02 - Packband - Juri

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- Mittwoch, 10.04.2024 - i wish you cheated/Alexander Stewart -

Gähnend dehnte ich vorsichtig meine Schulter, indem ich den Ellenbogen vor die Brust zog und ihn dort unter leichter Spannung mit meinem anderen Arm hielt. Gefühlt tat mir jedes Gelenk weh. Die Nacht auf der doch zu weichen Matratze hatte inzwischen ihre Spuren hinterlassen. Im Dämmerlicht versuchte ich, den Lichtschalter auf der rechten Seite des Türrahmens zu ertasten, doch dort lag er nicht, wie ich zu meinem Verwundern feststellen musste.

Erst als ich auch meinen zweiten Arm gedehnt hatte, fiel mir ein, dass ich inzwischen auf der linken Seite des Durchgangs nach dem Lichtschalter suchen musste. Ich schüttelte den Kopf, um die restliche Müdigkeit zu vertreiben, und betätigte den Schalter. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich das Licht von gefühlten hundert Sonnen anstrahlen würde, da die Deckenlampe des Wohnzimmers noch keinen Lampenschirm besaß. Obwohl, "Wohnzimmer" wollte ich den Raum vor mir noch nicht nennen. Überall stapelten sich Umzugskisten und Taschen, sowie ein großer Reisekoffer und ein mit Flaschen gefüllter Tragekorb, der im Durchgang zur kleinen Küche stand und somit Durchkommen zu meinem lang ersehnten Frühstück beinahe unmöglich machte.

Immer noch schlaftrunken strich ich einige der hellbraunen Strähnen hinter mein Ohr, die mir wieder einmal ins Gesicht gefallen waren. Dann bemühte ich mich, trotzdem irgendwie über die Kiste mit Glasflaschen und Konservendosen hinüberzusteigen, um zumindest bis zu meiner Kaffeemaschine zu kommen. Am Ziel meiner Begierde angekommen, schnappte ich mir den Cutter, der glücklicherweise direkt auf der Ablage der neutral gehaltenen Küchenzeile lag und begann damit, das Packband der Umzugskiste aufzuschneiden, die direkt neben der Kaffeemaschine stand. Ich hatte gestern glücklicherweise daran gedacht, die Kiste mit den Tassen direkt neben die Kaffeemaschine zu stellen. Ich kannte mich einfach doch zu gut.

Als ich das Packband in meinen Augen zur Genüge verunstaltet hatte, versuchte ich mit roher Gewalt, die Umzugskiste zu öffnen. Aber wie es das Schicksal es nun mal heute wollte, blieb nicht nur ein Stück des Packbands am Ärmel meines Hoodies hängen, sondern schnitt ich mich auch prompt an der Pappe des Kartondeckels. Ich fluchte lautstark und hielt mir den leicht blutenden Finger. Die blauen Flecken, Schläge und Kratzer, die ich mir regelmäßig auf dem Feld abholte, waren immer noch nichts im Vergleich zu den kleinen Schnitten, die von Papier oder Pappe stammten.

Das war heute mal wieder ein perfekter Start in den Tag und bezeichnend für die letzten Tage. Neben dem ganzen Drama, das ich momentan mit der Chefetage der Rhein-Neckar-Löwen hatte und den wirklich langwierigen Diskussionen mit Maik Machulla über meine zukünftige Rolle bei Aalborg kam auch noch meine gescheiterte Beziehung. Inzwischen war es über eine Woche her, dass Friederike unsere vierjährige Beziehung durch den Dreck gezogen hatte.

Im Endeffekt hatte sie höchstwahrscheinlich recht damit gehabt, mit mir Schluss zu machen. Wir hatten uns wirklich ein wenig auseinandergelebt. Zum Schluss hatte es sich angefühlt, als wäre es nur noch Routine gewesen, als ich vom Training heimgekommen war und dann mit Elfie Gassi gegangen war. Natürlich waren auch immer schöne Momente dabei gewesen und so wirklich ganz war ich auch nicht darüber hinweg, aber zum großen Teil war es wirklich zu gewohnt und zu bequem geworden. Wir waren immer zuerst beste Freunde und dann später erst Lebenspartner gewesen, was oftmals ein Vorteil war, aber nicht wirklich gesund war, wenn man sich ausschließlich auf den Beziehungsaspekt fokussierte.

Es wäre vermutlich einfacher für mich gewesen, wenn sie einen anderen Grund genannt hätte. Wenn sie sauer oder laut geworden wäre bei unserem bitteren und finalen Gespräch letzten Dienstag. Aber sie war einfach zu gut. Zu gut für so ein Verhalten und zu gut zu mir. Ich bewunderte sie bis jetzt dafür, dass sie direkt vorgeschlagen hatte, dass wir Freunde blieben. Auch wenn es jedes Mal, als ich sie die letzte Woche gesehen hatte, mein Herz wieder einmal ein klein wenig gebrochen wurde.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt