Kapitel 59 - Ruhe

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Ich kam langsam wieder auf die Beine.
Remus half mir dabei prächtig.

Die warme Abendsonne leuchtete auf geradem Wege auf uns, als wir einen Spaziergang zu dem kleinen See vor Hogwarts unternahmen.
Die frische Luft tat mir gut. Ich hatte Kopfschmerzen, meine Glieder waren wie eingerostet...

Die Sonne blendete mich so sehr, dass ich mir die Hand an die Stirn halten musste, um sehen zu können, wo mein nächster Schritt hinführte.
Abends waren noch immer 15 Grad draußen und damit war es auch angenehm warm.
Eine leichte Jacke reichte mir, um nicht zu frieren.
Sobald wir außer Sichtweite der Schule waren, legte Remus seine Hand in meine und hielt sie fest, während wir langsam spazieren gingen.
Das lies mich zu ihm hinauf blicken.
Diese kleine Geste gab mir jedes Mal so viel...
...Sicherheit, Wärme und Liebe...
Ja, Liebe.
Darüber mussten wir auch noch sprechen...
Was das zwischen uns war. Ob wir ein Paar waren.
Aber die Umstände versagten es uns, darauf weiter einzugehen.

„Hast du es dir überlegt?" riss es mich aus den Gedanken. Wir waren angehalten und blickten auf die, sich spiegelnde, Sonne im See.
Hatte ich es mir überlegt?
Ich hatte mit dieser Frage gerechnet, doch war dennoch nicht darauf vorbereitet.
„Mein Bauchgefühl sagt Ja." antwortete ich und legte meine freie Hand auf meinen Bauch.
„Und dein Kopf?" fragte er und lächelte mich väterlich an.
Er wusste, dass diese zwei Körperteile sich manchmal stritten.
„Der ist einfach still. Also sollten wir auf meinen Bauch hören..." entgegnete ich und lächelte müde zurück.

Remus nickte und setzte sich mit mir auf einen nahegelegenen Fels, welcher ein wenig in den See ragte.
Mein Herz nahm einen unnatürlich schnellen Rhythmus an. Es hämmerte stark gegen meine Brust.
Wollte ich es wirklich erfahren? Oder sollten wir einfach Gras darüber wachsen lassen und nie wieder davon sprechen?
Schaltete sich jetzt doch mein Kopf ein?
Ein wenig zu spät.
Die Neugier gewann.

Ich sagte nichts, hörte einfach nur zu.
Zumindest hatte ich mir das fest vorgenommen.
Remus hatte die Arme verschränkt und blickte gegen die Sonne.
Er wollte mich dabei nicht ansehen.
Ich hingegen, sah die ganze Zeit über zu ihm hinauf und spielte nervös mit meinen Fingern auf meinem Schoß.
Meine Füße wippten gegeneinander und gaben ein dumpfes Geräusch von sich, jedes Mal, wenn die Spitzen einander trafen.
Dieses, fast lautlose, Geräusch, unterbrach die anfängliche Stille, die ich mir dann wohl doch zurückwünschen würde...

„Ich weiß nicht, wie sie mich dorthin gebracht hatten. Noch wusste ich, wo ich war. Es war dunkel und kalt. Ich fror jeden Tag lang. Man gewöhnte sich auch nicht an die Umstände. Sie waren immer da. Meistens saß ich in einer Ecke, hatte die Augen geschlossen und sagte nichts. Ich sprach nie. Mit keinem. Einmal am Tag besuchte mich Bellatrix Lestrange. Sie hatte zwei weitere Todesser dabei. Diese beiden hielten mich fest. Das war so eine Art Ritual geworden. Ich weiß nicht, wie oft sie das taten. Ich wusste auch nicht, ob, und wie viele Tage vergangen waren. Ich sah kein Tageslicht. Nur Dunkelheit. Sie hielt ihren Zauberstab an meine Schläfe und ließ mich halluzinieren. Es war so real. Sie machten sich einen Spaß daraus. Die Halluzinationen handelten meist von der gleichen Sache. Von dir."

Für einen flüchtigen Moment drehte er seinen Kopf zu mir. Seine Augen trafen meine.
Sie waren leer.

Dann blickte er wieder nach vorn.

„Sie ließen mich sehen, wie ich dich verletze. Ich spreche Zaubersprüche, die dir solche Schmerzen zufügen, dass du weinst. Und ich kann nicht aufhören, diese Sprüche gegen dich zu verwenden. Du blutest, schreist. Es zerreißt mich. Dein Blut klebt an meinen Händen. Du liegst vor mir. An manchen Abenden bist du gestorben. Ich habe dich getötet. Manchmal hast du zu viel Blut verloren und bist langsam gestorben. Ich habe mit angesehen, wie das Leben in deinen Augen erloschen ist. Du hast mir so tief in die Augen gesehen, dass ich mit ansehen konnte, wie tief du ins Jenseits gefallen bist. Manchmal ging es schnell. Deine Pupillen wurden grau und du fielst um. Aber jedes Mal war ich es, der dir das angetan hat. Ich wollte mich wehren, habe es auch versucht. Die Narben trage ich davon. Es war alles vergebens. An dem Tag, an dem ich frei kam, hörte ich Tumult, dann einen großen Knall und dann ging die Tür zu meiner Zelle einfach auf. Keiner war mehr da. Ich folgte ihnen. Zu eurem Glück...dadurch habe ich auch dich gefunden."

Seine Geschichte hörte sich an, wie ein Horrorfilm, den mich meine Eltern niemals hätten sehen lassen.
Ich war sprachlos, wie gefesselt und ausgesaugt.
Ich musste etwas sagen.
Nur, was war das Richtige?
Gab es etwas, das in dieser Situation das Richtige gewesen wäre?

Remus war fertig und hatte alles erzählt, doch er sah mich noch immer nicht an.
Ich erkannte Tränen in seinen Augen.
Er wollte nicht, dass sie da waren.
Er wollte am liebsten gar nichts spüren.
Zumindest nichts von alle dem, was man ihn hatte spüren lassen.

Vorsichtig legte ich meine Hand auf seinen Rücken und meinen Kopf gegen seine Schulter.
Und war still.
Ich schloss meine Augen und war einfach still.

Meine Gefühle tobten.
Alles in mir, jedes Organ, jede Zelle, wollte etwas anderes fühlen und unternehmen.
Aber irgendwas musste ich unternehmen.
Ich konnte nicht einfach hier bleiben und darüber hinweg sehen, was man ihm angetan hatte.
Meine Zellen stritten sich.
Jede einzelne davon.
Lauthals.
Doch das sah man mir nicht an.
Ich saß nur da.
Auf einem Felsen, an einem Strand, neben der Person, die ich liebte, und die für mich gequält wurde.

Es war dunkel.
So lange hatte keiner mehr ein Wort gesprochen.
Und genauso lange hatte ich einen lauten, inneren Konflikt mit mir selbst, darüber, was ich jetzt tun würde.

Es war ruhig.

Still.

Beinah idyllisch.

Als ich beschloss, die Ruhe zu durchbrechen.

„Ich werde sie töten."

Miss Belladonna//Remus Lupin Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt