44 - Julian Köster - Liv

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- Sonntag, 19.05.2024 - Boss B*tch/Doja Cat -

Im Kopf ging ich noch einmal alles durch, was ich wusste. Ich wusste, dass der VfL Gummersbach ein absoluter Traditionsverein war und sich als die Heimat des Handballs ausgab. Ich wusste, wie die Spieler hießen und auf welcher Position sie spielten. Ich war bereit für heute.

Heute war ich zum ersten Mal bei einem Auswärtsspiel der Jungs dabei. Während sie bereits heute Vormittag mit dem Mannschaftsbus losgefahren waren, hatten Cheffe und ich uns erst ein bisschen später auf den langen Weg nach NRW gemacht. Es war eine unglaubliche Ehre, dass ich überhaupt mit von der Partie sein durfte. So wollte ich mich auch eigentlich nicht darüber beschweren, welche Aufgabe mein Boss mir heute aufgetragen hatte.

Halb verstand ich Cheffe, halb wünschte ich ihn auf den Mond. Ich meine, inzwischen hatte er verstanden, dass ich Interviews tatsächlich ein wenig mochte und durch letzte Woche auch einiges an Übung gesammelt hatte. Aber selbst wenn, würde ich das Fotografieren dem Interview führen immer vorziehen. Und das wusste er eigentlich auch. Aber trotzdem hatte er mich heute dafür eingeteilt, einen Vorbericht über das Spiel zu schreiben und dann mir einen Gummersbacher Spieler herauszupicken, um ein Interview zu führen. Dieses würde dann als Grundlage für den Nachbericht des Spiels dienen, an welchem ich ein bis zwei Zitate aus dem Interview herauspicken sollte und bei den Schreibern einreichen sollte.

An sich war der Vorbericht schnell geschrieben und ging mir auch überraschenderweise einfach von der Hand, aber das Interview hielt mich leider davon ab, auch nur irgendeine Art von Fotografie machen zu können, bis das Spiel tatsächlich losging. Durch den Vorbericht wusste ich zwar, auf welche Spieler ich mich tatsächlich bei der Gegnermannschaft einstellen musste, aber tatsächlich erkennen würde ich bislang nur Julian Köster. Den jungen Mann kannte ich aus einer kurzen Erzählung von David von der EM und natürlich aus dem Fernsehen.

Julian war eine gute Wahl als Interview-Partner, so viel stand fest. Er war individuell gut auf dem Feld einsetzbar und konnte sowohl im Angriff auf Rückraum Links und auf Mitte als auch in der Abwehr solide im Mittelblock spielen. Er hatte immer das ganze Spiel im Blick und konnte also vorab gut abschätzen, wie es heute ausgehen würde. Gleichzeitig wusste ich von David, dass sich Juri und Julian gut von früher kannten und sich entsprechend auch gut verstanden. Vielleicht bekam ich aus ihm ja auch ein bis zwei Sätze zu Juri heraus, die sich für den Film verwenden lassen könnten.

Kösters Bekanntheit würde es mir aber auch nicht arg viel einfacher machen, einfach ein Interview mit einem der beliebtesten deutschen Handballspieler unserer Generation zu führen. Aber: Wenn ich mir eine Sache versprochen hatte, dann, dass ich in diesem Praktikum nichts zu verlieren hatte und deswegen einfach mal machen würde.

So stand ich also etwas planlos anderthalb Stunden vor Spielbeginn mit einem bereits eingereichten Vorbericht an der Seitenlinie des Spielfeldes und beobachtete beinahe sehnsüchtig, wie Cheffe die Jungs fotografierte. Dann ließ ich meinen Blick über die gegnerische Spielfeldhälfte gleiten und suchte nach dem großen, braunhaarigen Spieler. Zu meinem Pech dachte ich zuerst, dass ich ihn entdeckt hatte, doch dann las ich auf dem Rücken des ebenfalls großen, braunhaarigen Spielers leider den Namen "Schluroff" und war etwas enttäuscht. Ja, Miro Schluroff sah Julian Köster tatsächlich ziemlich ähnlich.

Etwas niedergeschlagen und hilflos lief ich also in Richtung der Mixed Zone, die sich zwischen Umkleidekabinen und Spielfeld-Zugang befand. Dort traf ich auf einige bekannte Gesichter, unter anderem Joel, der mir aufmunternd zulächelte, als hätte er erkannt, wie hilflos verloren ich mich in diesem Moment fühlen musste. Dankbar, dass ich wenigstens einem einfühlsamen Gesicht begegnete, lief ich hinüber zu dem Torwart und stellte mich geknickt neben ihn. Er war gerade dabei, das Geschehen und die Interviews zu verfolgen, die sich vor ihm in der Mixed Zone abspielten. Eigentlich sollte ich genau dort auch stehen...

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt