55 - kollektives Bloßstellen - Juri

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- Samstag, 25.05.2024 - Am I Wrong/Nico & Vinz -

Ich fing den Ball von Johnny im Sprung und warf ihn ihm wieder zurück. Warmmachen lief überraschend gut für mich. Auch wenn ich die Anspannung in mir spürte, die dieses kleine Turnier auf mich ausübte, war mein Kopf ausgeglichen und fokussiert. Ich war so bereit.

Gleichzeitig stand ich genau so, dass ich perfekten Blick auf unsere Fankurve hatte. Eine gelb-orangene Wand war bereits auf Startposition und mehr als bereit, uns heute durchgehend anzufeuern. Und das trotz der riesigen Distanz, die wir im Gegensatz zu den Füchsen oder den Flensburgern hierher nach Hamburg hatten.

So konnte ich auch perfekt auf den Block links von der Fankurve schauen. Ich hielt Ausschau nach einer ganz bestimmten Person, doch sie schien noch nicht da zu sein. So passte ich weiter mit Johnny hin und her, konnte aber trotzdem nicht umhin, immer wieder hoch in die Ränge zu schauen und mit meinen Blicken nach ihr zu suchen.

Nach dem Einwerfen waren Apfel, Joel und David dran. Wie so oft führte ich die Reihe an und warf als erster auf die bereitgehaltenen Hände von Apfel, der schon sein Game Face aufgesetzt hatte und anscheinend komplett im mentalen Tunnel verschwunden war. Kurz warf ich einen weiteren Blick hoch auf die Sitzplätze - doch immer noch ein Zeichen von Liv. Ich bekam von David meinen Ball zurück. Dazu bekam ich einen fragenden Blick ab, den ich aber geflissentlich ignorierte.

Doch nach den knapp fünfzehn Runden an Würfen auf die Torwarte war immer noch kein Lebenszeichen von ihr zu sehen. Langsam war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob sie sich es nicht vielleicht anders überlegt hatte. Ich versuchte, mich nicht zu sehr von ihr ablenken zu lassen, pfefferte aber trotzdem den nächsten Wurf lautstark gegen die Latte und regte mich über mich auf. Man, Juri, lass dich nicht so aus dem Konzept bringen. Das hier ist zu wichtig.

Auch David war inzwischen aufgefallen, dass ich nicht zu hundert Prozent bei der Sache war. Er folgte meinem Blick auf die Tribünen und hakte dann in einer kurzen Sekunde nach: "Was siehst du denn die ganze Zeit da oben?" Ich seufzte und schüttelte schlicht den Kopf als Antwort. Ich wollte es ihm nicht sagen - nicht das einzige Geheimnis, dass nur ich mit Liv teilte. Dann riss ich mich zusammen und redete mir wieder ein wenig Vernunft ein. Sie würde kommen. Auf sie war Verlass.

Nach einer weiteren Minute, in welcher wir uns inzwischen dehnten, warf ich einen letzten Blick nach oben zu den Fans. Und endlich. Ich erkannte ihre dunkelbraunen Haare direkt. Neben ihr saßen zwei weitere Mädchen, eine mit braunen und eine mit blonden Haaren. Die zwei schienen sich über ihren Kopf hinweg zu unterhalten, was ich allerdings nur aus dem Augenwinkel mitbekam.

Sie war tatsächlich gekommen. Und sie sah mich direkt an und lächelte. Da sie wirklich nicht weit vom Feld entfernt saß, konnte ich ihre Gesichtszüge gut erkennen. Ich grinste erleichtert und lehnte mich auf dem Boden sitzend zurück. Dann winkte ich ihr kurz und mein Grinsen wurde noch breiter. Sie war wirklich hier.

Liv fing meine Geste auf und winkte ebenfalls kurz, was die zwei Mädchen neben ihr dazu veranlasste, ihrem Blick zu folgen. Während sich auf dem Gesicht der Blonden ebenfalls ein Grinsen ausbreitete, betrachtete mich die braunhaarige Frau links von ihr kritisch mit einer hochgezogenen Augenbraue. Au weia, das könnte noch Ärger geben. Doch all das war ein Problem für einen anderen Tag. Heute würde ich einfach genießen, dass Liv hier bei uns war, um uns anzufeuern. Nur das zählte für mich in diesem Moment.

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Die Füchse hatten verdient gewonnen. Ich hatte mein allerbestes gegeben, aber nach einer Dreiviertelstunde war auch ich ausgelaugt von so einem Power-Spiel gewesen. Der Berliner Torwart hatte es mir wirklich nicht leicht gemacht, den Ball im Netz unterzubringen, egal, wie oft ich es auch versucht hatte. Mal wieder hatte die Harmonie zwischen uns Löwen nicht perfekt gestimmt und wir hatten die Gidsel/Lindberg-Angriffe nicht in den Griff bekommen, wie wir es uns vorgenommen hatten. Entsprechend war ich froh, dass der Torabstand nicht die zehn überschritten hatte.

121 km/h /// Juri Knorr ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt