08 - nett - David

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- Dienstag, 16.04.2024 - Pink + White/Frank Ocean -

Ich musste gar nicht erst auf uns aufmerksam machen, als ich zusammen mit Juri in die Kabine trat. Alle Blicke lagen direkt auf dem zwei Jahre Älteren, der mir voran den kleinen Raum betrat. Damit hatten wir zwar gerechnet, aber trotzdem fühlte ich mich doch ein wenig eingeschüchtert. Dabei ging es nicht einmal um mich. Die Vereinsleitung, respektive unsere Geschäftsführerin Jennifer Kettemann hatte heute Morgen ein Statement veröffentlicht, das im besten Fall unabsichtlich schlecht formuliert war. Nun standen noch mehr Fragen im Raum, als noch gestern vor Juris Aussage getan hatten.

Nun hatte der Arme noch mehr Sorgen und Nöte, erst recht, weil jetzt die ungefilterte Meinung der Medien und der Öffentlichkeit auf ihn einprasselte. So etwas ging selbst an der resilientesten und emotional stabilsten Person nicht unbemerkt vorbei. Und vor allem momentan würde ich Juri nicht als 'emotional stabil' bezeichnen, im Gedenken daran, welches Chaos gerade in seinem Kopf nach der Trennung und dem Umzug herrschen musste. Deshalb hatte ich bereits gestern unterbewusst beschlossen, heute als Puffer für ihn zu fungieren.

Der erste Blick, der meinen kreuzte, war der unseres Kapitäns. Ich vermutete zwar, dass er keine Ahnung hatte, was neben dem Wechsel noch gerade in Juris Leben abging, aber trotzdem schätzte ich den besorgten Ausdruck in Patricks Gesicht wert. Generell war das Statement nichts, was die Stimmung der Mannschaft noch anhob. Je nachdem, wie Juri heute funktionierte, konnte das ganze Training leiden, das war uns beiden bewusst. Und das galt es, heute so gut wie es ging auszuhebeln und Juri wenigstens eine Konstante in seinem Leben zu bieten.

So seufzte ich und warf meine Tasche auf die Bank vor dem Spind mit der Nummer 29. Joel, der direkt neben mir seinen Spind hatte, lächelte ahnungslos in die Runde. Als er aufschnappte, wie schlecht es Juri in der Situation hier gehen musste, meinte er laut, sodass alle Anwesenden ihn verstanden: "Juri, das wird schon. Und wenn nicht - wir sind da, falls du dich auskotzen musst."

Juris erster, unergründlicher Blick glitt zu mir und seinen Gesichtsausdruck hätte ich als verzweifelt beschrieben. Niemand außer mir wusste bislang, was sonst noch los war und dass der Wechsel eigentlich seine kleinste Sorge war. Doch das musste er von sich aus erzählen, wenn er so weit war. Aber so, wie ich ihn einschätzen würde, würde das wohl noch eine Weile brauchen. Er wollte nie diese Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde und das bezog sich auch auf die Aufmerksamkeit, die ihm vom Team im Kontext seines Privatlebens zuteil wurde. Er wollte so wenig Blicke wie möglich auf sich ziehen und würde auch nicht mit ausgerechnet so einem schmerzhaften und privaten Thema damit anfangen. Ich war ja schon dankbar, dass er es überhaupt mir erzählt hatte. Genau deshalb würde ich auch auf den Moment warten, an dem es aus ihm herausplatzen würde und bis dahin sein Geheimnis wahren.

Ich warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu und er nickte. "Danke, Jungs. Wirklich." Joel grinste ihn als Reaktion an und machte sich weiter fertig. Ich tat es ihm gleich, auch wenn ich Juri immer im Augenwinkel beobachtete und im Blick behielt. Die Situation hatte nach wie vor Eskalationspotential, vor allem bei einem sonst so explosiven und wechselhaften Charakter wie Juri.

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Das Training war für ein Morgen-Training bislang ganz gut gelaufen. Es war zwar nicht Juris bester Tag, aber immerhin wirkte er nicht mehr so zerstört wie gestern oder heute Morgen noch. Der Sport tat ihm mental anscheinend ganz gut. So versuchte ich, mich ebenfalls ein wenig zu konzentrieren, da wir ja schon übermorgen unser nächstes Spiel hatten. Es war unausgesprochener Konsens, dass Apfel und ich vor allem bei den Bundesliga-Spielen unsere Einsatzzeiten sammelten, während Joel in erster Ebene auf Europaebene spielte. Dies war eins der Streitthemen gewesen, welches auch Anklang bei Joels Wechseldiskussionen fand.

Eigentlich war es mir beinahe egal, wer wann spielen sollte, die Einteilung übernahm Dragan, bei dem ich auch schon angefragt hatte, ob Joel nicht ein paar meiner Einsatzzeiten übernehmen könnte und ich stattdessen in der European League spielte. Nichtsdestotrotz bereitete ich mich mental darauf vor, gegen Melsungen im Tor zu stehen. Und genau deshalb investierte ich den Großteil meiner Energie auch in die Vorbereitung auf die Melsunger Werfer.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt