstellen und musste stattdessen eher zeigen, was ich im letzten Monat geleistet hatte und warum ich die Bachelorarbeit unbedingt bei ihm machen wollte. Jetzt hieß es, auf die Antwort-Email zu warten,geduldig zu sein und nicht durchzudrehen wegen der Ungewissheit.

Seit wir in der Halle angekommen waren (und vermutlich auch schon davor), war die Stimmung seltsam. Gedämpft. Die Jungs waren verständlicherweise ausgelaugt vom Wochenende, doch das half leider auch nichts. Sie mussten wohl oder übel weitertrainieren. Denn die Woche, die mit heute begonnen hatte, war die letzte Saisonwoche. Sie hatten jeweils am Donnerstag und am Sonntag noch ein Spiel. Und beide Spiele hatten es in sich. Am Donnerstag ging es gegen den SC Magdeburg, der momentan die Bundesliga anführte und, wenn ich es richtig im Hinterkopf hatte, jetzt schon Meister war. Und auch Leipzig war am Sonntag nicht zu unterschätzen.

Gleichzeitig war gerade der Donnerstag für uns besonders schwer. Das Spiel gegen Magdeburg war das letzte Heimspiel der Saison - also ein letztes Mal in der SAP-Arena vor ausverkauften Rängen spielen. Und Spieler verabschieden. Beinahe schon wehmütig glitt mein Blick hinüber zu Flipse, der sich gerade am Spielfeldrand dehnte. Die Garnele würde mir echt fehlen. Aber ich durfte mich davon nicht einfangen lassen. Er war nicht der Einzige, der uns verlassen würde nach der Saison. Lion, Niclas, Tobi, Joel, Ymir, nicht zu vergessen Uwe... Philipp war einer von mehreren guten, treuen Spielern, die nach der Saison gehen würden. Sie würden alle fehlen, mir und dem Verein. Sie würden ein Loch hinterlassen, das es zu füllen galt.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt